Stromnetz wird wieder Berliner

Michael Efler
Energie und KlimaMichael Efler

"Rekommunalisierung ist kein Selbstzweck, sie hat immer einem Gemeinwohlzweck zu dienen. Ein öffentliches Stromnetz wird uns helfen unsere energie- und klimapolitischen Vorstellungen umzusetzen." sagt Michael Efler zum Rückkauf des Berliner Stromnetzes.

81. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 17. Juni 2021

Zur Aktuellen Stunde: "Für eine gute Grundversorgung und die Energiewende: Das Stromnetz wird wieder Berliner"

Dr. Michael Efler (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Herr Gräff, zu Ihnen komme ich später noch in der Rede. Leipzig, München, Hannover, Frankfurt, Köln, Stuttgart, Hamburg – all diese Städte haben etwas, was Berlin nicht mehr hat, nämlich ein kommunales Stromnetz. Dieses Haus hat es heute in der Hand, das zu ändern. Wir stimmen heute über eine Entscheidung von historischer Tragweite ab, und ich gehe fest davon aus, dass wir bald sagen können, was eine Berliner Tageszeitung einmal getitelt hat: Das Stromnetz wird wieder Berliner!

Ca. 30 Jahre nach der Privatisierung der BEWAG durch CDU und SPD, zehn Jahre nach dem Start des Konzessionsverfahrens und acht Jahre nach dem vom Berliner Energietisch angestoßenen Volksentscheid ist es jetzt endlich so weit. Mit dem Kauf der Stromnetz Berlin GmbH und der Beendigung des Konzessionsverfahrens bringen wir nicht nur einen langjährigen Rechtsstreit zu einem guten Ende, sondern wickeln eines der größten Rekommunalisierungsprojekte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ab. Wenn das kein Grund zum Feiern ist, dann weiß ich es auch nicht.

Warum machen wir das überhaupt? – Eine Rekommunalisierung ist kein Selbstzweck. Sie hat immer einem Gemeinwohlzweck zu dienen. Herr Stroedter hat schon einiges dazu gesagt. Ein öffentliches Stromnetz wird uns helfen, unsere energie- und klimapolitischen Vorstellungen umzusetzen. Zentrales Ziel der Netzgesellschaft muss es sein, den Umstieg auf immer mehr dezentral erzeugte erneuerbare Energien netzseitig voranzubringen. Ich habe in den letzten Jahren eine Reihe von Gesprächen mit Verkäufern von Solaranlagen, mit Genossenschaften und natürlich mit den Stadtwerken geführt, und ich habe immer wieder Klagen darüber gehört, dass der Anschluss von Solaranlagen durch den jetzigen Netzbetreiber lang gedauert hat, dass hohe Gebühren verlangt werden oder dass es unterschiedliche Anforderungen an Zählerschränke gibt, die für Intransparenz und auch für höhere Kosten gesorgt haben.

Auch beim Anschluss von Balkonmodulen gibt es immer wieder bürokratische Hemmnisse. Das können wir uns angesichts der immer dringlicher werdenden Klimakrise nicht mehr länger leisten. Wir werden heute mit dem Solargesetz ein Gesetz beschließen, das zur Installation von Tausenden von Solaranlagen zusätzlich pro Jahr führt. Diese müssen nicht nur schnell auf die Dächer, sondern diese müssen auch schnell und unbürokratisch an das Netz. Dafür braucht es einen Netzbetreiber, der das Gemeinwohlinteresse und nicht die Rendite in den Mittelpunkt stellt, und auch deshalb: Kommunales Stromnetz!

Ein weiteres riesiges Thema – und das hat sogar Herr Gräff angesprochen – ist der Ausbau der Elektromobilität. Allerdings haben Sie die völlig falschen Schlüsse daraus gezogen, denn ein kommunaler Netzbetreiber hilft uns dabei. Denn auch hier braucht es eine netzseitige Steuerung, einen Ausbau des Netzes und zusammen mit den Stadtwerken auch einen Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur, damit die absehbar stark steigende Zahl von Elektrofahrzeugen abgewickelt werden kann.

Ich will noch ein weiteres konkretes Beispiel geben: Der Kohleausstieg in Berlin! Hier haben wir das Problem, dass ein relativ hoher Anteil an Erdgas als Ersatz für die Kohle vorgesehen ist. Um das zu ändern, könnte ein weiteres sogenanntes Power-to-Heat-Kraftwerk gebaut werden, mit dem Strom aus erneuerbaren Energien in Wärme umgewandelt und in das Fernwärmenetz eingespeist wird. Dazu sagt uns Vattenfall-Wärme, dass der begrenzende Faktor das Stromnetz ist. Wir haben einfach zu wenig Kapazität im Stromnetz, um solche zusätzlichen Kraftwerke anzuschließen. Hier könnte ein gemeinsames Investitionsprogramm von Übertragungsnetz- und Verteilnetzbetreiber wirklich helfen.

Für uns Linke gibt es aber auch eine grundsätzliche Dimension. Für uns gehört Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand, erst recht, wenn es sich wie beim Stromnetz um ein Monopol handelt. Es gibt hier keinen Wettbewerb. Es gibt nur alle 10, 15 oder 20 Jahre den Wettbewerb um die Neuvergabe der Konzessionen. Ich bin wirklich froh darüber, dass die Gewinne aus dem Stromnetz, ca. 100 Millionen Euro pro Jahr, bald nicht mehr in die Kassen von Vattenfall bzw. in den schwedischen Staatshaushalt fließen, sondern nach Abzahlung der Kredite hier in Berlin für Investitionen im Netz und die Energiewende zur Verfügung stehen. Das ist wirklich ein ganz konkreter Mehrwert.

Von der Opposition, die heute irgendwie so erstaunlich gelangweilt ist, kommen ja häufig die Einwände, das sei alles viel zu teuer und zu riskant, und Herr Gräff hat ja eben wieder in das Horn geblasen, dass wir mit dem Geld doch viele andere schöne Dinge finanzieren könnten.

[Zuruf von Paul Fresdorf (FDP)]

– Jetzt wird es lebendiger. – Das möchte ich jetzt mal eins nach dem anderen durchgehen und versuchen, auseinanderzunehmen.

Zu teuer: Ja, 2 Millionen Euro plus x ist eine Menge Geld, keine Frage, aber wir bekommen dafür ein komplettes Unternehmen mit mindestens 1 300 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen und 2,4 Millionen Kunden. Der Kaufpreis orientiert sich am Ertragswert, und damit ist er refinanzierbar – das ist das Entscheidende – aus den Erlösen des Stromnetzes. Es ist nicht zu teuer.

Zu riskant: Das wirtschaftliche Risiko des Stromnetzes, Herr Gräff, ist ausgesprochen niedrig. Wie gesagt, es ist ein Monopol, und außerdem wird Strom in der Energiewelt der Zukunft eine zentrale Rolle spielen. Das haben Sie selbst ausgeführt. Der Stromverbrauch wird steigen – allein schon durch den Ausbau von Elektromobilität, den Einsatz von Wärmepumpen sowie durch die Digitalisierung –, und die Investitionen, die zweifelsfrei nötig sein werden, können über die Regulierung selbstverständlich vorgenommen werden. Also auch nicht zu riskant!

Jetzt, Herr Gräff, komme ich zu den Fake News, zu den Verschwörungstheorien – ich kann es nicht anders beschreiben –, die Sie hier schon im letzten Plenum wie auch heute wieder verbreitet haben, nämlich dass angeblich der Kauf des Stromnetzes zulasten anderer Ausgaben des Landes Berlin geht. Das ist absoluter Quatsch. Es funktioniert nämlich so: Die ca. 2 Milliarden Euro plus x für den Kauf werden kreditfinanziert, und zwar außerhalb des Haushaltes durch eine extra geschaffene Holding und übrigens zu sehr günstigen Zinskonditionen. Also es wird keine einzige Schule oder Wohnung weniger gebaut, keine einzige Lehrerin und kein einziger Polizist wird weniger eingestellt, und es wird auch nicht weniger in Klimaschutz investiert, weil wir das Stromnetz kaufen. Das müssten Sie als Wirtschaftspolitiker eigentlich auch verstehen, aber Sie verbreiten hier wider besseres Wissen Quatsch und Fake News. Das sollten Sie als Abgeordneter hier in diesem Hause nicht tun.

Die Linke ist bereits seit Monaten in einem intensiven Austausch mit Gewerkschaften und Betriebsräten. Wir wissen, dass es unter den Beschäftigten Fragen und sogar Sorgen gibt, was die Rekommunalisierung denn für sie bedeutet. Deswegen auch von mir die ganz klare Botschaft: Wir wollen, dass bei der Übernahme der Beschäftigten alle tariflichen und betrieblichen Rechte und Ansprüche erhalten bleiben. Herr Stroedter hat das wunderbar ausgeführt. Wir wollen eine möglichst komplette Übernahme der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auch in den zugeordneten Betriebseinheiten oder Gesellschaften, die entsprechende Serviceaufgaben übernehmen. Dieses Haus hat das im Mai 2017 schon mal beschlossen, und das will ich noch mal ausdrücklich bekräftigen. Und ich rufe alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Stromnetz Berlin und Vattenfall dazu auf: Nehmen Sie das Angebot an! Kommen Sie zum Land Berlin, und wirken Sie mit an der Energieversorgung der Zukunft!

Nach erfolgtem Rückkauf gilt es natürlich, den kommunalen Netzbetreiber so transparent und demokratisch wie möglich auszugestalten. Dazu sollten wir uns auch noch mal die Vorschläge, die das Energie-Volksbegehren gemacht hat, sowie Modelle aus anderen Städten genau ansehen. Selbstverständlich gehört das „wie“ – ich unterstreiche „wie“ – einer genossenschaftlichen Beteiligung dazu.

Der Erfolg hat immer viele Mütter und Väter, und bei einigen möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Da wären zunächst der Finanzsenator und die Wirtschaftssenatorin, die hier streng nach Recht und Gesetz und im Rahmen ihrer Zuständigkeiten agiert haben. Dann möchte ich mich beim Geschäftsführer von Berlin-Energie, Wolfgang Neldner, für seine Beharrlichkeit und Fachkompetenz und wirklich jovialen Erklärungen, was ein Stromnetz ist und wie es funktioniert, bedanken; das kann, glaube ich, keiner so gut wie er.

Ich möchte auch unserem ehemaligen Kollegen Harald Wolf danken, der sich bereits als Wirtschaftssenator und als Abgeordneter immer wieder für mehr öffentlichen Einfluss auf die Energieversorgung eingesetzt hat; deswegen schöne Grüße nach Hamburg!

Last but not least möchte ich mich natürlich beim Berliner Energietisch bedanken. Ohne euer, ohne unser Engagement wäre es nicht so weit gekommen, da bin ich mir absolut sicher. Also vielen Dank, und im August feiern wir dann ganz kräftig zehn Jahre Berliner Energietisch!

Wir werden uns dafür einsetzen, dass dem Rückkauf des Stromnetzes weitere Rückkäufe der Daseinsvorsorge folgen. Das gilt insbesondere für die GASAG, wo nach meiner Einschätzung viele Beschäftigte, die keinen Bock mehr auf die ständigen Umstrukturierungs- und Sparprogramme haben, die Rückkehr in die kommunale Familie wünschen. Auch die GASAG wurde in den Neunzigerjahren privatisiert und kann wichtige energiewirtschaftliche Kompetenzen zurück zum Land bringen, sowie Synergien zwischen Strom- und Gasnetz, einen kombinierten Netzbetrieb ermöglichen, zu dem dann perspektivisch vielleicht auch die Fernwärme dazukommt. Selbstverständlich geht es dann auch darum, das Unternehmen auf Kurs Klimaneutralität zu bringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Am 26. September werden nicht nur der Deutsche Bundestag und das Abgeordnetenhaus gewählt, sondern es wird sehr wahrscheinlich auch über die Vergesellschaftung von Wohnraum abgestimmt. Wir holen uns die Stadt zurück. Ich freue mich drauf! – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Kontakt

Verwandte Nachrichten