Vielfältige Gewerbestrukturen schützen

32. Sitzung, 18. Oktober 2018

Gabriele Gottwald (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich versuche mal, zurück zum Thema zu kommen. In den innerstädtischen Lagen explodieren die Gewerbemieten. Das Mietrecht sieht leider keinerlei Schutz für Gewerbe oder Einzelhandel vor, was besonders Klein- und Mittelbetriebe oft an den Abgrund bringt. Dem privaten Wohnraum wird im Mietrecht ein existenzieller Schutz zuerkannt, der gewisse Einschnitte in die Rechte des Eigentümers erlaubt. Diese Logik muss auch auf den Mietenmarkt für Gewerbe und Einzelhandel übertragen werden.

Wenn ein Vermieter einen Reibach machen will und deswegen den Gewerbetreibenden oder den Einzelhändler an die Luft setzt, dann haben wir es mit einer existenziellen Bedrohungslage zu tun, die vermieden werden muss.

[Christian Gräff (CDU): Von welchem
Einzelhändler reden wir?]

Herr Gräff! Die CDU gibt gerne vor, dass gerade Klein- und Mittelbetriebe ihr besonderes Klientel sei. Das halte ich für pure Heuchelei. Sie blockiert nicht nur seit Jahren die Stärkung des Mieterschutzes im Bund, sondern hält alle Eingriffe in die Eigentumsrechte für pures Teufelswerk. Es sei noch mal – und vielleicht gerade Sie – daran erinnert, dass CDU-Bürgermeister Diepgen 1992 einen Gesetzentwurf forderte –  in den Bundesrat einbrachte –, der einen Schutz des Gewerbes vor existenzgefährdenden Kündigungen und extremen Mieterhöhungen forderte – also das, was Sie eben als Quatsch bezeichnet haben.

Sie haben ja gesagt, solche Initiativen sind Quatsch. Der Bundesrat hat diesem Ansinnen zugestimmt, aber die CDU-FDP-Regierung im Bund hat es dann 1993 leider abgelehnt.

[Zuruf von FDP: Bravo!]

– Unverbesserlich! –

Die Preisexplosionen bei Gewerbemieten zerstören bereits jetzt viele Kiezstrukturen. Ich lebe in Kreuzberg, wo täglich kleine Geschäfte der boomenden Tourismusversorgung weichen müssen.

[Christian Gräff (CDU): In Kreuzberg zerstört
der Baustadtrat die Mieter!]

Gewerbetreibende machen dort laut auf sich aufmerksam – wie Sie hier auch –, da sie um ihren Standort fürchten. Der Druck auf wohnortnahe Gewerbestrukturen wird massiv verstärkt, wenn zudem internationale Konzerne – meist Tech-Firmen – in die hippen Innenstadtviertel einbrechen. In Kreuzberg droht der Google-Campus, den keiner will, denn Google ist kein guter Nachbar. Erfahrungen anderer Städte zeigen, dass solche Ansiedlungen in den Kiezen extreme Verdrängungsprozesse nach sich ziehen.

Es ist naiv, anzunehmen, dass in der Ohlauer Straße noch der Handy-Doktor oder der Plattenladen ihre Dienste anbieten oder der Blumenladen, das kleine Theater oder die Handwerksbetriebe für Installation und Heizungsbau noch existieren werden, wenn Google kommt. Sie sind ja bestimmt Handwerksfreunde. Wer ja zum Google-Campus sagt, der sagt auch den ansässigen Gewerbetreibenden und Einzelhändlern: Macht euch vom Acker!

 

Präsident Ralf Wieland:

Frau Kollegin! Keine Zwischenfragen?

Gabriele Gottwald (LINKE):

Nein! – Alarmierend ist die Verdrängung sozialer Einrichtungen. Das wurde ja bereits mehrmals erwähnt. Dass Eigentum auch verpflichtet, wird konsequent ignoriert. Obwohl der Staat einen Versorgungsauftrag hat – sei es für Kitas oder Heimplätze –, werden den Trägern reihenweise die Räume entzogen.

[Christian Gräff (CDU): Ja,
da kommen wir doch zum Thema!]

Das ist ein unhaltbarer Zustand, der nach Abhilfe schreit, und der hat sehr wohl etwas damit zu tun, dass es kein Mietrecht für Gewerbe gibt, Herr Gräff, denn die sozialen Träger fallen darunter.

Wir haben in unseren Anträgen Schutzmaßnahmen für Gewerbe, Einzelhandel und soziale Träger vorgelegt. Wir wollen den Milieuschutz auch auf Gewerbe ausweiten, damit wohnortnahe Versorgungstrukturen geschützt werden – und damit auch die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung. Die Umwandlung von Gewerbe- in Wohnraum soll den Vorgaben des Milieuschutzes folgen. Berlin soll Schutz für Gewerbe und soziale Träger bieten und eigene Unternehmen stärker in dieses Ziel einbinden. Um die Existenz von kleinen und mittleren Betrieben zu sichern, brauchen wir auch für Gewerbe ein Mietrecht, das einen Kündigungsschutz beinhaltet, verbindliche Gewerbemietspiegel vorsieht und eine Regelung für Mietobergrenzen.

Wenn wir den Markt nicht regulieren, gilt das Recht des Stärkeren – seine Interessen, sein Geld, woher es auch immer kommt. Es ist unsere Entscheidung, ob wir selbst bestimmen wollen, wie sich die Stadt entwickelt, oder ob wir das den Renditejägern überlassen. – Vielen Dank!

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