Schlussfolgerungen aus dem DDR-Unrecht ziehen

Katina Schubert

Ich will mich mit dem Antrag der CDU auseinandersetzen. Er verlangt, dass keine Person, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet hat, in Positionen der Regierung entsandt werden dürfe. Das ist sehr weitreichend.

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Aus dem Wortprotokoll

4. Sitzung, 12. Januar 2017

lfd. Nr. 15:

Schlussfolgerungen aus dem DDR‑Unrecht ziehen

Antrag der Fraktion der CDU
Drucksache 18/0054

 

Präsident Ralf Wieland:

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Linke Frau Schubert!

Katina Schubert (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich mit dem Antrag der CDU auseinandersetzen. Er verlangt, dass keine Person, die direkt oder indirekt mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet hat, in Positionen der Regierung entsandt werden dürfe. Das ist sehr weitreichend.

[Heiko Melzer (CDU): Wörtlich abgeschrieben! –
Sven Rissmann (CDU):Thüringen!]

Das Sicherheitssystem der DDR war weit mehr als das Ministerium für Staatssicherheit. Dazu gehörten die Polizei, die Armee, die Betriebskampfgruppen. Der Gedanke repressiver Herrschaftssicherung zog sich durch den gesellschaftlichen Aufbau der DDR insgesamt, von der FDJ bis in jeden Betrieb. Und der Antrag ist einseitig. Schlussfolgerungen ziehen heißt nämlich auch, sich mit den Strukturen der DDR kritisch auseinanderzusetzen, zu ergründen, mit welchen Mechanismen die Staatssicherheit die Gesellschaft durchdrungen hat, mit welchen Methoden sie Menschen zur Mitarbeit gebracht hat.

[Mario Czaja (CDU): Ihre Dialektik ist unverschämt den Opfern gegenüber! –
Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

– Gut, das nehme ich zur Kenntnis! Ich würde Sie trotzdem bitten, jetzt zuzuhören. Das habe ich nämlich bei Ihrem Beitrag auch getan – und zwar sehr genau!

[Sebastian Czaja (FDP): Macht er ja, sonst hätte er den Zwischenruf nicht machen können! –
Heiterkeit und Beifall bei der FDP, der CDU
und der AfD]

Präsident Ralf Wieland:

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben bisher, glaube ich, die Debatte sehr sauber geführt. Belassen wir es dabei!

Katina Schubert (LINKE):

Schlussfolgerungen zu ziehen heißt auch zu begreifen, dass die Herrschaftspraxis des real existierenden Sozialismus nach dem Freund‑Feind‑Schema, nach dem Prinzip von schwarz oder weiß funktionierte, ein Prinzip, das wir in einer parlamentarischen Demokratie nicht anwenden sollten. Ein großes Verdienst der Bürgerkomitees in den Wendewochen 1989/1990 und den folgenden Jahren war es, die Vernichtung der Stasi‑Akten verhindert zu haben und einen Prozess der Aufarbeitung von Unrecht, Repression und Bespitzelung durch das MfS gegenüber vielen DDR‑Bürgerinnen und -Bürgern in Gang gesetzt zu haben. Das war damals nicht widerspruchslos. Das Stasi-Unterlagengesetz war bis in die Reihen der CDU zunächst umstritten. Der Prozess der Aufarbeitung war zutiefst schmerzhaft für die Opfer von Zersetzung und Bespitzelung. Viele mussten erfahren, dass sie von nahen Angehörigen oder Freunden verraten wurden. Es war auch für diejenigen schmerzhaft, die erkennen mussten, was für einem Apparat sie gedient haben. Ich kann nachvollziehen, dass es für diejenigen eine Zumutung ist, dass jetzt ein Mann mit Stasi‑Vergangenheit in ein Regierungsamt gekommen ist, dennoch sage ich: Aufarbeitung funktioniert nicht nach dem Gut‑Böse‑Schema.

Heute wissen wir, dass es sehr unterschiedliche Formen von Stasi‑Mitarbeit gab, freiwillige von Menschen, die glaubten, damit dem Sozialismus oder der Sicherheit des Staates zu dienen, erzwungene, erpresste Mitarbeit. Es gab inoffizielle Mitarbeiter, die selbst bespitzelt wurden und später zu Opfern wurden. Es gab unglaubliche Verdrängungsleistungen, sodass sich manche Menschen tatsächlich nicht mehr erinnerten, was sie einst als Verpflichtungserklärung unterschrieben haben.

[Lachen bei der CDU und der AfD]

– Ich würde darüber nicht lachen! Fragen Sie einmal in Ihren eigenen Reihen nach! Niemand von den Parteien hier, der aus der DDR kommt, ist ganz sauber. Gucken Sie in die Vergangenheit, und dann seien Sie sehr vorsichtig mit Ihren Ausfällen!

[Oh! und Lachen bei der CDU und der AfD –
Stefan Franz Kerker (AfD): Unglaublich!]

Natürlich gab es auch diejenigen, die es genossen haben, Macht auszuüben und andere zu unterdrücken, und es gab noch viele Zwischenformen. Schlussfolgerungen aus dem DDR‑Unrecht zu ziehen heißt auch, nicht auf Pauschalverurteilungen abzuzielen, sondern den Einzelfall zu betrachten.

[Zuruf von Dr. Gottfried Ludewig (CDU)]

Und damit komme ich zu Andrej Holm. Er war 18 Jahre alt, als er zur Stasi kam. Er wollte die Laufbahn des MfS‑Offiziers antreten. Daraus hat er nie einen Hehl gemacht und sich 2007, als er weit davon entfernt war, irgendetwas in Sachen Regierung machen zu wollen, in der „taz“ dazu öffentlich erklärt. Er hat sich gegenüber den Angehörigen der DDR‑Opposition offenbart. Das hat die „telegraph“‑Redaktion noch mal sehr deutlich klargemacht. Diverse Experten haben bezeugt, dass Andrej Holm persönlich keine Schuld auf sich geladen hat.

[Lachen bei der AfD –
Zurufe von Dr. Gottfried Ludewig (CDU)
und Marcel Luthe (FDP)]

Heißt das für die CDU, dass er trotzdem einer Kollektivschuld unterworfen ist? Schlussfolgerungen ziehen heißt auch, die Aufarbeitung voranzutreiben. Den Campus der Demokratie in der Normannenstraße auf dem Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale weiter auszubauen, das ist doch nichts Lachhaftes, das ist doch eine gute Sache, wenn man daraus lernt, was alles schiefgegangen ist in der Stadt Berlin während der DDR‑Zeit. Wichtige Institutionen wie die Robert-Havemann‑Gesellschaft sollen weiter unterstützt werden. In zwei Jahren werden wir den 30. Jahrestag der friedlichen Revolution begehen. Auch das ein Anlass, den Stand, die Klippen von Aufarbeitung und Schlussfolgerungen für ein demokratisches Gemeinwesen zu überprüfen. Das will, das muss die Koalition leisten. Aber die Koalition kann nicht hingehen und Leute nach Schema F verurteilen und ihnen die Existenz nehmen. Das ist, glaube ich, kein sinnvoller Weg. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]