Wie weiter in der Corona-Krise

Katina Schubert

Nach Corona wird vieles nicht mehr so sein wie vorher. Eine zentrale Frage wird sein: Wer bezahlt die Zeche für den Shutdown. Unser Ziel muss sein: Es dürfen nicht die Beschäftigten und Erwerbslosen sein, auf deren Rücken die Folgen der Krise ausgetragen werden. Das muss auch der Kompass für unsere Position zu staatlichen Hilfsmaßnahmen sein.

Der wochenlange Shutdown hat erhebliche Auswirkungen auf die Psyche und den Erfahrungshintergrund der Menschen. Das wird das Herangehen an Gesellschaft und Leben in der Gesellschaft neu prägen.

Die sozialen Verwerfungen, die aus dem Shutdown resultieren, werden lange währen. Die Corona-induzierte Erwerbslosigkeit und die Folgen massiver Einkommensverluste werden den Zugang vieler zu Konsum, Wohlstand, kultureller und sozialer Teilhabe erheblich einschränken, wenn nicht politisch gegengesteuert wird.

Die Segregation im Bildungsbereich wird durch Home-Schooling und den ungleichen Zugang zu digitaler Teilhabe noch mal verschärft. Das wird nicht in wenigen Tagen oder Wochen auszugleichen sein. Auch hier braucht es eine massive Gegensteuerung.

Die betriebliche Ausbildung steht vor erheblichen Problemen, vermutlich nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in den Folgejahren. Eigentlich ausbildungsbereite Unternehmen schrecken angesichts unklarer Aussichten vor dem Abschluss von Ausbildungsverträgen zurück, andere Ausbildungsverhältnisse sind gekündigt.

Das gesellschaftliche Bewusstsein, dass die soziale und öffentliche Infrastruktur Marktgesetzen nicht folgen kann und darf, ist indessen gewachsen.

Gleiches gilt für gesellschaftliche Solidarität.  Dies zeigt sich in vielen Nachbarschaftsinitiativen, Gabenzäunen und ähnlichem. Die andere Seite der Medaille ist, dass der autoritäre Mob mit dem Ruf nach immer weiteren Freiheitseinschränkungen und nationaler Abschottung von der Kette gelassen ist und antisemitische und rassistische Verschwörungstheorien in Zusammenhang mit dem Coronavirus erheblichen Zulauf erfahren.

Das Kommunikationsverhalten wird sich nachhaltig verändern. Viele Teile der Gesellschaft haben gelernt, dass digitale Teilhabe möglich und sinnvoll ist. Das wird positive Folgen haben, zum Beispiel durch eingeschränkten geschäftlichen Reiseverkehr und damit verbundenem reduzierten Ressourcenverbrauch. Es wird aber auch negative Folgen, zum Beispiel für die Beschäftigten in der Reisebranche.
 

Es eröffnet sich ein Möglichkeitsfenster für linke Politik:

Die Diskussion um die Leistungsstärke des Gesundheitswesens im Zeichen der Krise hat aufgezeigt, dass die Stärkung des Öffentlichen und die Zurückdrängung marktförmiger Regulationsweisen in den Bereichen öffentlicher Daseinsvorsorge auf gesellschaftlichen Rückhalt stößt.

Für den Gesundheitsbereich heißt das: Die Krankenhäuser, die ambulante Versorgung, die Eingliederungshilfe sowie die Alten- und Krankenpflege brauchen Puffer für Krisenzeiten und dürfen nicht länger einer vollständigen Ökonomisierung unterliegen. Insbesondere gewinnorientierte Träger von Krankenhäusern, aber auch in der Altenpflege zeigen in der Krise, dass sich diese Geschäftsmodelle nicht mit dem Gedanken von Vorsorge und Gemeinnutzen vertragen. Hier ist über Wege zur Rekommunalisierung zu reden. Gesundheitsämter, Sozial- und Jugendämter, der Öffentliche Gesundheitsdienst insgesamt und der sozial-psychiatrische Dienst waren schon im Normalbetrieb hoffnungslos unterausgestattet. Nun müssen sie krisenfest gemacht werden – und das nicht nur für die Dauer der Pandemie, sondern auch mittel- und langfristig.

Die Corona-Krise hat die Gesellschaft ins kalte Wasser plötzlicher Digitalisierung von beruflicher, schulischer und privater Kommunikation geworfen. Die Infrastruktur ist hierfür unzureichend. Es muss deshalb jetzt um die Sicherung und den Ausbau digitaler Infrastruktur für alle gehen. Insbesondere muss die digitale Infrastruktur in Bildung, Wissenschaft und Verwaltung massiv ausgebaut werden Die Krise hat den Rückstand Berlins bei der Infrastruktur noch einmal eindringlich vor Augen geführt. Der Breitbandausbau ist auch im Metropolenraum zu forcieren.

Der akute Mangel an Schutzausrüstung für sogenannte systemrelevante Berufsgruppen zeigt deutlich auf, dass auch die Beschaffung lebenswichtiger Güter nicht den globalisierten Märkten und der Wettbewerbsdoktrin überlassen werden darf. Es braucht eine staatliche Sicherung infrastruktureller Leistungen wie die Versorgung mit Schutzkleidung, medizinischem Gerät, Ersatzteilen für die Erhaltung der öffentlichen Infrastruktur (öffentlicher Verkehr, Energie- und Wasserversorgung), der Lebensmittel- und Medikamentenversorgung. Das bedeutet, es braucht einen öffentlichen bzw. staatlichen Zugriff auf Produktionsweisen und gegebenenfalls die staatlich angeordnete Produktion dieser zentral wichtigen Güter.

Millionen von Menschen danken derzeit den Heldinnen und Helden der Krise: den Pflegekräften, den Ärztinnen und Ärzten, den Verkäuferinnen und Verkäufern, den Reinigungskräften, Erzieherinnen und Erziehern sowie den Lehrkräften, den Fahrerinnen und Fahrern in öffentlichen Verkehrsmitteln. Gleichzeitig ist der Dienst am Menschen nach wie vor schlecht bezahlt. Das muss sich ändern.  Jetzt gibt es die Chance dazu. Die gesellschaftliche Wertschätzung muss eine tarifliche Höherstufung des Dienstes am Menschen erfahren. Wo das Land als Arbeitgeber fungiert, werden wir darauf hinwirken. Damit Zuschläge und eine Höhergruppierung in den Tarifen auch für alle Beschäftigten gelten, müssen Tarifverträge leichter und schneller allgemeinverbindlich erklärt werden können und damit auch Geltung für nicht tarifgebundene Unternehmen bekommen.

Bund und Länder mobilisieren hunderte von Milliarden Euro für die Sicherung von Unternehmen in der Krise und haben die Möglichkeiten, Kurzarbeitergeld zu beziehen, und den Zugang zur Grundsicherung (Hartz IV) für sechs Monate erleichtert. Für uns zentral ist die Existenzsicherung für alle statt einseitiger Sicherung von Gewinngarantien für private Unternehmen. Deshalb fordern wir, dass das Kurzarbeitergeld von 60 bzw. 67 Prozent auf 90 Prozent aufgestockt wird, mindestens aber 1200 Euro bei einer Vollzeitstelle betragen muss. Genauso muss die Grundsicherung deutlich erhöht werden, um einer massiven Verarmung der Berliner Bevölkerung entgegen zu steuern. Schätzungen gehen davon aus, dass es in Berlin bis zu 100.000 neue Bedarfsgemeinschaften in Hartz IV geben wird. Sie dürfen nicht von sozialer, kultureller, digitaler und Erwerbsbeteiligung ausgegrenzt werden.

Wichtig ist, dass staatliche Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen mit linken transformatorischen Ideen verbunden sind, zum Beispiel die Forderung nach Tariftreue, die besondere Einhaltung von Arbeitsschutzmaßnahmen, die Bereitschaft zu betrieblicher Ausbildung, die Einhaltung von Umwelt- und Klimaschutzstandards. Auch hier gilt: es eröffnet sich ein Möglichkeitsfenster, staatliche Unterstützung dazu zu nutzen, die ökologische Umsteuerung von Produktionsweisen zu forcieren und zu regulieren.

Wichtig ist uns, dass linke Errungenschaften (beispielsweise bessere Löhne, Mietenpolitik, Migrationspolitik, Klimagerechtigkeit) nicht gegen vermeintliche wirtschaftliche Wachstumszwänge und typische Argumentationsweisen von vor allem großen Unternehmen in Bezug auf Arbeitsplatzsicherung ausgespielt werden. Das heißt, wir halten am transformatorischen Programm für Berlin fest.

Mit der Krise einher geht der Trend, die Grenzen zu schließen und auf den Nationalstaat zu setzen. Das ist die falsche Antwort. Es braucht internationale Solidarität durch die gemeinsame Organisation von Produktionen und Finanzierung von Existenzen und Gesundheitssystemen statt Abschottung und Renationalisierung. Das schließt ein, dass die Staaten Zugriff auf Produktionsweisen und die Produktion zentraler Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge haben (siehe oben). Dafür muss die europäische Integration und die finanzpolitische Zusammenarbeit den Prinzipien von Solidarität und Unterstützung folgen.

Der Shutdown hat in Berlin auch zu einem veränderten Mobilitätsverhalten geführt: weniger Auto, mehr Fahrrad. Diese Erfahrungen müssen wir nutzen, um die Mobilitätswende der Stadt weiter voranzutreiben. Wenn der Shutdown zurückgefahren wird, ist jedoch der öffentliche Nahverkehr zentrale Mobilitätsachse und muss so funktionieren, dass auch in Bussen und Bahnen Abstände eingehalten werden können und die Beschäftigten geschützt sind.

Der gesellschaftliche Diskurs über „das gute Leben“ könnte neuen Drive bekommen, gleichzeitig werden wir vermutlich noch mehr als bisher gefordert bei Abwehrkämpfen gegen Rechts und aufkommenden Nationalismus.
 

Maßstäbe für die Rückführung des Shutdown:

Der Shutdown, das Rückfahren des öffentlichen Lebens in Berlin muss temporär bleiben. Es müssen jetzt Perspektiven eröffnet werden, wie das öffentliche Leben schrittweise wieder hochgefahren wird. Der Deutsche Ethikrat hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es dazu einen gesellschaftlichen Diskurs braucht, damit Ängste und Nöte vieler Bürgerinnen und Bürger um ihre Existenz im wirtschaftlichen wie im gesundheitlichen Sinne genauso Ausdruck finden können wie Überlegungen, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt in der Krise organisierbar ist.

Dabei muss es darum gehen, das strategische Ziel, die Infektionsquote so flach zu halten, dass die medizinischen Kapazitäten zur Behandlung schwerer Covid-19-Verläufe ausreichen, mit der Erhaltung und Wiederinkraftsetzung der Grund- und Freiheitsrechte, der Eindämmung und Abwendung dramatischer sozialer Folgen und der Organisation eines gesellschaftlichen Lebens unter Pandemie-Bedingungen immer wieder in Beziehung zu setzen und neu abzuwägen.

Das heißt, auch auf absehbare Zeit wird es Abstandsregelungen und Regelungen zum verschärften Infektionsschutz geben, die aber nicht gleichbedeutend sind mit Ausgangssperren und völligem Erliegen des gesellschaftlichen Lebens. Das Leben einschränkende Maßnahmen werden schon kurz- und mittelfristig nur weiter akzeptiert werden, wenn Perspektiven eröffnet werden, wie es wieder funktionieren kann. Dabei sollte niemand behaupten, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, wir sind alle Lernende im Umgang mit und im Management der Pandemie. Das dürfen auch Politikerinnen und Politiker von sich sagen. Aber sie müssen einen Plan haben, wie der Plan zu finden ist.

Zentral wichtig bleibt, dass die Infektionskurve so flach bleibt, dass die Krankenhauskapazitäten ausreichen. Die derzeit geltende Faustformel: Drücken der sogenannten Reproduktionsrate auf unter 1. Das bedeutet, ein Infizierter Mensch steckt weniger als einen weiteren an. Das ist in Berlin derzeit erreicht. Dann schrittweises Wiederanfahren des gesellschaftlichen Lebens, um zu verhindern, dass die Kurve gleich wieder steil ansteigt. Auch hier wird es immer wieder darum gehen, die Wirkung der Maßnahmen zu überprüfen und ggfs. auch wieder zurückzunehmen. Darüber braucht es Transparenz, valide Daten, noch mehr Tests und starke Gesundheitsämter, die jederzeit in der Lage bleiben, mögliche Infektionsketten nachzuverfolgen.

Gleichzeitig ist es wichtig, das wirtschaftliche Leben in Etappen wieder anzufahren, um die sozialen Folgen von Unternehmenspleiten zu minimieren, die Erwerbslosigkeit - soweit es geht- einzudämmen, Wohnungsverluste zu verhindern, wann immer es möglich ist, Abstandsregelungen einzuhalten und die Zahl der Menschen in den jeweiligen Räumlichkeiten zu begrenzen.
 

Stufenweise Rückführung des Shutdowns

Die Vereinbarung der Kanzlerin mit den Ländern vom 15. April 2020 beschreibt zunächst den Rahmen, dessen die Gestaltung des öffentlichen Lebens unter Pandemiebedingungen ablaufen kann. Dennoch ergeben sich Spielräume, die wir für Berlin sorgfältig ausloten und nutzen müssen.
 

Bürgerrechte:

Im Bereich der Bürgerrechte muss es zuvörderst darum gehen, dass das faktischeVersammlungsverbot aufgehoben wird. Denkbar sind Beauflagungen, etwa die Einhaltung von Abstandsregeln und auch eine Begrenzung der Personenzahl oberhalb der zwanzig. Wichtig ist, dass der Grundsatz der Versammlungsfreiheit wiederhergestellt wird. Versammlungen in der frischen Luft können in diesem Zusammenhang anders bewertet werden als Saalveranstaltungen

Die Ausgangsbeschränkungen sollten perspektivisch aufgehoben werden, die Einhaltung von Mindestabständen werden weiter gelten. Ein eigenverantwortlicher Umgang wird weiterhin bedeuten, dass Treffen mit anderen Menschen in einem lediglich eingeschränkten Umfang stattfinden können, um der Verbreitung des Virus Einhalt zu gebieten.  Gleiches gilt für die Benutzung von Masken. Eine freiwilligenfreiwillige Nutzung von Masken zum gegenseitigen Schutz im ÖPNV und in Geschäften ist sinnvoll. Und wenn es eine datenschutzkonforme Tracking-App geben sollte, kann auch hier an die freiwillige Nutzung appelliert werden.

Kinder und Erwachsene brauchen Bewegung. Deshalb sollten Spielplätze und öffentlich zugängliche Freiluftsportplätze wieder öffnen und kontaktarmer Sport wieder möglich werden. Auch der Tierpark, der Zoo und der Botanische Garten mit ihren Freiflächen können wieder geöffnet werden.
 

Wirtschaft:

Die Geschäfte sollen wiedereröffnen, sofern Arbeitsschutzmaßnahmen den Schutz der Beschäftigten absichern und Abstandsregeln einhaltbar sind.

Auch die Gaststätten sollten unter Einhaltung des Mindestabstands und des Arbeitsschutzes möglichst bald wieder ans Netz gehen können, im ersten Schritt diejenigen mit Außengastronomie.
 

Bildung:

Im Moment konzentriert sich die öffentliche Diskussion sehr auf die Abnahme von Prüfungen. Schulen und Kitas sind allerdings für alle Kinder Bildungs- und soziale Orte. Vor allem für Kinder aus schwierigen Lebensverhältnissen oder bildungsfernen Familien sind Schulen und Kitas diejenigen Orte, in denen sie Hilfe und Unterstützung finden, ihre eigenen Fähigkeiten und Talente zu entwickeln. Nicht alle Familien sind in der Lage, ihre Kinder beim Home-Schooling oder im Kitaalter entsprechend zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund und um zu verhindern, dass Kinder aus der Bildungskette herausfallen, ist  deshalb ein schnelles Anfahren von Schulen und Kitas in Gänze erstrebenswert, natürlich unter Beachtung von kindgerechten und umsetzbaren Schutzmaßnahmen.

Gleichzeitig muss der Arbeitsschutz auch für Lehrkräfte und Erzieher*innen gelten. Dies gilt im besonderen Maße für die Beschäftigten, die  zu den Risikogruppen zählen.

Die Einhaltung des Arbeitsschutzes stellt vor allem die Schulen und Kitas vor erhebliche logistische Herausforderungen. Kleine Kinder werden kaum in der Lage sein, Abstandsregelungen einzuhalten. Die Hygienebedingungen an Schulen und Kitas müssen deshalb massiv verbessert werden. Das kann die Diskussion um die Rekommunalisierung und natürlich Intensivierung der Reinigung vorantreiben. Pausen müssen entzerrt, die Klassen und Kita-Gruppen verkleinert werden. Es wird roulierende Systeme geben müssen. An den Schulen muss über einen Mix von Präsenz- und Homeschooling nachgedacht werden.  Und manche Kinder haben auch Eltern und Geschwister, die selbst Risikogruppen angehören. Sie müssen die Möglichkeit haben, nicht zur Schule zu gehen und trotzdem an Bildung teilhaben zu können

Solange die Schule noch nicht voll wieder läuft, müssen die Bedingungen für Kinder aus bildungsfernen Familien verbessert werden. Die Beschaffung von mobilen Endgeräten für Kinder im Transferleistungsbezug wäre ein richtiger und wichtiger Ansatz. Das muss im Nachtragshaushalt verankert werden. Es ist dringlich, dass Berlin transferleistungsbeziehenden Haushalten –über den Regelbedarf hinaus – Zugang zu W-Lan und Datenvolumina verschafft, solange der Bund hier nicht handelt.

Es sollte auch darüber nachgedacht werden, zusätzliche Ressourcen für die Schulen und eventuell auch für die Kitas zu heben, die aufgrund der Krise jetzt verfügbar sind. Wir werden zum Beispiel massive Auftragsrückgänge im Bereich der Veranstaltungsfirmen und des Messebaus haben. Möglicherweise lässt sich hier eine temporäre Kooperation schaffen, um weitere Platzkapazitäten für kleinere Lerngruppen zu schaffen, damit zum Beispiel roulierende Systeme nicht an fehlenden Räumen scheitern. Das geht natürlich nur an Schulen, wo die Höfe groß genug für beispielsweise temporäre Bauten wie Zelte oder Pavillons sind. Ungewöhnliche Zeiten erfordern kreative Lösungen.

Oder: Wir hatten mal ein erfolgreiches ÖBS-Projekt: Künstler*innen an die Schulen. Da absehbar die vorhandenen Lehrkräfte nicht alle Schüler*innen gleichermaßen beschulen können und viele KünstlerInnen* derzeit ohne Engagements sind, könnte eine Neuauflage für Schulen eine Chance sein als zusätzliche Personalressource. Für die Kinder ist Zugang zu künstlerischer Bildung wichtig. Möglicherweise hilft dies ja auch bei der emotionalen Krisenbewältigung, die auch Kinder massiv zu leisten haben.

Im Ausbildungs- und OSZ-Bereich sind Abstandsregelungen eher einzuhalten. Doch auch hier wird es Prioritätensetzungen geben müssen, damit die Schülerinnen und Schüler ihre Abschlüsse absolvieren können. Hier ist vor allem an die einjährigen Lehrgänge zur Integrierten Berufsausbildungsvorbereitung zu denken. Diese Gruppe hat oft schwierige Lernbedingungen und das Schuljahr läuft nicht mehr lange. Des weiteren sollten die Auszubildenden, die ihren Betrieb aufgrund von Insolvenzen verloren haben, ihre Ausbildung am OSZ weiterführen können, um Abbrüche zu verhindern. Schulische Überbrückungsmaßnahmen müssen im nächsten Schuljahr ausgebaut werden, wenn sich der Trend bewahrheitet sollte, dass es zu einem erheblichen Rückgang von betrieblichen Ausbildungsplätzen kommt.
 

Kultur:

Kulturelle Einrichtungen wie Museen und Bibliotheken sollten, sofern Mindestabstände eingehalten werden können, schnell wieder angefahren werden. Großveranstaltungen, Stadion-Konzerte, Clubs werden vermutlich noch längere Zeit nicht stattfinden können.
 

Senioren-Einrichtungen und Einrichtungen der Behindertenhilfe:

Um zu vermeiden, dass es am Ende mehr broken-heart- und Suizid- als Corona-Verstorbene in den Einrichtungen der Pflege und der Behindertenhilfe gibt, muss möglichst bald zu einer zumindest eingeschränkten Besuchsregelung zurück gekehrt werden. Viele Bewohnerinnen und Bewohner haben kognitive Beeinträchtigungen, sie können den mangelnden Kontakt zu ihren Bezugspersonen kaum ausgleichen.
 

Verkehr:

Voraussetzung, um Läden, Kitas, Schulen wieder anzufahren ist auch, dass der öffentliche Nahverkehr seinen üblichen Fahrplan wieder aufnimmt. Das stellt vor allem die BVG, aber auch die S-Bahn vor erhebliche Herausforderungen. Auch sie haben häufig mit erhöhten Krankenständen zu kämpfen und leiden grade in der Krise unter Lieferschwierigkeiten von Ersatzteilen für die Wartung der Fahrzeuge. Es braucht also auch hier oft kreative Lösungen. Denkbar wäre bei Bedarf eine Kampagne, um derzeit erwerbslose Fahrerinnen und Fahrer der Fernbuslinien zu gewinnen, um Personalengpässe zu minimieren. Um Ersatzteilengpässe zu minimieren ist möglicherweise eine Kooperation mit gemeinnützigen Gruppen wie dem xHain hack+makespace oder anderen möglich, die seit Wochen mit ihren 3-D-Druckern und einem hohen Maß an Kreativität mit Masken und Schutzschilden aushelfen, ohne die ausreichende öffentliche Förderung und Wertschätzung zu finden. Es ergibt sich auch hier ein Möglichkeitsfenster für neue Kooperationen von solidarischer Ökonomie und öffentlichem Sektor.

 


Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten noch über eine Vielzahl von neuen Problemlagen diskutieren und neue Lösungen finden müssen. Und das vor dem Hintergrund, dass die öffentlichen Haushalte derzeit massiv in die Verschuldung gehen. Auch das darf nicht zulasten der Kinder, der Beschäftigten, der Erwerbslosen gehen. Deshalb gilt auch und jetzt: Umverteilung von oben nach unten ist das Gebot der Stunde. Einmalige Vermögensabgaben, die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die effiziente Besteuerung von Unternehmensgewinnen brauchen wir auf der Bundesebene, um die Krisenbewältigung solidarisch und sozial gerecht finanzieren zu können.

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