Ines Schmidt: Frauentag ist Feiertag, Quelle: rbb-online.de

Frauentag ist Feiertag!

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Die rot-rot-grüne Koalition macht den Internationalen Frauentag am 8. März zum neuen Feiertag in Berlin. Ines Schmidt begründet, warum der Kampf für die Gleichstellung der Frau noch lange nicht zu Ende ist.

36. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 24. Januar 2019

Ines Schmidt (LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu dem neu eingeführten Feiertag, dem Frauentag, und zu dem einmaligen Gedenktag am 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus. Der 8. Mai ist uns wichtig. Er bedeutet das Ende des Völkermords an 6 Millionen Juden, der Verfolgung von Sinti und Roma, der Vernichtung von Sozialisten, Kommunisten und sexuell anders orientierten Menschen in Konzentrationslagern. Gerade heute ist es uns wichtig, zu zeigen, dass Antisemitismus und Rassismus in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, denn unser Berlin steht für Vielfalt, für Weltoffenheit und für Toleranz.

Nun zu unserem Frauentag: Wir alle wissen, der Feiertag ist richtig und wichtig, reicht aber allein nicht aus, um die Geschlechtergerechtigkeit durchzusetzen. Doch bestärkt er uns darin, den Kampf fortzusetzen. Vor über 100 Jahren, am 19. März 1911, rief die Sozialistin Clara Zetkin ein bis heute lebendiges Symbol für den Kampf der Frauen um gleiche Rechte und Chancen aus – den Frauentag. Der Erfolg dieses ersten Frauentages 1911 übertraf alle Erwartungen. Rund 45 000 Frauen gingen allein in Berlin auf die Straße und forderten das Frauenwahlrecht. Am 19. Januar 1919, also vor 100 Jahren, war es soweit. Es fand die Wahl zur Nationalversammlung statt. Sie war die erste reichsweite Wahl, in der Frauen das Wahlrecht hatten. 80 Prozent der wahlberechtigten Frauen gaben ihre Stimme ab, 300 Frauen kandidierten, und von 423 Abgeordneten zogen 37 Frauen in die Nationalversammlung ein.

Wie sieht es heute aus? – Hier im Abgeordnetenhaus sitzen 33 Prozent Frauen. Linke und Grüne sind mit 50 Prozent Frauen vertreten. In der SPD gibt es 40 Prozent Frauen. Wie sieht es bei der Opposition aus? – CDU vier Frauen, AfD drei Frauen – Entschuldigung, zwei Frauen! –, FDP zwei Frauen. Das ist ein Niveau wie vor fast 100 Jahren.

Auf der großen, bundespolitischen Bühne sieht es nicht besser aus. Seit Oktober beträgt der Frauenanteil im Bundestag nur noch 31 Prozent. Das liegt auf dem Level der Wahlperiode von 1998. Über alle deutschen Landtage hinweg sind übrigens im Schnitt nur 32 Prozent Frauen in Parlamenten vertreten, auf kommunaler Ebene sind es 25 Prozent, und der Anteil der hauptamtlichen Bürgermeisterinnen liegt bundesweit bei vier Prozent.

Sie kennen die Zahlen alle, und ich merke auch, dass es viele hier im Parlament nicht interessiert. Aber vielleicht erreiche ich Sie mit positiven Beispielen aus den EU-Partnerländern. In Schweden besteht das Nationalparlament zu fast 44 Prozent aus Frauen, in Finnland zu 42 Prozent, in Spanien und Frankreich zu 39 Prozent und in Island und Belgien zu 38 Prozent. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens eine starke Tradition der Gleichstellungspolitik, so etwa in den skandinavischen Ländern, und zweitens eine feste gesetzliche Quotenvorgabe für die Wahllisten und Direktkandidaturen, und das nicht nur in Frankreich, sondern auch in Belgien, Griechenland, Irland, Portugal, Slowenien, Spanien und selbst im erzkonservativen Polen!

Es gibt unterschiedliche juristische Meinung zum Paritätsgesetz. Aber wer kennt das nicht? Zwei Juristen, fünf Meinungen! Ich bin keine Juristin. Ich bin Frauenpolitikerin mit Leib und Seele, und ich plädiere für eine verbindliche paritätische Quote für alle Parlamente, Ämter, Gremien auf Landes- und auf Bundesebene, so wie Brandenburg das gerade vormacht.

[Georg Pazderski (AfD): So ein Quatsch!]

Das würde in der AfD natürlich echt etwas bewirken – eine paritätische Besetzung.

[Georg Pazderski (AfD): Nein, bei uns müssen Frauen etwas leisten! So einfach ist das! ]

– Meinen Sie, dass unsere Frauen bei der Linken nichts leisten? Oder bei der Koalition? Was ist denn mit Ihnen los? Also ehrlich, das ist doch ein Kasper! Also wirklich! Das sind so Augenblicke, wo ich mir immer wünsche, dass in Berlin alle Frauen den Fernseher einschalten und so eine Debatte einfach mal mit begleiten. Ehrlich!

Vizepräsidentin Cornelia Seibeld:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kerker?

Ines Schmidt (LINKE):

Nein, nicht! –  Heute kämpfen wir wie vor 100 Jahren gegen die vielen strukturellen Benachteiligungen.

[Zuruf von Georg Pazderski (AfD)]

– Sie haben doch nachher noch eine Redezeit. Da können Sie sich doch äußern. –

Im Jahre 2017 verdiente ein Mann im Durchschnitt 21 Euro brutto pro Stunde, eine Frau ging mit 16,59 Euro nach Hause. 21 Prozent Gehaltsunterschied! Damit sind wir fast das Schlusslicht in der gesamten EU. Und das vor zwei Jahren wirksam gewordene Entgelttransparenzgesetz wird daran auch nichts ändern. Zwar erkennt das Gesetz die Lohndiskriminierung an, doch die Hürden für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind hoch und eine Lohnangleichung muss gerichtlich durchgesetzt werden. Ergebnis: In Deutschland nutzt diese gesetzliche Möglichkeit fast niemand.

Wir sind immer noch bei der Ungleichbehandlung in der Pflege, Erziehung, Rente, sexualisierte Gewalt. Und was mich wirklich wütend macht, im Jahr 2017 starben 350 Frauen durch häusliche Gewalt, allein 147 durch ihre eigenen Männer. Das ist empörend und muss endlich aufhören.

Immer noch verzichten Frauen häufiger als Männer auf höhere Studienabschlüsse und besetzen lediglich 23 Prozent der Professuren. Nur 26 Prozent der Führungskräfte im oberen Management in der Privatwirtschaft sind Frauen. Ich weiß, es sind sehr viele Zahlen, aber nur mit Zahlen können wir belegen, wo wir Frauen in Deutschland stehen. Und da, sehr geehrter Herr Abgeordneter, ist der Feiertag zum Internationalen Frauentag nicht mehr als richtig.

Dieser Tag soll uns jedes Jahr daran erinnern, wie viele Frauen schon vor uns gekämpft haben und wie viel Kampf noch vor uns liegt, um diese Ungerechtigkeiten zu beseitigen oder um mit Rosa Luxemburg zu enden:

Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht.

Wir sehen uns spätestens am 8. März auf der Straße. Ich freue mich auch auf euch. – Danke!