Berliner LINKE lehnt Weiterbau der A100 ab

Kristian Ronneburg

"Unsere Stadt braucht Grünflächen, sie braucht bezahlbare Wohnungen und Platz für Kiezkultur, aber ganz bestimmt keine neue Autobahn mitten durch ein dicht besiedeltes Wohngebiet. Das ist ein rückwärtsgewandtes, völlig überteuertes Verkehrsprojekt aus dem letzten Jahrtausend und hat mit moderner Stadt- und Verkehrsplanung nichts zu tun." sagt der verkehrspolitische Sprecher Kristian Ronneburg in der Aktuellen Stunde.

10. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 07.04.2022

Zur Aktuellen Stunde

Kristian Ronneburg (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich auf einige Bemerkungen eingehen, die zu Beginn unserer Aktuellen Stunde gekommen sind. Wir müssen uns jetzt noch mal kurz vergegenwärtigen, was hier behauptet worden ist. Es wurde noch mal eine Generalabrechnung vollzogen. Herr Reifschneider hatte hier im Plenum erwähnt, niemand sei zufrieden mit der Verkehrspolitik in Berlin. – Herr Reifschneider, ich rate Ihnen dazu, Sie sollten vielleicht nicht nur jeden Tag „B.Z.“ lesen, sondern sich vielleicht auch mal etwas breiter über die stadtpolitischen Debatten hier in Berlin informieren.

Deshalb kann ich Ihnen auch noch mal sagen: Der geschätzte Herr Kollege Henner Schmidt aus der vergangenen Wahlperiode könnte Ihnen wahrscheinlich auch einiges dazu erzählen, beispielsweise auch zu den Einschätzungen zu den Teilen für den Wirtschaftsverkehr im Mobilitätsgesetz, zu dem Thema Fußverkehr. Das waren sehr gute Debatten, das hat Spaß gemacht, und ich habe so ein bisschen das Gefühl, wir geraten in dieser Wahlperiode in eine andere Richtung. Das hatten ja schon meine Kollegen von SPD und Grünen aufgeführt.

[Oliver Friederici (CDU) meldet sich
 zu einer Zwischenfrage.]

– Ich lasse keine Zwischenfragen zu. Vielen Dank! – Ein bunter Strauß an Argumenten, die allerdings bei der FDP keine rote Linie wirklich deutlich machen! Da können wir uns anscheinend auf einiges gefasst machen.

Das ist vielleicht auch ein bisschen eine Annäherung an den Stil, den Herr Friederici hier im Plenum pflegt. Mal schauen! Ich hoffe, dass das im Ausschuss sachlicher wird und eher, wie gesagt, an der Sache orientiert, denn das, was ich hier erlebt habe, finde ich eigentlich nicht in Ordnung – auf fachpolitischem Niveau. Denn wenn man sich mal anschaut, was hier gerade diskutiert wird – es wird gerade in den Raum gestellt, wir würden Phantomdiskussionen führen –, Entschuldigung, aber dann muss ich sagen: Diejenigen, die jeden Tag am liebsten über die autofreie Friedrichstraße diskutieren wollen und über nichts anderes in der Stadt, das sind diejenigen, die Phantomdiskussionen in der Stadt führen.

Sie führen nicht die notwendigen Debatten darüber, wie wir hier zu einer sozial gerechten, einer klimaverträglichen Mobilität kommen, sondern treiben jeden Tag dieselbe Sau durch das Dorf.

Da möchte ich auch mal mit einem Mythos aufräumen, der hier von Herrn Reifschneider erwähnt worden ist. Habe ich Sie richtig verstanden? Haben Sie tatsächlich hier im Plenum behauptet, Herr Wissing hätte die Idee für das 9-Euro-Ticket gehabt? Entschuldigung! Alle Informationen, die wir haben, deuten darauf hin, dass es eine Ad-hoc-Entscheidung, eine Nachtentscheidung des Koalitionsausschusses war und dass der Herr Verkehrsminister erst am nächsten Tag davon erfahren hat, was der Koalitionsausschuss geplant hat. Also bleiben Sie bitte bei der Wahrheit! Das ist wirklich unter Ihrer Würde.

Und dann will ich auch noch mal sagen: Dieser Verkehrsminister sollte jetzt seine Hausaufgaben machen, denn das Stichwort ist hier gefallen: Die Regionalisierungsmittel sollen erhöht werden. – Und da war die Aussage, dass es die Erhöhung der Regionalisierungsmittel für den Ausbau der Infrastruktur gibt und dass das, was jetzt für das 9-Euro-Ticket hinzukommt, on top ist. Aber was hören wir gestern aus dem Bundestag, aus dem Bundestagsausschuss? – Die Erhöhung der Regionalisierungsmittel soll erst 2023 erfolgen. Dann – bitte, bitte, liebe FDP – setzen Sie sich bei Ihrem Verkehrsminister und bei Ihrer Ampel dafür ein, dass die Erhöhung früher kommt. Dann müssen Sie auch mal Tatsachen auf Bundesebene schaffen, da, wo Sie Verantwortung haben. Der Ausbau der Regionalisierungsmittel muss jetzt kommen.

Dann möchte ich noch mit einem weiteren Mythos aufräumen: In der letzten Wahlperiode sind von dieser Koalition einige Aufgaben angegangen worden. Es war die erste Koalition in Berlin, die sich der Verkehrswende verschrieben hat.

Da zu meinen, dass, wenn man ein Gesetz verabschiedet, nach einem Jahr alles umgesetzt wäre, ist fernab jeglicher sachpolitischen Realität. Das sind Fantastereien, die Sie hier aufführen, und das ist vielleicht auch ein Ausweis dafür, dass Sie in Berlin überhaupt nicht regierungsfähig sind, weil Sie sich den Realitäten nicht stellen wollen.

Ja, es ist ein hartes Geschäft, hier im Senat Verantwortung zu tragen, und ich bin sehr gespannt auf die Haushaltsberatungen im Mobilitätsausschuss.

Ich möchte zur A 100 sprechen. Die Linke Berlin lehnt den Weiterbau der A 100 ab. Unsere Stadt braucht Grünflächen, sie braucht bezahlbare Wohnungen, sie braucht Platz für Kiezkultur, aber ganz bestimmt nicht für neue Autobahnen mitten durch die Stadt, durch ein dicht besiedeltes Wohngebiet.

Das ist rückwärtsgewandt, das ist völlig überteuert, und das ist keine Antwort auf die Fragen unserer Zeit. Das ist völlig aus der Mode, und Sie merken ja auch selbst an der Debatte in der Stadtgesellschaft, aber auch hier im Plenum, dass Ihnen da der erbittertste Widerstand entgegenkommen wird – hier und auf der Straße. Da können Sie sich sicher sein.

Die Autobahn löst keine Verkehrsprobleme, sie erschafft erst welche.

Der 17. Bauabschnitt der A 100 würde eine Schneise der Umwelt- und Kiezzerstörung durch Treptow, Friedrichshain und Lichtenberg schlagen. In einem Wohnviertel am Ostkreuz müsste ein Doppelstocktunnel gebaut werden. Für diesen Bau würde die Neue Bahnhofstraße am Ostkreuz für Jahre gesperrt werden. Die Parkaue Lichtenberg wäre betroffen, eine Schule müsste abgerissen werden. Die östliche Hälfte der neuen Elsenbrücke müsste wieder abgerissen werden. Da ein kurzer Verweis auf die AfD: Ich bin gespannt, ob Sie da Ihren Antrag weiterhin aufrechterhalten. Herr Laatsch hatte heute etwas völlig anderes erzählt. Vor ein paar Wochen wollte er noch, dass wir jetzt ganz schnell diesen Neubau der Elsenbrücke vorantreiben, und jetzt kommt er mit ganz anderen spannenden Ideen. Interessant! Eine Kehrtwende! Darüber werden wir uns im Ausschuss unterhalten.

Zur Klimaautobahn der CDU: Dieses Labeling ist an Zynismus und an Realitätsverweigerung nicht zu überbieten.

Glauben Sie allen Ernstes, dass mit ein paar Bäumen und einem Radschnellweg die klimapolitischen Kosten dieses Megaprojekts ausgeglichen werden können? Glauben Sie allen Ernstes, dass es ausgerechnet bei der A 100 das erste Mal in der Geschichte gelingen wird, mit dem Bau einer Schnellstraße den Verkehr im Umfeld zu beruhigen? Wollen Sie dieses Märchen jetzt noch die nächsten 10, 20, 30 Jahre erzählen? Glauben Sie allen Ernstes, dass das Projekt dadurch besser wird, weil dort irgendwann in Zukunft nur noch E-Autos fahren werden? – Das ist das Gegenteil von Verkehrswende. Wir brauchen heute und in Zukunft nicht mehr Autoverkehr und auch nicht den Status quo, sondern wir brauchen weniger Autoverkehr. Das sollte unser gemeinsames Ziel als Gesellschaft sein, und ich weiß und wir wissen, dass es auch eine zutiefst kulturpolitische Frage hier in Deutschland ist. Völlig klar! Aber das, was Sie hier machen, ist der Versuch, diese Debatte durch Greenwashing in eine andere Sphäre zu bringen. Das ist eigentlich nur noch politische Rabulistik. Das ist keine klare Sprache, das geht an den Menschen vorbei, das ist ein Für-dumm-Verkaufen der Öffentlichkeit.

Ich möchte jetzt noch mal auf einige Lösungsvorschläge kommen, wie wir dieses Problem lösen können. Wir haben als Linke verstanden, dass die FDP in der Bundesregierung eskalieren will, und deswegen sind wir auch bereit zu eskalieren. Man muss sich das mal vorstellen: Es gibt einen Koalitionsvertrag hier in Berlin, der sich gegen den 17. Bauabschnitt wendet. Es gibt einen Koalitionsvertrag der Ampel, der einen Infrastrukturkonsens bei Verkehrsprojekten und die Überprüfung des Bundesverkehrswegeplans vorsieht.

– Ja, Herr Förster, ich hoffe doch, dass bei diesem Infrastrukturkonsens der Ampel die Länder auch vorgesehen sind; den Eindruck habe ich jetzt nicht so.

Und dann besitzen die Mitglieder dieser Regierung auch noch die Frechheit, in einem Zeitungsinterview mitzuteilen, dass der Bund die Planungsmittel mal eben freigeben wird. Diese Vorgehensweise ist ohne jeden politischen Anstand.

Senatorin Jarasch hat erst kürzlich im Mobilitätsausschuss darüber geredet, dass sie mit Verkehrsminister Wissing über die A 100 gesprochen hat. Da hat man aber über den qualifizierten Abschluss des 16. Bauabschnitts und über das Verkehrskonzept gesprochen; kein Wort zu den Planungsmitteln. Was ist das für ein politischer Stil? Ist das der Stil der FDP? Wirklich? Im Jahr 2022? – Hinzu kommt noch einmal das Thema, dass wir uns wirklich darauf konzentrieren müssen, jetzt schnell zu Lösungen zu kommen, und über Wege diskutieren müssen, wie wir die FDP dort tatsächlich noch aufhalten können.

Zunächst einmal muss die Bundesregierung und müssen auch SPD und Grüne versuchen, hier Leitplanken einzuschlagen, damit die FDP wieder auf die richtige Spur geführt werden kann.

Wenn das nicht gelingt, stehen wir bereit, auch im Bundestag, einen Beschluss zu fassen, die A 100 aus dem Bundesfernstraßengesetz zu streichen, aber wir müssen auch gucken, welche Hebel wir hier noch als Land Berlin haben. Da gibt es mehrere Themen: Es gibt die Möglichkeit der Rückholung der Planungs- und Anhörungsbehörde vom Bund.

Das erlaubt § 3 Abs. 3 des Fernstraßen-Bundesamt-Errichtungsgesetzes. Wir haben rechtlich prüfen lassen, ob die Rückholung der Behörde auch noch für dieses Verfahren helfen würde – die Antwort ist: Ja.

Der Bund geht aktuell davon aus, dass die Eröffnung des Planfeststellungsverfahrens erst 2027 anstehen würde; also haben wir noch viel Zeit dafür, aber auch nicht mehr so viel Zeit, deswegen sollten uns daranmachen.

Außerdem können wir den Versuch unternehmen, den 17. Bauabschnitt aus dem Flächennutzungsplan zu streichen. Auch das ist eine Möglichkeit, die wir ernsthaft in Erwägung ziehen sollten. Dann soll der Bund mal kommen und gerichtlich eine Korrektur des FNP erwirken; darauf bin ich gespannt.

Dann gibt es auch noch die abstrakte Normenkontrolle gegen die Änderungsgesetze des Grundgesetzes, Juristinnen nennen das ein verfassungswidriges Verfassungsrecht. Wir erinnern mal daran: Wolfgang Schäuble hat die Bundesländer damals erpresst, weil er die Abstimmung über den Länderfinanzausgleich mit dem Kompetenzwechsel bei den Bundesfernstraßen verknüpft hat.

Präsident Dennis Buchner:

Herr Kollege! Sie müssen bitte zum Schluss kommen!

Kristian Ronneburg (LINKE):

Ich komme zum Schluss! – Es gibt da also noch sehr viel spannendes Material in den nächsten Wochen und Monaten. Wir werden dieses Feld bestimmt nicht kampflos aufgeben; das hat gerade erst angefangen. Wir sehen uns morgen bei der Demo gegen die A 100. – Vielen Dank!