Dieser Senat gefährdet den öffentlichen Nahverkehr in Berlin!
Rede des Sprechers für Mobilität der Linksfraktion, Kristian Ronneburg, in der Aktuellen Stunde der Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses am 13.02.2025 zum Thema: "Kürzungen, schlechte Arbeitsbedingungen und Fahrzeugkrise: Senat steuert BVG und S-Bahn ins Chaos"
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Der öffentliche Nahverkehr in Berlin steht dieser Tage vor entscheidenden Weichenstellungen. Der neu zu verhandelnde Tarifvertrag Nahverkehr wird darüber entscheiden, ob die Kolleginnen und Kollegen der BVG künftig unter besseren Bedingungen arbeiten können. Er
wird darüber entscheiden, ob die BVG künftig ihr Personal halten und neues gewinnen kann. Er wird auch darüber entscheiden, ob BVG und Senat mittelfristig überhaupt ihr Ziel erreichen können, endlich wieder die Fahrleistungen zu stabilisieren, um damit zum Normalfahrplan zurückkehren zu können. Er wird schließlich auch darüber entscheiden, ob wir hier in Berlin langfristig überhaupt wieder in die Situation kommen werden, den Nahverkehr in dieser Stadt ausbauen zu können. Das müssen Sie sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Deswegen ist diese Aktuelle Stunde höchstaktuell – für die Fahrgäste und für die Beschäftigten der BVG.
An zwei Tagen in diesem Jahr haben die Kolleginnen und Kollegen der BVG bereits gestreikt. Heute standen sie auch vor dem Abgeordnetenhaus und haben in der Eiseskälte für ihre Forderungen demonstriert. Wir waren bei ihnen, wir haben ihnen zugehört, wir haben mit ihnen gesprochen, wir haben auch Tee und Kaffee vorbeigebracht, wie sich das in dieser Jahreszeit gehört. Wir haben dort auch von den Koalitionären sehr wohlwollende Wortbeiträge gehört, insofern schaue ich zu Finanzsenator Evers und zu Verkehrssenatorin Bonde. Ich denke, Ausreden kann es jetzt nicht mehr geben. Das würde ich so feststellen.
Ich will dabei auch betonen, dass viele Kolleginnen und Kollegen hier aus dem Haus in den vergangenen Tagen auch aktiv waren. Wir haben Betriebshöfe besucht, wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen geredet, wir haben die Gelegenheit genutzt – für die, die es vielleicht
auch bisher noch nicht getan haben –, etwas vom Alltag eines Busfahrers oder einer Busfahrerin, eines Straßenbahnfahrers oder einer Straßenbahnfahrerin zu erfahren. Falls Sie es noch nicht getan haben, liebe Kolleginnen und Kollegen, holen Sie es schnell nach!
Ich war mit meiner Kollegin Katalin Gennburg auf einem Betriebshof in Marzahn, und da war die Stimmung eindeutig: Wenn bei den explodierenden Preisen, bei den steigenden Mieten nichts getan wird, dann sind viele gute Leute bald weg. Wer könnte es ihnen am Ende auch verübeln? Nach drei Verhandlungsrunden kann man sagen, dass das Arbeitgeberangebot noch weit hinter den Forderungen der Gewerkschaft zurückbleibt. Beide Seiten liegen bei der Höhe, aber auch bei der Vertragsdauer auseinander, und ver.di sagt selbst, dass sie eine Laufzeit von vier Jahren für den neuen Tarifvertrag für ausgeschlossen halten.
Warum? – Aus Beschäftigtensicht im Fahrdienst bedeutet das, dass sie erst in vier Jahren das Gehaltsniveau der Verkehrsunternehmen im Brandenburger Umland erreichen werden. Dort starten im Sommer bereits die nächsten Tarifverhandlungen. Das heißt, diese Lücke bliebe dann dauerhaft und damit auch die hohe Fluktuation beim Fahrdienstpersonal bei der BVG, damit auch die angespannte Personallage, damit auch die angespannten Arbeitsbedingungen. Das alles müssen wir vor den Erfahrungen des vergangenen Tarifabschlusses betrachten, der 2021 stattfand. Was ist da passiert? – Die Inflation ging durch die Decke und hat die moderaten Lohnsteigerungen nicht nur aufgefressen, sondern die Leute hatten am Ende real weniger in der Tasche. Das müssen Sie sich einfach noch einmal vergegenwärtigen, wenn Sie hier und heute über die Forderungen der Gewerkschaften der Beschäftigten sprechen. Sie sind total berechtigt, wenn Sie sich vor Augen führen,
was diese Menschen in den letzten Jahren real verloren haben, was sie nicht im Portemonnaie hatten. Das müssen wir, wie gesagt, als Politik anerkennen.
Wir sehen, dass die Welt da draußen nicht gerade danach aussieht, als ob nicht morgen die nächste veritable Krise um die Ecke kommt, der nächste Handelskrieg ausbricht – oder auch der nächste heiße Krieg. Mit anderen Worten: Niemand weiß, ob wir in den nächsten Jahren
vor einer neuen Inflationswelle stehen. Wir führen diese Debatte aber auch in einer Zeit, in der der ÖPNV vor immensen Herausforderungen steht, die allerdings auch hausgemacht sind.
CDU und SPD kürzen im Landeshaushalt und im Investitionsprogramm dreistellige Millionenbeträge für den öffentlichen Personennahverkehr, darunter sinnvolle Straßenbahnprojekte. Der Senat agiert so, als gäbe es gar keine Krise im Nahverkehr, als würde es ihn nicht interessieren, dass Taktzeiten aufgrund von Personalmangel reduziert werden, dass ständige Ausfälle für das Personal und natürlich am Ende für die Fahrgäste dieser Stadt zu einer enormen Belastung werden. Ich hoffe also, dass niemand wirklich ernsthaft bestreiten kann, dass Gehaltsverbesserungen bei den Kolleginnen und Kollegen der BVG notwendig sind. Das sind die Menschen, die jeden Tag Hunderttausende in unserer Stadt von A nach B fahren. Das sind die Menschen, die am Monatsende weniger als 2 000 Euro netto in der Tasche haben. Das ist inakzeptabel, das muss geändert werden!
Das gilt vor allem in einer Stadt, in der die Mieten durch die Decke gehen, weil es keinen Mietendeckel gibt, und in einer Zeit, in der Preise für Energie und Lebensmittel rasant steigen, während Konzerne Extraprofite machen. Nein, das haben die Beschäftigten der BVG nicht verdient! Wir müssen sie in dieser Situation wirklich unterstützen. Lassen Sie mich noch einmal darauf kommen, dass wir in dieser Konkurrenzsituation leben, wir aber in Berlin eine Situation haben, in der wir über jede Beschäftigte bei der BVG, die diesem Druck in dem immer dichter werdenden Verkehr in der Hauptstadt standhält, einfach glücklich sein müssen – bei all den Baustellen, bei all dem Stress.
Die Kolleginnen und Kollegen baden das jeden Tag aufs Neue aus, sorgen dafür, dass wir mobil sind. Bei der Konkurrenzsituation mit anderen Kommunen und Ländern kann man es vielen einfach nicht verübeln, wenn sie sagen, dass sie vielleicht eher im Umland fahren wollen.
Deswegen müssen wir doch dafür sorgen, dass sie entlastet werden und dass sie hier vor Ort bessere Arbeitsbedingungen vorfinden. Sonst wird es bald kein Personal mehr geben, das in dieser Stadt Bus und Straßenbahn fährt.
Dabei möchte ich noch einmal an die Verantwortung von Senatorin Bonde und Finanzsenator Evers erinnern. Es tut mir leid, Sie haben den Streikenden verbal den Vogel gezeigt: Eure Forderungen sind nicht bezahlbar. – Das stand so in der Zeitung, ganz deutlich für jeden nachzule
sen. Das ist sehr spannend, weil es dieselben Senatorinnen und Senatoren sind, die auch gerne den Satz sagen: Das sind Tarifauseinandersetzungen, es gibt die Tarifautonomie, da wird verhandelt. – Hier hielten Sie es offenbar für notwendig, gleich zu Beginn einzuschreiten und zu sagen: Diese Forderungen können nicht erfüllt werden. Sie sind nicht bezahlbar. – Am Ende haben Sie damit
gedroht, dass dann Verkehrsleistungen abbestellt werden müssten. Das ist ein übles Spiel, das darauf hinausläuft, dass den Beschäftigten der BVG, die diese Stadt am Laufen halten, der Schwarze Peter zugeschoben wird. Was machen Sie mit diesen Horrorszenarien? – Sie betreiben eine Entsolidarisierung mit den Beschäftigten der BVG. Sie spielen Fahrgäste und Beschäftigte gegeneinander aus. Das werden wir Ihnen so nicht durchgehen lassen!
Wir haben heute auch einen dringlichen Antrag eingebracht, um Ihnen Vorschläge zu machen, wie Sie aus dieser Misere herauskommen. Ich will mich angesichts der Zeit etwas begrenzen, aber Sie haben einen breiten Instrumentenkasten vor sich. Den nutzen Sie allerdings nicht, weil Sie sich wahrscheinlich nicht trauen. Wir haben Ihnen beispielsweise vorgelegt: die Erhöhung der Parkgebühren, Nutznießerabgaben, auch die Frage der Einführung eines verpflichtenden Gästetickets. Das sind alles Fragen, die könnten Sie nicht nur stellen, sondern vielleicht könnten Sie auch mal für diese Stadt beantworten, ob Sie dahin wollen, für eine ausreichendeFinanzierung zu sorgen.
Insofern sollten Sie sich schleunigst daran machen, den ÖPNV auch mit anderen Mitteln zu beschleunigen. Es ist manchmal auch eine Frage des Willens. – Da schaue ich noch mal ganz ernst die Senatorin Bonde an, die natürlich auch heute schon den Fuß von der Bremse nehmen und ins Machen kommen kann. Wo sind die neuen Busspuren? Wo sind die neuen Ampelvorrangschaltungen? Wann wird der Vorrang des öffentlichen Nahverkehrs in Berlin endlich gelebte Praxis? Wo ist die Senatorin, die öffentlich widerspricht, wenn sich Abgeordnete ihrer
eigenen Koalition darüber freuen, dass Busspuren weggeklagt werden, die endlich mal sagt: Nein, ich will aber mehr Busspuren haben, ich will das System Busfahren und dass das Busfahren in der Stadt endlich einfacher gemacht wird, dass die Fahrgäste schneller an ihr Ziel kommen und dass man sich nicht an Verwaltungsvorschriften et cetera festhält, sondern ganz klar sagt, wo die Richtung in der Stadt hingehen soll?
Liebe Senatorin Bonde! Wenn Sie von Ihrer Fraktion oder von Ihrem Fraktionsvorsitzenden daran gehindert werden, dann blinzeln Sie vielleicht einfach zweimal, dann nehmen wir das zur Kenntnis, und dann wissen wir, woran wir sind.
Lassen Sie mich zuletzt noch mal etwas zum Thema S-Bahn-Ausschreibung sagen, denn wir haben hier auch das Thema S-Bahn auf die Tagesordnung gebracht. Auch da sehen wir ganz große Schwierigkeiten, die jetzt gerade auf uns zukommen. Wir nehmen mit Entsetzen wahr,
dass der Senat tatsächlich wieder mit dem Land Brandenburg über die richtige Spannung für die neuen S-Bahn-Fahrzeuge philosophiert. Es handelt sich jetzt um die siebente Vertagung der S-Bahn-Ausschreibung, obwohl da die Messen schon längst gesungen sind. Sie hätten es wie die Vorgängerkoalition machen und ganz klar sagen können: Wir treten mit dem Bund und der Deutschen Bahn in Verhandlungen zum
Kauf der S-Bahn, wir bauen ein eigenes EVU auf, wir ändern das GWB. – Das haben Sie alles nicht gemacht, und deswegen werden Sie diese Stadt vermutlich weiter ins Chaos reiten, wenn Sie hier bei der S-Bahn-Ausschreibung nicht endlich etwas gebacken bekommen. BVG und S-Bahn haben mehr verdient als diese Koalition. Das machen die Ereignisse der letzten Wochen noch mal sehr deutlich. – Danke schön!