Gegen den Al-Quds-Marsch

Anne Helm
Innere SicherheitAnne Helm

77. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 22. April 2021

Zu "Al-Quds-Marsch in Berlin verhindern – Volksverhetzung ist keine Meinung" (Priorität der Fraktion der FDP)

Anne Helm (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das ist schon ein besonders perfider Plan, den antisemitischen Al-Quds-Marsch ausgerechnet am 8. Mai durchzuführen – dem Tag, an dem wir Antifaschistinnen und Antifaschisten den Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht und somit der Befreiung Europas und der Welt von dem Grauen des deutschen Faschismus begehen. An diesem Tag des Gedenkens, der dem industriellen Massenmord an Jüdinnen und Juden ein Ende setzte, wollen nun die Jünger des Ajatollah Chomeini und dessen Vernichtungsantisemitismus hier in Berlin aufmarschieren. Sie bilden dafür ein Konglomerat aus Kriegspropaganda der iranischen Mullahs gegen Israel bis hin zu Verschwörungsideologinnen und ‑ideo­logen wie der antisemitischen Kleinstpartei Deutsche Mitte.

Erst gestern haben wir zum wiederholten Male erlebt, wie Menschen sich mit angehefteten gelben Sternen mit der Aufschrift „ungeimpft“ bewusst vor dem Mahnmal für die ermordeten Jüdinnen und Juden haben ablichten lassen und dort provokant und ganz selbstbewusst posierten. Oder sie haben sich selbst als angebliche, politisch verfolgte KZ-Häftlinge mit Häftlingskleidung verkleidet. Das finde ich wirklich unerträglich.

Es passt leider sehr gut in das Bild, das uns am Montag erst die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus bei der Vorstellung ihres Jahresberichts gezeichnet hat. Demnach sind antisemitische Vorfälle vor allem im Bereich des Post-Shoah-Antisemitismus besorgniserregend angestiegen, nicht zuletzt wegen Holocaustrelativierung und antisemitischen Verschwörungsideologien aus dem Umfeld der selbsternannten Querdenker.

Ich möchte mich an dieser Stelle für die gute, kollegiale Zusammenarbeit bedanken, selbstverständlich ausdrücklich bei RIAS, aber auch bei den Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen hier im Haus. Ich halte das für eine wichtige Errungenschaft, dass wir hier gemeinsam gegen jede Form des Antisemitismus kämpfen und uns dabei auch immer gegenseitig auf mögliche Leerstellen aufmerksam machen. Ich halte das für eine wichtige Aufgabe, und ich gehe davon aus, dass wir auch in der nächsten Wahlperiode unsere überfraktionelle Zusammenarbeit fortsetzen werden.

Präsident Ralf Wieland:

Frau Helm! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des fraktionslosen Abgeordneten Wild zulassen.

Anne Helm (LINKE):

Nein, danke!

Es wird Sie sicherlich nicht überraschen, dass die Koalition, meine Fraktion, aber auch ich ganz persönlich das Ziel, den Al-Quds-Marsch zu verhindern, ausdrücklich teilen. Aber das Problem ist, dass ich mir nicht ganz sicher bin, ob Ihr Antrag bei der Durchsetzung dieses gemeinsamen Ziels hilfreich ist. Ein Demonstrationsverbot – das wurde schon gesagt – hat aus guten Gründen sehr hohe Hürden, wie Gerichte in der Vergangenheit immer wieder klargemacht haben. Deshalb hat auch der CDU-Innensenator in fünf Jahren kein Verbot angestrebt.

Aber Sie weisen in der Antragsbegründung zu Recht darauf hin, dass sich die Rechtslage seitdem geändert hat und in diesem Jahr zum ersten Mal anders ist. Zum einen wurde das überfällige Hisbollah-Verbot durchgesetzt, und das kann durchaus einen Einfluss darauf haben, denn es waren ja durchaus viele Vorfeldorganisationen der Hisbollah an dem Marsch beteiligt. Zum anderen ist nun das neue Versammlungsfreiheitsgesetz in Kraft, auf das Sie in Ihrer Antragsbegründung auch hinweisen. Darin haben wir das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zum einen deutlich gestärkt, aber wir haben auch Möglichkeiten geschaffen, menschenverachtende Hetze nicht hinnehmen zu müssen. Da geht es nicht nur um den Paragrafen, den Sie schon erwähnt haben, nämlich den zum öffentlichen Frieden, sondern auch um die Ergänzung in Nummer 4, die wir auf Vorschlag der Jüdischen Gemeinde eingeführt haben, wo es um genau solche internationalen Kriegskampagnen wie den Al-Quds-Marsch geht.

Sie sehen also: Wir sorgen uns genau um diese Belange und wollen eben nicht, dass Berlins Straßen für solche Kriegspropaganda die Kulisse bieten. Deswegen sind wir da auch sehr offen für konstruktive Vorschläge.

Damit hat dieses Parlament als Gesetzgeber seinen politischen Willen deutlich gemacht. Durch unsere gemeinsame Erklärung der demokratischen Fraktionen am Montag haben wir diesen Willen noch einmal bekräftigt. Jetzt ist die Exekutive – und ich sage mal voraus: auch die Rechtsprechung – an der Reihe. Ich bin der Überzeugung, dass Andreas Geisel alles Erforderliche tun wird, um diese antisemitische Hetze auf Berliner Straßen zu verhindern. Ob wir ihn aber vor Gericht mit einem politischen Auftrag aus dem Parlament dabei unterstützen, das bezweifle ich. Völlig unabhängig allerdings von Gerichtsentscheidungen ist es Aufgabe aller engagierten Berlinerinnen und Berliner, antisemitische Hetze und Kriegspropaganda nicht unwidersprochen hinzunehmen.

Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich genau von diesem Pult im Jahr 2019 dazu aufgerufen habe, den Marsch zu blockieren. – Das möchte ich jetzt aufgrund der aktuellen Pandemiesituation an dieser Stelle nicht wiederholen. Auch das Bündnis gegen den Al-Quds-Marsch hat davon abgesehen, zu großen Protesten aufzurufen. Aber auch diesmal wird unser Widerspruch, den wir artikulieren – unter anderem im Bündnis gegen den Al-Quds-Marsch – kreativ, breit und laut vernehmbar sein. Ich fordere Sie alle dazu, sich dem anzuschließen. – Vielen Dank!