Lawine von Insolvenzen solidarisch abfedern
76. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 25. März 2021
Zu "Insolvenzverfahren vereinfachen und Rechtssicherheit schaffen" (Priorität der Fraktion der FDP)
Sebastian Schlüsselburg (LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist eine sehr detaillierte und trockene Rechtsmaterie, aber eine, das hat Frau Meister zu Recht gesagt, extrem wichtige mit sehr vielen betroffenen Menschen, und deswegen danke ich der FDP, dass Sie hier den Antrag eingereicht haben und wir in diesem Landesparlament auch über das Thema reden. Ich werde mich bemühen, es so lebhaft wie möglich zu gestalten.
Die FDP möchte mit ihrem Antrag das Insolvenzrecht für Soloselbständige, Gewerbetreibende und Kleinstunternehmen vereinfachen, so heißt es in ihrem Antrag. Wir könnten jetzt Ihren Antrag einfach mit dem schlichten Verweis auf die Gesetzgebungskompetenz des Bundes abweisen. Das hat der Kollege Rissmann auch erwähnt. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass wir es uns so einfach nicht machen sollten, denn Berlins Wirtschaft ist sehr stark geprägt von Gewerbe, Soloselbstständigen und Kleinstunternehmen. Deswegen ist es auch völlig angemessen, wenn wir in diesem Hohen Haus über dieses Thema reden und gegebenenfalls auch Beschlüsse fassen. Ich finde, die Betroffenen haben sogar ein Recht darauf, dass sich ihr Landesparlament mit dieser für sie wichtigen Frage befasst und sich gerade keinen schlanken Fuß macht.
Das geht auch deswegen nicht, weil wir eine enorme Insolvenzlawine bekommen werden, wenn die aktuell geltende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegfällt. Diese Lawine müssen wir sozial und solidarisch abfedern. Dazu brauchen wir eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung von Bund und Ländern.
Kommen wir nun zu einigen Punkten des Antrags: Als erstes schlagen Sie vor, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Unternehmen, die pandemiebedingt Zahlungsschwierigkeiten haben, bis zum 31. August 2021 zu verlängern. Ob und unter welchen Voraussetzungen dies verlängert werden sollte, ist eine wirtschaftspolitische Frage. Sie hat volkswirtschaftliche Vor- und Nachteile, und wir sollten Sie sorgfältig abwägen. Im Bundestag hat sich die FDP-Abgeordnete Skudelny in der Debatte zum Insolvenzrecht am 17. Dezember nach meinem Kenntnisstand gegen diese Verlängerung ausgesprochen. Warum? – Sie hat sich dagegen ausgesprochen, weil ihre Fraktion im Bundestag befürchtet, dass es zu einem weiteren Anwachsen der Bugwelle bei den Insolvenzen führen würde. Mich würde interessieren – die Frage ist ganz ehrlich gemeint –, ob Sie inzwischen als FDP eine einheitliche Position haben. Vielleicht können wir den Widerspruch zur Bundestagsfraktion auch noch einmal in den Ausschussberatung auflösen. Es zeigt aber eben auch, dass es keine einfache Frage ist.
Das bringt mich im Übrigen zu der Frage, ob Sie Ihren Antrag mit der eben erwähnten neuen Bundesgesetzgebung abgeglichen haben. Der Bundestag hat gerade einen Rechtsrahmen dafür geschaffen – ich zitiere – der es Unternehmen ermöglicht,
sich bei drohender, aber noch nicht eingetretene Zahlungsunfähigkeit, außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu sanieren.
Zitat Ende. – Das soll auf Grundlage eines Restrukturierungsplans geschehen. Die Gläubiger müssen dem natürlich mehrheitlich zustimmen. Das Gesetz sieht auch befristete Corona-Sonderregelungen vor, um die Sanierung zu erleichtern.
Ich möchte jetzt nicht falsch verstanden werden. Wir Linke haben uns im Bundestag bei der Abstimmung enthalten, weil wir die Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bei dem Sanierungsverfahren wieder einmal unzureichend berücksichtigt gesehen haben und weil wir auch finden, dass diese Gesetzesänderung gerade für die Selbstständigen und die KMUs in der Coronalage unzureichend ist.
Dennoch, das muss man durchaus anerkennen, geht das Gesetz in die richtige Richtung, weil es vorgerichtliche Sanierung außerhalb des Insolvenzverfahrens ermöglicht. Das ist auch ein Kernpunkt, den Sie hier starkmachen. Insofern hätte ich mit dem Antrag schon gewünscht, dass es einen stärkeren Abgleich mit der gerade geänderten Rechtslage gegeben hätte. Das ist aber auch eine Sache, die wir im Ausschuss noch miteinander besprechen können.
Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Ziffer 2 Ihres Antrags, in dem Sie eine Coronaausnahme für die Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit im Sinne einer Zahlungsunfähigkeit nach § 35 Gewerbeordnung fordern. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entfällt der Untersagungsgrund schon jetzt, wenn der Gewerbetreibende zahlungswillig ist und trotz seiner Schulden nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept arbeitet. Die Behörde und die Gerichte haben also schon jetzt die Möglichkeit, in Ansehung des Einzelfalls, sachgerecht von der Untersagung abzusehen. Ich bin mir sicher, dass sie das auch tun werden, insbesondere bei den völlig offensichtlichen Fällen in dieser Sonderlage, die wir jetzt haben.
Die anderen Punkte, insbesondere den sehr komplexen Punkt in Bezug auf den Zugang zum ALG I, werden wir sehr detailliert im Ausschuss miteinander besprechen müssen. Das ist sozialer Sprengstoff in dieser Frage. Ich hoffe, dass wir es bei dieser Materie tatsächlich schaffen, auch wenn wir die Gesetzgebungskompetenz nicht haben, hier vielleicht sogar zu einem konsensualen Antrag zu kommen. Ich finde, die Betroffenen haben es allemal verdient. – Vielen Dank!