Ines Schmidt: Internationaler Frauentag 2019, Quelle: rbb-online.de

Internationaler Frauentag und gute Tarifabschlüsse für Berlin

Stärkung von Gleichstellung, Pflege- und Erziehungsberufen

38. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 7. März 2019

Ines Schmidt (LINKE):

Trotz der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jah­ren und somit der Durchsetzung der Demokratie liegt die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern noch in weiter Ferne. Immer noch klafft bei den Gehältern zwischen den Geschlechtern in Deutschland eine tiefe Lücke: aktuell 21 Prozent. Immer noch leisten Frauen täglich 52 Prozent mehr unbezahlte Erziehungs- und Pflegearbeit als Männer. Immer noch bekommen Frauen heutzutage gerade mal halb so viel Rente wie Männer. Vor allem ältere Frauen sowie Alleinerziehende, die zu 90 Prozent weiblich sind, sind besonders stark von Armut betroffen. Diese Ungerechtigkeit muss beendet werden.

Dafür sind wir hier im Abgeordnetenhaus verantwortlich. Wir müssen dafür sorgen, dass Frauen und Männer zu gleichen Teilen die Politik gestalten. Das Geschlecht der Abgeordneten spielt bei der Themensetzung und Entscheidungsfindung im Parlament eine wesentliche Rolle. Sozialisation und Lebenserfahrung von männlichen und weiblichen Abgeordneten unterscheiden sich und beeinflussen ihre politischen Perspektiven, Interessen und Prioritäten und spiegeln den Querschnitt der Bevölkerung wider. Was wir jetzt haben, ist wahrlich nicht die Hälfte der Bevölkerung.

Auch wenn Frauen formal im Bereich der politischen Partizipation die gleichen Rechte besitzen, haben sie dennoch nicht die gleichen realen Möglichkeiten, diese in vollem Umfang in Anspruch zu nehmen. Insbesondere Frauen mit geringem Einkommen und hoher Sorgeverantwortung für andere Menschen haben kaum die Möglichkeit, ihr passives Wahlrecht wahrzunehmen. Es sind Alleinerziehende, pflegende Angehörige, Frauen aus dem Niedriglohnsektor – keine Zwischenfragen! –, Frauen mit Rassismuserfahrungen und viele andere marginalisierte Frauen, die am wenigsten am Politikbetrieb partizipieren und deren Sichtweise im Parlament und in der Regierung fehlen. Darum brauchen wir im Parlament, in der Wirtschaft und in allen Gremien Frauen, die auch alle Themen der Frauen repräsentieren.

Also brauchen wir, völlig plausibel, das Paritätsgesetz.

Präsident Ralf Wieland:

Frau Kollegin! Ich darf Sie fragen, ob Sie Zwischenfragen zulassen? – Nicht. – Also grundsätzlich nicht?

Ines Schmidt (LINKE):

Grundsätzlich nicht.

Präsident Ralf Wieland:

Gut, danke!

Ines Schmidt (LINKE):

Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus meiner langjährigen Praxis als Gesamtfrauenvertreterin in den Berliner Verkehrsbetrieben erzählen. Wir haben uns in der BVG immer gewundert, dass dort keine Frauen ankommen, und haben dann bei einem Termin mit der Agentur für Arbeit festgestellt, dass laut Anforderungsprofil ein technischer Hintergrund vorhanden sein muss. Das heißt, die Verkäuferin, die Krankenschwester, die Friseuse, die Anwaltsgehilfinnen hatten überhaupt keine Chance, als Fahrerin in der BVG anzukommen. Das änderten wir ab – und nicht nur das. Wir legten ein Projekt für langzeitarbeitslosen und alleinerziehende Frauen in Zusammenarbeit mit der Agentur für Arbeit auf. Diese Zusammenarbeit war beispielgebend für die gesamte Zukunft. Die Agentur übernahm die ganzen Voruntersuchungen – polizeiliches Führungszeugnis, Gesundheitscheck, Stressgutachten –, und in der BVG wurden die Frauen zu Fahrerinnen ausgebildet.

Es ging nicht ohne Komplikationen. Die Anfangszeit in der Fahrschule wurde verändert, zwei neue Kitaplätze mussten besorgt werden, und natürlich mussten die Frauen sich mit diesen tollen Sprüchen auseinandersetzen wie „Mensch, Mutti, geh doch nach Hause, kümmer dich um deine Jören“ oder „Wie, hast heute verpennt, weil dein Kind nicht wollte? Liegt wohl eher daran, dass du schon zwei Jahre arbeitslos bist und nicht uffstehen musstest.“ – Es war für die Frauen nicht einfach, sie wurden belächelt und teils auch offen angefeindet.

Aber der Tag kam, und sie waren fertig ausgebildete Fahrerinnen. Eine Frau mit türkischem Hintergrund erzählte mir: „Frau Schmidt, Sie feiern ja immer als deutsche Familie mit der Nachbarin Geburtstag, eventuell mit der Tochter, und eventuell sind noch die Eltern da. Wenn wir feiern, sind 50, 60 Leute da. Und wir haben zusammen Geburtstag gefeiert, und dann habe ick erzählt, dass ick jetzt 26-Tonner mit 270 PS unter der Haube fahre.“ – Und dabei sind ihr die Tränen gekommen. Da habe ich erst festgestellt: Wir haben der Frau gar keinen Job gegeben. Wir haben ihr einfach ein ganzes Stück Lebensqualität geschenkt. Und das haben die Frauen erreicht – die Frauen haben dafür gesorgt, dass die Fahrerinnen in der BVG ankommen.

Noch ein Beispiel aus der BSR: Die erste Frau, die für Entsetzen sorgte, war Vera Gäde-Butzlaff, seinerzeit Vorstandsvorsitzende der BSR. Die hat gesagt: Wir brauchen 120 Straßenkehrer, und von den 120 Straßenkehrern werden die ersten 60 Plätze mit Frauen besetzt. – Ihr könnt euch vorstellen, was sich in diesem Unternehmen abgespielt hat, und auch in der Politik. Eigentlich ist sie fast zur Adoption freigegeben worden.

Sie hat es verändert. Sie hat die Zwei-Meter-Besen auf Ein-Meter-Besen gekürzt, die schweren Schubkarren wurden zu Alu-Schubkarren, und zum Schluss haben 80 Frauen angefangen – und 40 Männer. Das heißt, danach haben die Männer auch noch davon profitiert, dass die Frauen in diesem Job angefangen haben.

Im letzten Jahr wurden das erste Mal in der Geschichte – und das nach gehörigem Widerstand von Männern – die ersten 17 Müllwerkerinnen eingestellt, ihr wisst, die Mülltonnenschubser. Begründung dagegen war: Es ist körperlich zu schwer, und die Anatomie der Frauen gibt es einfach nicht her, so schwere körperliche Arbeit zu machen.

Ich möchte einfach mal daran erinnern: Wir hatten den 8. Mai 1945. Die jungen Männer, die alten Männer sind im "Volkssturm" teilweise getötet, teilweise verletzt worden. Die anderen Männer waren in Kriegsgefangenschaft. Dass innerhalb der ersten acht Tage in Berlin die erste Straßenbahn draußen auf der Straße war, das haben wir Frauen zu verdanken.

Frauen hatte man zu verdanken, dass in diesen zerbombten Städten die ersten Steine geklopft wurden und dass die ersten Leute dort wohnen konnten. Das hatten wir Frauen zu verdanken! Und zu der Zeit hat niemanden interessiert, ob das die Anatomie der Frauen überhaupt hergibt.

Ich will Ihnen damit aufzeigen, dass wir viel mehr für Frauen machen müssen und aufhören müssen, sie zu unterschätzen. Unterschätzt hat man auch die Streikkraft vor allem der weiblichen Berliner Pflegekräfte, Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen und Lehrerinnen. Das erste Mal in der Geschichte Berlins gab es sogar einen Solidaritätsakt von den Eltern, die mit auf der Straße waren, und das drei Tage lang.

Eine wesentliche Besonderheit des Tarifvertrages ist, dass viele Berufsgruppen künftig höher eingestuft werden und damit unabhängig von der Gehaltserhöhung deutlich besser bezahlt werden. Das gilt in Berlin vor allem für die 10 000 Erzieherinnen und Erzieher der landeseigenen Kitas und Schulen sowie für knapp 4 000 Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Es ist ein Erfolg auf der ganzen Linie – aber nicht für alle. Die Pflegekräfte von unseren Krankenhäusern, Vivantes und Charité, werden im nächsten Jahr auf die Straße gehen müssen, um ihre Forderungen zum kommenden Tarifvertrag zu vertreten, denn der wird erst im nächsten Jahr verhandelt. Wieder mussten Frauen und Gewerkschaften für ihre Rechte auf die Straße gehen und kämpfen, um dieses Tarifergebnis zu erzielen.

Und jetzt kommen wir wieder zum Paritätsgesetz. Denn das Geschlecht im Parlament hat enormen Einfluss auf Themensetzung, Politik, und vor allem auf die Entlohnung von typischen Frauenberufen. Ein nicht gleichberechtigt besetztes Parlament befördert nicht gleichberechtigte politische Entscheidungen und Gesetze. Ein paritätisch besetztes Parlament würde außerdem wieder mehr Menschen erreichen, die sich nicht mehr repräsentiert fühlen. Darum haben wir Linken in der letzten Woche einen Gesetzesentwurf als Diskussionsgrundlage für ein Parité-Gesetz an die Grünen und die SPD übergeben.

Ich jedenfalls werde keine weiteren 100 Jahre warten, bis Frauen das bekommen, was ihnen verfassungsmäßig zusteht, nämlich die Hälfte der Macht – und somit auch der Sitze im Parlament.

Wir sehen uns morgen um 14 Uhr auf dem Alexanderplatz, denn der Internationale Frauentag, das wisst ihr jetzt alle, ist in Berlin ein Feiertag, und den haben wir uns verdient.

[Bernd Schlömer (FDP): Da ist doch kein Strom!]

– Doch, da ist Strom – wirst du sehen! Und wenn nicht, stellen wir dich da als Lampe auf, da kennen wir nichts, ehrlich!

So, wir haben den Feiertag, wie gesagt, eine Lampe haben wir jetzt auch. Das ist ein Kampftag, und das wird ein Kampftag bleiben so lange, bis die strukturellen Benachteiligungen von Frauen beseitigt sind. Und das ist nicht nur eine Drohung, das ist ein Versprechen! – Vielen Dank!