Gutachten: Vergesellschaftung verfassungsgemäß

Das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ fordert ein Gesetz des Landes Berlin, um Wohnungen großer privater Wohnungsunternehmen zu vergesellschaften. Dabei berufen sie sich auf Artikel 15 des Grundgesetzes:

Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden. Für die Entschädigung gilt Artikel 14 Abs. 3 Satz 3 und 4 entsprechend.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 15

Die Fraktionen DIE LINKE im Abgeordnetenhaus von Berlin und DIE LINKE im Bundestag haben den Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Joachim Wieland (Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer) gebeten, ein Gutachten zu erstellen, um Klarheit über die rechtlich relevanten Vorgaben für eine solche Vergesellschaftung zu gewinnen.

Aus dem Gutachten geht hervor, dass das Land Berlin befugt ist, ein Gesetz zur Vergesellschaftung zu erlassen und dieses sowohl mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung von Berlin als auch dem Recht der Europäischen Union und der Schuldenbremse vereinbar ist. Zudem formuliert Prof. Dr. Wieland in seinem Gutachten konkrete Anforderungen an ein solches Vergesellschaftungsgesetz.

Caren Lay, Joachim Wieland, Carola Bluhm und Udo Wolf bei der Vorstellung des Gutachtens.

Zusammenfassung

  • Das Land Berlin ist befugt, ein Gesetz zur Vergesellschaftung zu erlassen: „Da der Bund bislang kein Gesetz zur Überführung von Grund und Boden in eine Form der Gemeinwirtschaft erlassen hat, hat das Land Berlin die Befugnis zum Erlass des vorgeschlagenen Gesetzeszur Vergesellschaftung von Grund und Boden.“ (S. 17)
  • Das Grundgesetz erhält in Art. 15 GG eine Ermächtigung zur Sozialisierung an den Gesetzgeber: „Die Sozialisierung gehört zu den traditionellen Beschränkungen des Eigentums und ist vom Grundgesetz in Art. 15 GG ausdrücklich zugelassen.“ (S.17)
  • Zum Grund und Boden im Sinne des Art. 15 GG gehören auch Grundstücke, auf denen sich Gebäude und Mietwohnungen befinden. Die Auffassung, nach der Grundstücke, auf denen ein Wirtschaftsunternehmen Gebäude errichtet hat, nur dann von Art. 15 GG erfasst werden, wenn das Unternehmen selbst sozialisiert werden soll, „vermag nicht zu überzeugen, weil keinerlei rechtliche oder tatsächliche Hindernisse ersichtlich sind, die bei einer entsprechenden gesetzlichen Regelung einer Vergesellschaftung allein des Grundstücks eines Wirtschaftsunternehmens entgegenstünden, zumal auch weder Wortlaut noch Systematik noch Entstehungsgeschichte Anhaltspunkte für die restriktive Interpretation geben.“ (S. 18)
  • Es hängt von der politischen Entscheidung des Gesetzgebers ab, ob es zu einer Vergesellschaftung kommt. „Weder der Normtext noch die Entstehungsgeschichte von Art. 15 GG“ geben Anhaltspunkte für ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der sogenannten »Sozialisierungsreife«, also der Annahme, dass nur Objekte vergesellschaftet werden dürfen, die eine gewisse wirtschaftliche Bedeutung haben. Selbst wenn eine solche »Sozialisierungsreife« angenommen werden würde, genügt das vom Volksbegehren geforderte Gesetz den Anforderungen, da das Volksbegehren selbst als Schwelle für die »Sozialisierungsreife« einen Umfang von 3000 Wohnungen pro Unternehmen vorschlägt. (S. 21)
  • „Das mit dem Volksbegehren angestrebte Gesetz dient dem von der Verfassung selbst anerkannten legitimen Zweck der Vergesellschaftung von Grund und Boden einschließlich der Wohnimmobilien. Die Überführung in Gemeineigentum ist zurErreichung dieses Zwecks geeignet. Ein milderes Mittel zur Erreichung der Vergesellschaftung ist nicht ersichtlich. Die zwingende Entschädigung sichert die Zumutbarkeit der Überführung in Gemeineigentum für die Betroffenen.“ (S. 22)
  • Die Höhe der Entschädigung „muss keinesfalls notwendig am Verkehrswert orientiert sein. Andernfalls wäre entgegen dem ausdrücklichen Zweck des Art. 15 GG eine Vergesellschaftung praktisch kaum möglich.“ (S. 22) 
  • Die „Einschränkung der Berufsfreiheit ist verfassungsgemäß, weil Art. 15 GG als lex specialis der Berufsfreiheit des Art. 12 GG vorgeht, soweit die Ermächtigung zur Vergesellschaftung reicht.“ (S. 24)
  • Das angestrebte Gesetz ist mit der Schuldenbremse vereinbar: „Der Haushaltsgesetzgeber ist also grundsätzlich nur verpflichtet, den Landeshaushalt ohne Aufnahme von Krediten auszugleichen. Bundesverfassungsrechtliche Vorgaben für das erstrebte Sozialisierungsgesetz enthält Art. 109 Abs. 3 GG nicht.
    Art. 109 Abs. 3 GG regelt vielmehr nur die Kreditaufnahme durch Bund und Länder, nicht durch selbständige juristische Personen des öffentlichen Rechts.“ (S. 27) 
  • Das angestrebte Sozialisierungsgesetz ist mit der Verfassung von Berlin vereinbar, die keinen dem Art. 15 GG vergleichbaren Artikel enthält. (S. 27)
  • Das angestrebte Gesetz ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar. „Das Unionsrecht lässt gemäß Art. 345 AEUV ausdrücklich „die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt.“ (S. 31)