Mehr Menschen mit Migrationsgeschichte in die Verwaltung

IntegrationKatina Schubert

78. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 6. Mai 2021

Zu Gesetz zur Neuregelung der Partizipation im Land Berlin (Priorität der Fraktion Die Linke)

Katina Schubert (LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich sollte hier mein Kollege Hakan Taş stehen, unser partizipationspolitischer Sprecher, den eine Covid-19-Infektion ziemlich umgehauen hat. Ich wünsche ihm von hier aus noch einmal alles Gute und, dass er schnell wieder gesund wird.

Ich hoffe, ich mache jetzt alles richtig und so, wie er sich das wünscht, denn er war derjenige, der das Gesetz auf Abgeordnetenebene mitverhandelt hat.

Zu den Regelungen, die das neue Partizipations- und Migrationsgesetz bringt, hat die Senatorin gerade schon eine Menge gesagt. Ich würde trotzdem gern kurz die letzten zehn Jahre nachzeichnen, denn die Einbringung des Partizipations- und Integrationsgesetzes –Ende 2010 ist es in Kraft gesetzt worden – hat eine recht große gesellschaftliche Debatte hervorgerufen. Damals diskutierten wir noch, ob jetzt Weihnachten verboten wird und ob eine Änderung der Bestattungsregelungen möglicherweise schwere Verwerfungen auf den Friedhöfen nach sich zieht. Ich bin froh, dass das alles nicht mehr stattfindet, sondern klar ist: Berlin ist eine vielfältige Stadt, in der verschiedene Möglichkeiten des Lebens ihren Platz haben.

Deswegen finde ich es sehr gut, dass die Integrationsbeauftragte eine Kampagne gestartet hat, #GesetzDerOffenenTür, denn darum geht es tatsächlich: dass die Türen, die immer noch geschlossen sind, zum Teil unsichtbar, dass die gläsernen Decken, die wir überall noch haben, durchlässig werden. – Das betrifft übrigens auch meine Partei. Bevor sich jetzt wieder irgendjemand aufregt: Ja, auch meine Partei ist noch zu weiß und noch zu deutsch.

Wir haben längst die entsprechenden Beschlüsse gefasst, um auch hier mehr Durchlässigkeit, mehr Diversität, mehr Buntheit zu ermöglichen.

[Franz Kerker (AfD): Zu rot sind Sie!]

– Dass das für Sie nicht wichtig ist, ist mir völlig klar. Ich muss mir nur anschauen, wie es bei Ihnen aussieht: Sie haben noch nicht einmal genügend Frauen in Ihren Reihen.

Auch das ist eine Erfahrung, die wir haben: wie lange es gedauert hat, dass es selbstverständlich ist, dass Frauen auf allen Hierarchieebenen vertreten sind, dass die gläsernen Decken in den Karriereplanungen zurückgefahren sind. Ganz weg sind sie immer noch nicht. Dass sie aber zurückgefahren sind, ist ein Ergebnis von intensiver und gezielter Frauenförderung. Genau so muss es auch mit der Förderung von Menschen mit Migrationsgeschichte und Migrationshintergrund sein.

Den Unterschied hat Frau Breitenbrach gerade schon erklärt: Migrationshintergrund hat jemand, der entweder selbst oder von dem mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren ist, sodass also sozusagen die Migrationserfahrung noch unmittelbar spürbar ist. Migrationsgeschichte geht viel weiter zurück: wenn jemand von schwarzen Einwanderern abstammt, die zum Beispiel im Wege des kolonialistischen Schaustellerhandwerks kamen – was es alles so gab. Es wurden ja solche Völkerschauen in Berlin veranstaltet. Wer da übriggeblieben ist, ist schwarzer Hautfarbe, hat aber keinen Migrationshintergrund, er ist nämlich seit sechs Generationen nicht eingewandert – und wird trotzdem rassistisch diskriminiert. Die gläsernen Decken im Aufstieg im öffentlichen Dienst sind allgegenwärtig. Deswegen ist es so wichtig, dass diese Kategorie in das Gesetz eingeführt worden ist.

Dann geht es mit diesem Gesetz darum, diese Kategorien zu operationalisieren und klarzustellen, wie wir den Anteil der Bevölkerung mit Migrationsgeschichte tatsächlich innerhalb des öffentlichen Dienstes des Landes Berlin abbilden. Das ist nicht nur wichtig, weil Menschen mit Migrationsgeschichte in diesem Land die gleichen Rechte haben wie alle anderen, sondern auch, weil Bürokratie, weil öffentlicher Dienst sich so verändern muss, dass sie auch als Willkommensbehörden fungieren, und zwar überall und auf allen Ebenen, damit Bürgerinnen und Bürger nicht das Gefühl haben, sie sind von Willkür abhängig in der Frage, ob man mit ihnen vernünftig umgeht oder ob sie schlimme Erfahrungen machen müssen, weil sie zum Beispiel schwarzer Hautfarbe sind. Das ist wichtig, und deswegen ist migrationspolitische Kompetenz genauso zentral wie die Kategorie Migrationsgeschichte.

Für die klaren Zielvorgaben, die wir in dem Gesetz festgeschrieben haben, hätte ich mir zwar auch gewünscht, dass es eine harte, sanktionierbare Quote gibt, aber das geht eben noch nicht. Wir haben aber klare Zielvorgaben, und das ist erst einmal ein wichtiger Schritt. Diese klaren Zielvorgaben sind aber nur dann umsetzbar, wenn wir auch klare Datenlagen haben. – Ich habe mit meinem Kollegen Taş eine Abfrage gemacht: Wir wissen nicht, wie viele Menschen mit Migrationsgeschichte im öffentlichen Dienst des Landes Berlin beschäftigt sind, und wir wissen noch viel weniger, wie viele eigentlich in den oberen Hierarchieebenen beschäftigt sind. Ich freue mich darüber, dass mittlerweile 38 Prozent der Berufsanfängerinnen und -anfänger der Polizei Migrationsgeschichte haben. Das ist eine gute Sache. Aber wie viele davon finden sich in den oberen Führungsebenen der Polizeibehörden? – Sehr wenige.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir diese Durchlässigkeit organisieren und dass es möglich wird, die Zielvorgaben auf allen Hierarchieebenen zu erfüllen – und dafür brauchen wir die Daten.

Genauso wichtig ist es, dass die Datenabgabe freiwillig ist. Denn niemand darf gezwungen werden, sich selbst Zuschreibungen machen zu müssen, die er vielleicht gar nicht haben will.– Deswegen Freiwilligkeit!

Natürlich ist es ein Unterschied, ob ich blond, blauäugig und aus Dänemark zugewandert bin oder ob ich schwarze Haare und einen dunklen Teint habe und vielleicht aus Syrien, Italien oder Bosnien-Herzegowina zugewandert bin. Entsprechend werde ich natürlich unterschiedlich behandelt, das ist leider immer noch so – und da kommt dann wieder die migrationsgesellschaftliche Kompetenz ins Spiel, die sich durch alle Hierarchieebenen ziehen muss in unserem öffentlichen Dienst.

Warum noch ist uns das so wichtig? – Wir leben in Berlin mittlerweile in einer Stadt, in der Menschen aus 200 Nationen zu Hause sind und das oft schon seit vielen Generationen. Man nennt das die postmigrantische Gesellschaft, weil nicht alle aktuell eingewandert sind. Diese postmigrantische Kompetenz braucht es, um unsere Gesellschaft tatsächlich so zu gestalten, dass sich alle als gleichberechtigte und gleichwertige Teilnehmerinnen und Teilnehmer fühlen. Deswegen ist es genauso wichtig, dass wir nicht Menschen ausgrenzen, die sich dann ihre eigenen Sphären schaffen – wo wir dann die Polizei hinschicken, denn das ist sozusagen die Perpetuierung von Ausgrenzung und letztendlich von rassistischen Zuschreibungen. Deswegen ist das Partizipations- und Migrationsgesetz die eine und das Landesantidiskriminierungsgesetz die andere Seite der Medaille. Beide zusammen bieten wirksame Instrumente gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung und zur Gestaltung von Berlin als einer Stadt der Vielfalt und der Diversität.

Wenn wir nur wenige Monate zurückdenken: Der Anschlag von Hanau war, glaube ich, für viele Menschen mit Migrationsgeschichte ein echter Einschlag, denn es war nicht nur eine Folge von einer Kontinuität mörderischer Angriffen und Morde, es war insofern auch noch etwas Neues, als klar war, hier wurden Deutsche ermordet. Plötzlich musste eine weiße Mehrheitsgesellschaft erkennen, dass sie gar nicht mehr nur weiß ist, sondern dass sie divers ist und dass Rassismus etwas ist, das für die gesamte Gesellschaft existenziell zu bekämpfen ist, weil sie ansonsten dabei insgesamt an Kohäsionskraft verliert – wir hatten das Thema heute schon. Auch deswegen ist dieses Gesetz so wichtig: dass wir Rassismus kenntlich machen können, dass wir ihn bekämpfen können und dass unsere Verwaltungen bunter und diverser werden.

Elke Breitenbach hat es gerade schon genannt: Ein wichtiges Instrument ist auch der Roma- und Sinti-Beirat, den wir eingeführt haben. Dem voraus ging ein langer und intensiver Prozess des Community-Buildings. Die Communities sind in Berlin durchaus unterschiedlich: Wir haben die Autochthonen, die EU-Bürgerinnen und EU-Bürger – mit zum Teil sehr schwierigen Aufenthaltsbedingungen –, die Zugewanderten und auch die Flüchtlinge, die zum Teil seit 25 Jahren in Berlin und immer noch mit einem prekären Aufenthaltsstatus ausgestattet sind. Sie alle eint, dass sie von Antiziganismus brutal betroffen sind, dass ihnen immer wieder Rassismus und Abwertung entgegengebracht werden, und sie sind gleichzeitig die größte europäische Minderheit, die wir haben. Wir haben heute beschlossen, den Europabezug in die Verfassung von Berlin aufzunehmen. Umso wichtiger ist es, dass wir der größten Minderheit in Europa hier in Berlin eine Heimstatt der Teilhabe, der Partizipation und der Gleichberechtigung ermöglichen.

Deswegen ist, glaube ich, dieser Beirat, den wir hier eingeführt haben, ein echter Meilenstein und geht noch weiter als das, was wir auch schon in anderen Bundesländern haben, nämlich Staatsverträge abzuschließen. Hier ist originäre Teilhabe, eine originäre Partizipation an der politischen Willensbildung im Land Berlin vorgesehen. Das ist etwas neues, das ist etwas Gutes. In diesem Sinne freue ich mich auf die Ausschussberatungen und hoffe, dass wir dieses Gesetz mit großer Mehrheit und großer Begeisterung verabschieden. – Vielen Dank!