Leerstandsmelder statt Baulückenkataster
Die FDP betrachtet den städtischen Wohnungsmarkt zudem lediglich aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive der Immobilienunternehmen. Der gesamtstädtische Blick fehlt. Das ist kein Wunder. Rot-Rot-Grün hat sich hingegen auf die Erstellung eines Leerstandskatasters geeinigt und greift damit eine bundesweit bekannte Initiative auf.
10. Sitzung, 4. Mai 2017
Nr. 3.5:
Debatte zum Antrag der Fraktion der FDP: "Ein Baulückenkataster für Berlin"
Aus dem Wortprotokoll
Katalin Gennburg (LINKE):
Vielen Dank! – Ich hätte große Lust, in philosophische Auseinandersetzungen über die Frage, was der Unterschied zwischen Mühlheim, Berlin und Oranienburg ist, einzusteigen. Leider ist das hier nicht der richtige Zeitpunkt, aber wir können das später einmal nachholen, Herr Förster. – Es geht eben nicht um Mut zur Baulücke, sondern um Mut, ein strategisches Flächenmanagement zu organisieren. Der FDP-Antrag gründet auf der Annahme, die Wohnungsnot in Berlin ließe sich ganz einfach durch Neubau lindern.
[Sibylle Meister (FDP): Genau!]
Die FDP betrachtet den städtischen Wohnungsmarkt zudem lediglich aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive der Immobilienunternehmen. Der gesamtstädtische Blick fehlt. Das ist kein Wunder.
Rot-Rot-Grün hat sich hingegen auf die Erstellung eines Leerstandskatasters geeinigt und greift damit eine bundesweit bekannte Initiative auf. Der Leerstandsmelder, auch zu finden im Internet, sammelt Informationen über leer stehende Objekte landauf und landab und engagiert sich so für die sozial und ökologisch sinnvolle Nutzung von leerstehenden Gebäuden, statt immer nur neue Flächen zu versiegeln, Bodenpreise anzuheizen und Investoren die Verfügungsmacht über die Nutzung oder das Verfallen von Räumen zu überlassen.
„Eigentum verpflichtet“ heißt es in § 14 des Grundgesetzes, und der Paradigmenwechsel in der Stadtentwicklungspolitik einer linken Landesregierung besteht eben in der – Achtung aufgepasst! – strategischen Flächenrückgewinnung. Wir müssen angesichts der Flächenkonkurrenzen in Berlin die untergenutzten Räume verfügbar machen und aus dem Marktmonopoly herauslösen.
Dass ein Großteil der privaten Wohnungswirtschaft trotz jahrelang ausreichendem Flächenangebot bei der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum für niedrige und mittlere Einkommen völlig versagt hat und sich lieber auf den Bau von hochpreisigen Miet- und Eigentumswohnungen konzentriert, ist bekannt. Das bestärkt uns in unserem Handeln gegen spekulativen Leerstand und Spekulation mit und auf städtischen Flächen.
Dass der Antrag zudem beinhaltet, leerstehende Gebäude ungeachtet ihres baulichen Zustands als potenzielle Neubauflächen auszuweisen und damit dem Abriss preiszugeben, verdeutlicht, dass es der FDP in Wahrheit gar nicht um die Schaffung bezahlbaren Wohnraums geht, denn die Flächen müssen wir ja erst einmal zurückgewinnen.
Der FDP-Antrag basiert außerdem auf der Annahme, dass freie Flächen in Berlin nur für den Wohnungsneubau gebraucht würden. Dass aber Stadtentwicklung weit mehr umfasst als Wohnen, hat heute Frau Spranger schon ausgeführt. Es geht auch um Flächen für Gewerbe, soziale Infrastruktur, wie Kindergärten und Schulen, Grün- und Freiflächenmangel oder aber um Räume für nachbarschaftliche Initiativen – Achtung, Herr Czaja! –, auch für den Anbau von Roter Bete, und Kulturschaffende und nicht zuletzt für neue Produktionsstandorte. Das ist Ihnen wohl entgangen.
Offensichtlich denken Sie Berliner Stadtplanung im stadthistorischen Raster der Kaiserzeit und wollen das von Werner Hegemann beschriebene steinerne Berlin wieder auferstehen lassen. Nein, danke! Städtebauliche Moderne ist Ihnen wohl entgangen.
Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten, der auf dem Platz von Herrn Krestel sitzt?
Katalin Gennburg (LINKE):
Ja! Los geht’s!
Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:
Bitte, Sie haben das Wort!
Frau Kollegin Gennburg! Nur eine kurze Frage: Haben Sie unseren Antrag eigentlich gelesen?
[Katalin Gennburg (LINKE): So ist es!]
Dann hätten Sie nicht dem Trugschluss unterliegen dürfen, wir hätten uns nur für den Zweck des Wohnungsneubaus für eine Identifizierung von Baulücken ausgesprochen. Es geht uns um ein effizientes Bebauen der Flächen oder Baulücken, die in Rede stehen. Davon haben wir gesprochen. Das war nicht beschränkt auf Wohnungsbau.
Was war jetzt Ihre Frage? Ob ich den Antrag gelesen habe? – Ja, das habe ich.
[Florian Swyter (FDP): Das ist gut!]
Die städtebauliche Moderne gab es in Ost wie West, und danach ist ein schematisches Denken in Baulücken nicht machbar. Werte FDP! Wir rangieren eben keine Bauklötzchen, sondern wir machen Stadtentwicklungspolitik mit stadthistorischem Bewusstsein.
[Beifall bei der LINKEN –
Lachen bei der FDP]