Quelle: rbb-online.de

Mietendeckel ist beschlossen!

Mieten- und WohnungspolitikHarald Wolf

Der Mietenmarkt ist aus den Fugen geraten, deshalb muss die Politik eingreifen. Die rot-rot-grüne Koalition setzt mit dem Mietendeckel ein klares Stoppsignal gegen die Mietpreisexplosion, sagt Harald Wolf in seiner letzten Rede als Abgeordneter in Berlin.

53. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 30. Januar 2020

Zu Aktuelle Stunde: "Ein Mietendeckel für Berlin" (auf Antrag der Fraktion Die Linke)

Harald Wolf (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Wenn die Neuvertragsmieten in Berlin seit 2012 um fast 50 Prozent gestiegen sind, wenn die Bestandsmieten auch in vielen Bereichen für Durchschnittsverdiener oder Menschen mit einem geringen Einkommen nicht mehr leistbar sind, wenn teilweise Menschen mehr als 50 Prozent ihres verfügbaren Haushaltseinkommens für die Miete ausgeben müssen, und wenn selbst das „Handelsblatt“ davon spricht, dass die Miete zunehmend zu einem Armutsrisiko wird, dann ist der Mietenmarkt aus den Fugen geraten.

Dann muss die Politik eingreifen, und deshalb setzt diese Koalition mit dem Mietendeckel ein klares Stoppsignal gegen die Mietpreisexplosion in dieser Stadt.

Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Es darf kein Objekt der maßlosen Profitmaximierung sein. Wir wollen, dass Wohnen für alle Menschen in dieser Stadt leistbar ist und bleibt. Wenn der Markt dieses menschliche Grundbedürfnis nicht befriedigt, dann muss die Politik eingreifen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Aber nicht so! –
Georg Pazderski (AfD): Wie in der DDR!]

– Ich lasse heute keine Zwischenfragen zu. – Ich wusste, dass von Ihrer Seite unqualifizierte Zwischenrufe kommen. Ich habe nichts anderes erwartet, und das sind wir auch von Ihnen gewohnt.

[Georg Pazderski (AfD): Jetzt fangen Sie an zu weinen! Wollen Sie mein Taschentuch?]

Vielleicht zu dem Zwischenruf zur DDR: Ich bin 1977 nach Berlin gekommen,

[Georg Pazderski (AfD): Jetzt sind Sie wieder weg!]

nach West-Berlin,

[Georg Pazderski (AfD): Um nicht dienen zu müssen!]

da gab es eine Mietpreisbindung bis Mitte der Achtzigerjahre, und das war kein schlechtes Leben für die Mieterinnen und Mieter.

Die Regulierung des Mietenmarktes wird jetzt von der Opposition als ein schwerwiegender Eingriff und eine Attacke auf die soziale Marktwirtschaft kritisiert. Meine Damen und Herren! Ich glaube, dem liegt ein elementares Missverständnis zugrunde. Soziale Marktwirtschaft heißt nicht das ungebremste freie Spiel der Marktkräfte, sondern soziale Marktwirtschaft hieß immer, dass dem Markt Regeln gegeben werden und dass es eine politische Aufgabe ist, Rahmenbedingungen vorzugeben, die den sozialen Ausgleich und nicht das freie Spiel der Marktkräfte gewährleisten. Und genau das tun wir mit diesem Mietendeckel.

Ich will an dieser Stelle – ich weiß, Sie haben es nicht so mit dem Grundgesetz – das Grundgesetz zitieren.

[Lachen bei der CDU, der AfD und der FDP –
Georg Pazderski (AfD): Das sagt Die Linke!
Die Sozialisten!]

Im Grundgesetz heißt es:

Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

Und da das Immobilieneigentum in Berlin immer weniger diesem Wohl der Allgemeinheit dient, sondern der individuellen Profitmaximierung für Aktionäre und Couponschneider, muss dieser Verfassungsgrundsatz wieder zur Geltung gebracht werden, und deshalb beschließen wir heute den Mietendeckel.

Dass der Wohnungsmarkt aus den Fugen geraten ist, sieht man auch daran, dass das verfügbare Haushaltseinkommen, die ortsübliche Vergleichsmiete, die Neuvertragsmieten und die Immobilienpreise sich immer weiter auseinanderentwickeln. Da hilft auch ein Blick in den IBB-Wohnungsmarktbericht; da wird man feststellen, dass von 2013 bis 2017 das verfügbare Haushaltseinkommen um 8,3 Prozent gestiegen ist, die ortsübliche Vergleichsmiete um 15,3 Prozent – fast um das Doppelte –, die Angebotsmieten um 24,5 Prozent und die Immobilienpreise um 50 Prozent.

Das ist nicht nur eine sozial extrem bedenkliche Entwicklung, sondern das ist auch eine wirtschaftlich hochgefährliche Entwicklung.

Denn was bedeutet diese Entkopplung von Einkommen, von Mietpreisen und von Immobilienpreisen? – Das heißt, dass hohe, überhöhte Immobilienpreise über die Miete refinanziert werden müssen. Wenn aber das verfügbare Haushaltseinkommen deutlich hinter der Steigerung der Mietpreise und der Immobilienpreise zurückbleibt und diese Schere immer größer wird, wird irgendwann diese spekulative Entwicklung nicht mehr finanzierbar sein. Das ist hochgefährlich, weil das nichts anderes ist, als ein Zeichen für Immobilienspekulation und eine Immobilienblase; nicht von ungefähr hat der Finanzmarktstabilitätsbericht der Deutschen Bundesbank seit Jahren darauf hingewiesen, dass diese Entwicklung auf den Immobilienmärkten, insbesondere in den Metropolen, hochgefährlich ist, und dass eine Überbewertung der Immobilienpreise in den Metropolen von 30 Prozent vorliegt.

Das Empirica-Forschungsinstitut sagt sogar, in Berlin beträgt die Überbewertung 37 Prozent. Das ist eine Entwicklung, der wir Einhalt gebieten müssen. Die Spekulation muss gebremst werden, und es muss das klare Signal geben: Es kann keine grenzenlose Mietpreissteigerung geben, es kann keine grenzenlose Verwertung geben, und deshalb werden wir den Mietendeckel beschließen.

Und jetzt gibt es die Horrorszenarien, die in der Kampagne der letzten Wochen und Monate an die Wand gemalt worden sind, wir würden die Immobilieneigentümer massenhaft in den Ruin treiben. Zunächst findet ja ein Einfrieren der Bestandsmieten statt. Wer will mir sagen, dass die Bestandsmieten gegenwärtig nicht auskömmlich sind? – Ich glaube, das ist eine absurde Idee. Nach neun Monaten treten die Mietobergrenzen in Kraft, die sich am Mietspiegel 2013 orientieren, plus einer Indexierung. Auch der Mietspiegel 2013 war ein Mietspiegel, mit dem die Mietpreise nicht ins Bodenlose gesunken waren, sondern bei dem durchaus auskömmliche Mietpreise genommen worden sind. Eine Absenkung tritt überhaupt erst in Kraft, wenn die Mietobergrenze um 20 Prozent überhöht ist. Insofern: Lassen Sie Ihre Horrorszenarien stecken.

Nun mag es durchaus sein, dass, wenn Menschen zu überhöhten Preisen ihre Immobilie gekauft und mit hohen Mieten kalkuliert haben, in dem einen oder anderen Fall wirtschaftliche Schwierigkeiten auftreten – aber dafür haben wir die Härtefallregelung. Und an dieser Stelle möchte ich auch gerne das Bundesverfassungsgericht zitieren, das in seiner Entscheidung zur Mietpreisbremse sagt:

Auf dem sozialpolitisch umstrittenen Gebiet des Mietrechts müssen Vermieter mit häufigen Gesetzesänderungen rechnen und können nicht auf den Fortbestand einer ihnen günstigen Rechtslage vertrauen. Ihr Vertrauen, mit der Wohnung höchstmögliche Mieteinkünfte erzielen zu können, wird durch die Eigentumsgarantie – des Grundgesetzes – nicht geschützt.

So viel dazu.

Jetzt hat sich die CDU zur Untermauerung ihrer Horrorszenarien ein Gutachten schreiben lassen vom Institut der Wirtschaft aus Köln. Dieses gleiche Institut hat zum Thema der Mietpreisbremse – verabschiedet von einer Koalition aus CDU und SPD – ebenfalls Stellungnahmen abgegeben, und dort kann man genau die gleichen Horrorszenarien nachlesen, die sie für den Mietendeckel an die Wand malen: Die Mietpreisbremse sollte zum Erliegen der Neubautätigkeit führen, zum Einbruch der Investitionen und alles Mögliche. Nichts davon ist passiert.

Das gleiche Institut hat übrigens bei der Einführung des Mindestlohns den Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen prognostiziert – nichts davon ist eingetreten.

Nichtsdestotrotz habe ich mir – mit begrenztem Vergnügen – die Mühe gemacht, dieses Gutachten zu lesen. Deshalb möchte ich zwei Punkte aus diesem Gutachten zum Besten geben: Das Gutachten sagt – ich zitiere –: Mit dem Mietendeckel verlieren die Mietpreise ihre Allokationsfunktion. – Da fragt man sich: Was heißt das? Wenn man weiterliest in diesem Gutachten, wird das erläutert. Das heißt nämlich, es wird ein Preissignal ausgesendet durch hohe Mieten, das den Menschen mitteilt: Ihr könnt euch in bestimmten Bereichen der Stadt die Miete nicht leisten, deshalb ist es sinnvoll, euch in der Peripherie oder im Speckgürtel in Brandenburg umzusehen. – Das ist die Allokationsfunktion, die hier aufrechterhalten werden soll. Und ich sage: Nein, das ist nicht das, was wir wollen; dieses Preissignal an die Menschen: Ihr habt in dieser Stadt keinen Platz – das wollen wir nicht.

Wir wollen eine soziale Mischung innerhalb dieser Stadt. Wir wollen keine Banlieues, in die die Menschen verdrängt werden. Wir wollen, dass alle Menschen in dieser Stadt einen Platz haben, wir wollen, dass alle Menschen die Möglichkeit haben, eine erschwingliche Miete zu bekommen, und wir wollen eine soziale Mischung, in der die Tochter der Alleinerziehenden zusammen mit der Tochter des Professors oder eines Geschäftsführers oder eines Investmentbankers im gleichen Stadtquartier und in der gleichen Schule leben kann – das ist die Perspektive, die wir für diese Stadt haben, und nicht die Entmischung und die Segregation.

An dieser Stelle sage ich auch noch mal: Auch das Bundesverfassungsgericht will diese so schön genannte Allokationsfunktion nicht. Das Bundesverfassungsgericht sagt in seinem Urteil zur Mietpreisbremse – ich zitiere –:

Es liegt im öffentlichen Interesse, der Verdrängung … weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen … entgegenzuwirken.

Und genau das machen wir mit diesem Mietendeckel.

Dann sagt dieses Gutachten auch noch: Na ja, mit diesem Mietendeckel würde sich die Nachfrage nach Wohnungen erhöhen, weil sich das jetzt alle möglichen Leute leisten können, und dann würden die Vermieter sich diejenigen mit den höheren Einkommen und der besten Bonität aussuchen. – Da frage ich mich: Wo leben Sie denn? Als ob die Vermieter heute nicht gucken, wer leistungsfähig ist. Aber heute haben die Menschen mit geringem oder durchschnittlichem Einkommen überhaupt keine Möglichkeit, sich für bestimmte Wohnungen zu bewerben.

Mit dem Mietendeckel haben sie wenigstens eine Chance, und diese Chance wollen wir ihnen eröffnen.

Und jetzt heißt es, die Investitionssicherheit wird gefährdet und der Neubau in Gefahr gebracht. Sehen wir uns doch mal an, über welche Investitionen wir in Berlin denn reden; denn wenn über Investitionen gesprochen wird, muss man auch unterscheiden.  Gegenwärtig findet auf dem Berliner Immobilienmarkt vor allem ein reges Karussell von Kauf und Verkauf von Immobilien aus dem Bestand statt, mit der Zielsetzung, bei jedem Kauf und Verkauf eine höhere Rendite zu erzielen, mit der Spekulation auf einen höheren Mietpreis. Wenn Sie sich mal die Zahlen ansehen: 2009 bis 2018 gab es 139 Milliarden an Immobilienverkäufen in dieser Stadt und 16 Milliarden Investitionen in Neubau.

Wir wollen dieses Verhältnis ändern. Wir wollen neue Rahmenbedingungen setzen, wo wir sagen: Neubau ist rentabel, Neubau wird in dieser Stadt gewünscht, aber wir wollen dieses Preiskarussell, wir wollen die Spekulation auf Kauf und Verkauf, die Spekulation auf immer höhere Mieten beenden.

Das ist das Geschäftsmodell, das wir wollen, und deshalb sagen wir: Neubau ist explizit ausgenommen.

Mir ist auch klar, dass jede Regulierung in Märkten dazu führt, dass es Veränderungen gibt, dass sich die Akteure anpassen, dass es auch Ausweichreaktionen gibt. Es kann durchaus sein, dass jetzt verstärkt versucht wird, in Eigentumswohnungen, weil die nicht reguliert sind, zu investieren.

Da sage ich an dieser Stelle: Ja, darauf muss man intensiv achten, und dann muss man auch die Umwandlung in Eigentumswohnungen entsprechend erschweren und regulieren.

Wir haben dazu auch Instrumente. Die müssen genutzt werden. – Ja, es geht darum, dass kein Mietraum durch die Umwandlung in Eigentumswohnungen vernichtet wird, und dafür steht diese Koalition auch!

Ich weise auch darauf hin: Wenn das verfügbare Einkommen bei den Menschen in der Tasche bleibt und nicht in die Miete fließen muss, dann stärkt das auch die Kaufkraft in dieser Stadt, und das ist wirtschaftlich positiv.

Diese Koalition will, dass Berlin ein lebenswerter Ort bleibt, und zwar für alle, dass diese Stadt nicht Objekt der Kapitalverwertung und der Spekulation wird. Wir wollen keine Banlieues, und wir wollen, um ein Wort der Kanzlerin abgewandelt aufzugreifen, keine marktkonforme Stadt, sondern wir wollen eine Stadt, in der die Menschen gut und gerne leben und arbeiten können.

Dafür steht diese Koalition. Dafür beschließen wir heute den Mietendeckel.

Das war meine letzte Rede in diesem Haus.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ich weiß, einige freut es.

[Kurt Wansner (CDU): Jawohl! –
Zuruf von der AfD: Die Steuerzahler nicht!]

 

Präsident Ralf Wieland:

Ich bitte, jetzt doch noch mal einen kurzen Moment zuzuhören, bitte!

Harald Wolf (LINKE):

Meiner Fraktion und meiner Koalition möchte ich sagen: Macht es gut und geht pfleglich mit dieser Koalition um, weil ich der festen Überzeugung bin, dass nach der Ära Merkel im Bund nur ein Zusammengehen von Sozialdemokraten, Grünen und Linken eine sozial-ökologische Reformpolitik ermöglicht!

Der demokratischen Opposition in diesem Haus möchte ich sagen:

Macht weiter so, dann besteht keine Gefahr!

Und dem anderen Teil der Opposition habe ich nichts zu sagen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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