Volksinitiative „Bucht für Alle“

Katalin Gennburg

55. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 5. März 2020

Zu Volksinitiative „Bucht für Alle“

hierzu:

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Annahme einer Entschließung
Drucksache 18/2298-1

Katalin Gennburg (LINKE):

Ich nehme den Vorschlag von Herrn Förster gerne auf, dass ich länger reden darf, weil ich Geburtstag habe. – Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Damen und Herren! Wir reden heute über die Volksinitiative zur Rummelsburger Bucht und damit auch über den Stand des stadtpolitischen Paradigmenwechsels, den sich diese Koalition vorgenommen hat und damit auch darüber, wie wir den Ausverkauf der Stadt tatsächlich beenden können. Das ist ein hehrer Anspruch.

Zumindest möchte ich erst einmal sagen, ein großer Dank geht auf jeden Fall auch an die Initiative, dass sie sich drangemacht hat, diese Auseinandersetzung noch in das Parlament zu tragen, zu einem Zeitpunkt, als es schon mit dem Bebauungsplan ziemlich weit fortgeschritten war. Immerhin hat die Initiative 34 707 Unterschriften vorgelegt. – Vielen Dank dafür!

Insbesondere dass die Volksinitiative einen rot-rot-grünen Senat mit dieser Auseinandersetzung konfrontiert, ist bemerkenswert, denn wir haben einiges versprochen. Die Dramatik der Auseinandersetzung über die Volksinitiative ist eben auch die Nagelprobe für den Politikwechsel in dieser Stadt. Ich habe zu Ehren der Initiative und aller stadtpolitischen Bewegungen heute mal mein Lieblingszitat des Sozialpsychologen Alexander Mitscherlich mitgebracht. Ich zitiere:

Es hat sich ein circulus vitiosus herausgebildet:

Da die Verankerung des in den Städten aufwachsenden Menschen in seiner Kindheit mit weit mehr Enttäuschungen, Beschränkungen, Verzichten, Verboten belastet ist, als dies bei vernünftigem Bedenken seiner Bedürfnisse notwendig wäre, wächst zwar ein stadtgeborener Bürger auf, aber keiner, dem diese seine Stadt wirkliches Interesse, wirklichen Respekt abnötigt. Er ist zu früh auf die egoistischen Regulationen vom Typus „Das Betreten des Rasens ist verboten“ getroffen, um später anders als egoistisch sich seinen Weg durch das „Dickicht der Städte“ bahnen zu können.

Wollen wir also diesen in die Sozialpathologie führenden Zirkel durchbrechen, so müssen wir dem Kind und Jugendlichen den ihm angemessenen Spielraum – im unmittelbaren Wortsinn – schaffen und gegen alle sonstigen Zweckmäßigkeitserwägungen offenhalten. Das wird nur gelingen, wenn unermüdlich Aufklärungsarbeit geleistet, wenn kräftig wiedergekäut wird, bis es auch der letzte Stadtverordnete verstanden hat. Bis er verstanden hat, dass er nicht nur für die Legung einer neuen Straßentrasse, sondern ebenso für die Schaffung eines Spielplatzes Boden in der Stadt enteignen kann.

– Ist das nicht ein schönes Zitat? Von 1965. – Ich will ganz klar sagen an die Initiative, auch im Sinne Mitscherlichs: Durch den Einsatz der Initiative reden wir heute überhaupt erst darüber, dass wir mehr Sozialwohnungen für den B-Plan haben, eine mögliche Verhinderung auch von Coral World im Raum steht und über Ersatzplätze für die Wagenplätze gesprochen wird. Wir reden nicht zuletzt über die Zukunft der Stadtentwicklung, das ist doch ganz klar. Es ist eben auch ganz klar, dass wir hier alle kollektiv mit drinhängen. Das ist Chance und Dilemma zugleich. Keiner kann sich entziehen und sagen, er hätte damit nichts zu tun. Wir haben ein Problem in ganz Berlin mit uralten Planungen, die uns Probleme bereiten, und wir haben auch ein Problem mit einer zweistufigen Verwaltung.

Das ist doch klar. Die Initiative hat auch in der Anhörung deutlich gemacht, dass es um die Zukunft geht, um die Zukunft der Bürgerbeteiligung, um ein Miteinander von Bezirken und Senat. Das sage ich auch ganz kollektiv, weil Sie sich, Herr Schneider, aufregen, an unsere Genossen in Lichtenberg.

Hier gehen wir gemeinsam mit einem Problem vom Platz, weil es eben um progressive Stadtentwicklung geht und aufgrund der Vorläufe, die unwirksam werden. Es ist natürlich ein Fehler gewesen, dass wir diese letzten Grundstücke verkauft haben. Das will ich auch noch mal klar sagen.

Wir haben gestern im Ausschuss auch über die Europacity geredet, und es gibt eine Verbindung auch zur Rummelsburger Bucht. Wir reden hier über städtebauliche Sünden, und ich sage bewusst Sünden, im Gegensatz zu Frau Spranger, über die, die Sprache des Ausverkaufs sprechen und wo die Zeit über solche Planungen hinweggegangen ist, wo man auch mal hier und da sagen kann: Das war wirklich ein Fehler. Insofern auch der Vorschlag von uns, tatsächlich ein Quartiersmanagement für neue Stadtquartiere einzurichten. Die Europacity braucht ein Quartiersmanagement. Das ist ein Problemquartier. Es muss jetzt erst einmal als soziales Gefüge eingerichtet werden.

Mit Blick auf die Anhörung im Ausschuss will ich auch noch einmal sagen: Ich nehme Herrn Verrycken beim Wort, dass er gesagt hat, man muss perspektivisch darüber nachdenken, wie man die Rückabwicklung von veralteten Planungen auch finanziell untersetzt. Insofern wünsche ich mir tatsächlich mehr Entschlossenheit. Es wäre mehr Entschlossenheit auch für unsere Stellungnahme gut gewesen. Die war nicht ganz einfach herzustellen. Aber wenn sogar CDU und FDP auch gestern im Ausschuss gesagt haben, sie plädieren für ein Ablaufdatum von Bebauungsplänen, kann ich nur sagen: Super, das machen wir. – Nur zur Erinnerung: Herr Evers hat gesagt, wir müssen Spekulationsspiralen durchbrechen.

Da nehmen wir Sie beim Wort. Wir gehen hier entschlossen voran und danken sehr dafür, dass die Initiative all diese Prozesse angeregt hat. – Vielen Dank!

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