Bezahlbares Wohnen für Berlin

Mieten- und Wohnungspolitik

25. Sitzung, 26. April 2018

Dr. Michail Nelken (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Zur Aktualität des Themas Wohnen und Mieten etwas zu sagen, scheint mir überflüssig, aber eine Anmerkung, wie aus der Zeit gefallen diese Feststellung ist, kann ich mir nicht verkneifen. Seit mehr als zehn Jahren ist dieses Thema aktuell. Erst jetzt haben es die gravierenden sozialen Wohnungsprobleme, soziale Verdrängung, Segregation und Gentrifizierung wirklich geschafft, im öffentlichen Diskurs den Platz einzunehmen, der diesen Problemen zusteht.

Die große Mietendemonstration am 14. April hier in Berlin brachte nur zum Ausdruck, was inzwischen sehr viele Menschen in dieser Stadt sagen: Es reicht! Stoppt den Mietenwahnsinn, stoppt die Spekulation mit unserem Zuhause! Hinsichtlich der Ursachen dieses Mietenwahnsinns demonstrierten die Mieter auf der Straße weit mehr Klarsicht als manche Politiker und Berufsanalysten. Erstaunliche Tatsachenresistenz und realitätsferne Phrasen zu den Ursachen und zu den Gegenmitteln sind aber immer noch allgegenwärtig: Mehr Neubau, mehr neue Wohnungen seien das probateste Mittel zur Preissenkung, denn der Preisauftrieb sei im Bevölkerungswachstum begründet, dem der Neubau nicht nachkomme.

Das hören wir ja täglich, wie jetzt auch schon zugerufen. Ich tue jetzt mal so, als wenn ich glauben würde, dass Sie Ihre Phrasen ernsthaft selbst glauben. Davon gehe ich jetzt mal aus. Deshalb habe ich mir gesagt, ich werfe doch noch mal einen Blick auf konkrete Realitäten. Ich habe deshalb extra gestern noch mal in die Zahlen des Landesamts für Statistik von Berlin-Brandenburg geschaut, und da kann man lesen, dass im Jahr 1991  3,446 Millionen Einwohner in Berlin waren und im Jahr 2016  3,574 Millionen. Das sind 128 800 Einwohner mehr. Und wenn Sie sich die Entwicklung – die stehen auch beim Statistischen Landesamt – der Wohnungszahlen in Berlin anschauen, dann werden Sie feststellen, die hat sich von 1,723 ca. auf 1,916 entwickelt. Das sind 193 000 mehr. Jetzt könnte man ja wenigstens sagen, Statistiken hin und her, aber die Kaufpreise. Die Kaufpreise haben sich vervielfacht. Da reden wir von Zunahmen von 300 bis 400 Prozent. Offensichtlich gibt es ein Problem, wenn man sich den Zusammenhang zwischen Bevölkerungsentwicklung, Anzahl der Wohnungen und den Preisen anguckt. Sie sollten vielleicht mal darüber nachdenken, wenigstens die Frage stellen, man kann ja allen Statistiken misstrauen.

Vor einigen Tagen titelte ein sehr wirtschaftsnahes Onlinemagazin: Mehr Wohnungsbau treibt die Mieten. Da war ich dann sehr verwundert. Da konnte man dann lesen, die landläufige Meinung, um steigenden Mieten entgegenwirken, müsste mehr gebaut werden, wird von der Studie einer Schweizer Investmentfirma für den deutschen Wohnungsmarkt in Zweifel gestellt. Denn sie haben eine Untersuchung von 80 deutschen Städten mit über 70 000 Einwohnern unternommen, und das haben sie festgestellt: Wo mehr Wohnungen neu gebaut werden, da steigen die Preise überdurchschnittlich. Wie kommt das?

[Michael Dietmann (CDU): Die haben sich jetzt vorgenommen, nicht mehr zu bauen! –
Frank-Christian Hansel (AfD): Sie glauben das auch noch, was?]

– Das ist ja eine Tatsache. – Ich hoffe jedenfalls, niemand hat den Kollegen Geld gezahlt für diese Studie. Denn es ist eine triviale marktwirtschaftliche Binse, dass Mieten und Kaufpreise von Wohnungen steigen, wo die kaufkräftige Nachfrage und der Kapitalzuwuchs wachsen und nicht nur sich die Einwohner mehren. Es ist simpelste Binse. Dafür bezahle ich einer Studie doch kein Geld. Die kämen ja noch auf die Idee – das kann man da auch nachlesen – –  Die Korrelation, die da bestanden hat, führen sie darauf zurück, dass die Neubauten alle so teuer sind und deshalb im Durchschnitt die Mietpreise hoch sind.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist doch unsere
Argumentation, Herr Nelken!]

– Ja, es ist Ihre Argumentation, aber es ist auch Quatsch!

Ich habe die jetzt ja sehr ernst genommen, also ganz offensichtlich gibt es eine Ursache für die Preisentwicklung, das ist die Immobilien- und Bodenspekulation. Es ist die Ursache, dass der Mieten- und Kaufpreiswahnsinn – – es geht um den Betongoldrausch. Diese Entwicklung ist allerdings verbunden – –

Präsident Ralf Wieland:

Herr Nelken! Ich wollte Sie gar nicht unterbrechen. Ich wollte nur noch mal mahnen, dass wir uns doch gegenseitig in erster Linie zuhören sollen.

Dr. Michail Nelken (LINKE):

Es ist ja nun einfach so, dass Sie anerkennen müssen, dass das eigentliche Problem der Entwicklung in Berlin und in anderen Großstädten der sogenannte Betongoldrausch ist. Das ist hier allerdings verbunden mit extrem – – Nein! Keine Zwischenfragen! – Diese Entwicklung könnte man ja so laufenlassen, die ist allerdings ausgesprochen gemeinschädlich in Folgen, und zwar nicht nur für die Mieterhaushalte, sondern auch für die Käufer von selbstgenutztem Wohneigentum, also auch für den sozialen Zusammenhalt in der Stadt und für das normale wohnungswirtschaftliche Gefüge ist das alles sehr schädlich.

Es gibt ja heute noch Lobbyisten, und nicht nur Lobbyisten der Bodenspekulation, die bezeichnen das als normale Entwicklung einer kapitalistischen Metropole, quasi als nachholende Normalisierung für Berlin. Man kann allerdings auch der Meinung sein, und dieser Meinung bin ich, und dieser Meinung ist die Linke und auch die Regierungskoalition, dass diese Dominanz der Bodenspekulation und der Immobiliendealerei einfach ein Marktversagen ist, ein Marktversagen mit sozialen Folgen für die einzelnen Bürger. Man kann auch sagen, für die Wohnungswirtschaft selbst. Einem Versagen von Markt begegnet man allgemeinhin mit öffentlicher Regulierung. Wenn man so die Ursachen der Misere sieht, dann ist es kein Naturereignis, sondern dann muss man etwas dagegen tun. Und diese Koalition hat sich vorgenommen, etwas dagegen zu tun.

[Heiko Melzer (CDU): Sie machen ja nichts! –
Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich habe jetzt nicht gehört, von wem der Zwischenruf kam. Die Koalition hat sich das nicht nur vorgenommen, die macht ja ständig was, und Sie nehmen das nur nicht zur Kenntnis, weil Sie immer nur eine Leier haben: Bauen, bauen, bauen. Wie wir da eben festgestellt haben, führt das überhaupt nicht zur Lösung des Problems.

Zu den Gegenmitteln komme ich jetzt mal, die wir uns als Regierung nicht nur vorgenommen, sondern auch schon begonnen haben. Es gibt übrigens kein einziges Regulationsinstrument, um dieser Entwicklung zu begegnen, sondern es ist ein komplexes Problem, dem mit verschiedenen Regulationsinstrumenten entgegengegangen wird. Es gibt keinen Zauberstab, und es gibt keine Weltformel, meine Herren. Ich behaupte, dass Ihnen bei der Opposition einfach der Wille fehlt, etwas gegen diese Entwicklung zu unternehmen, und deswegen leiern Sie immer wieder die gleichen Sätze hier herunter.

Wir sagen jetzt erstens: Wir brauchen mehr – und das tun wir auch – kommunalen, geförderten und gemeinnützigen Wohnungsneubau. Dieser muss sich im doppelten Sinne gegen die spekulative Entwicklung richten, weil diese Entwicklung der entscheidende Punkt ist, dass wir hier nicht nur gegen die Mietpreise arbeiten, sondern dass wir auch in der stadträumlichen Anordnung dieses Neubaus genau in die Hotspots der Immobilienspekulation gehen, damit wir nicht am Rande der Stadtquartiere die Opfer der sozialen Verdrängung errichten. Insofern muss eine soziale Wohnungspolitik im Neubaubereich auf beide Aspekte ausgerichtet sein.

Der zweite Punkt: Der größte Teil der Wohnungen ist im Bestand. Da haben wir fast zwei Millionen Wohnungen. Da müssen wir etwas für die Stabilisierung der Mieten tun. Da haben wir hier viel vorgelegt. Wir haben sozusagen Ihnen das hier vorgetragen. Sie haben das meistens alles abgelehnt. Da kann ich jetzt nur noch Stichworte nennen. Das war die Ausdehnung der Milieuschutzgebiete, Umwandlungsverordnung, Vorkaufsrecht ausüben – das sind alles Instrumente, mit denen man dieser Bodenspekulation entgegenwirken kann. Das ist der Sinn dessen, was wir uns vornehmen.

Viertens ist ein ganz wichtiger Punkt eine aktive strategische Bodenpolitik. Auch die hat Rot-Rot-Grün inzwischen in Angriff genommen. Dabei geht es nicht nur darum, dass Berlin nicht mehr zu Höchstpreisen verkauft, sondern dass wir langfristig nachhaltige soziale Sicherungen auf die Bodennutzung bringen und dass wir auch strategische Einkaufspolitik betreiben.

Da sich meine Redezeit leider dem Ende zuneigt, eine letzte Bemerkung noch: Sie sehen, Rot-Rot-Grün hat allerlei Maßnahmen ergriffen, die werden wir auch noch weiterentwickeln müssen. Wir führen nicht den Immobiliensozialismus ein, wir schaffen nicht die private Wohnungswirtschaft ab, sondern es geht um einen einzigen Punkt, dass wir nämlich die private Immobilienspekulation, die sozialschädlich ist, die auch die Wohnungswirtschaft schädigt und die das Gemeinwesen schädigt, bekämpfen. Die ist der Grund für den Mietenwahnsinn.

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