Sachgerechte Arbeitsteilung im Parlament

Demokratie und BürgerbeteiligungSebastian Schlüsselburg

68. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 10. Dezember 2020

Zu "Einsetzung eines Sonderausschusses „Coronaverordnungen" (Priorität der AfD-Fraktion)

Sebastian Schlüsselburg (LINKE):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein Satz ist geflügelt in den letzten Monaten immer wieder auf allen Ebenen genannt worden: Die Coronapandemie, die Coronakrise legt schonungslos alle Schwächen in unserem funktionierenden Gemeinwesen und in unserer Gesellschaft auf. Ich möchte ergänzen: Sie legt auch schonungslos offen, dass die AfD nichts weiter als überflüssig ist. Sie haben keinen Gebrauchswert in unserer Gesellschaft.

Dieser Antrag macht das deutlich. Bei Ihnen hat man von Beginn der Pandemie an überhaupt nicht gewusst, ob Sie überhaupt irgend eine Linie haben. Ihre Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Frau Weidel, hat Mitte März noch getwittert: Es müssen sofort radikale Maßnahmen ergriffen werden. Das gesellschaftliche Leben muss komplett heruntergefahren werden. Die Bundesregierung handelt nicht und gefährdet Menschenleben.

Ende April hat sie getweetet: Die Wirtschaft muss sofort hochgefahren werden. Die Gastronomie muss noch vor dem Wochenende öffnen. Die Bundesregierung muss handeln. Jetzt, bei dem zweiten Lockdown light und der zweiten Welle, die wir jetzt haben, mischen Sie sich unter die Reichsbürger, Rechtsextreme, und drehen Ihre Fahne nach dem Wind und spielen sich auf, als wenn Sie die Lordsiegelbewahrer der Grundrechte wären, so auch ihre Rede, die Sie hier versucht haben zu halten.

Warum machen Sie das? Das ist doch ganz übersichtlich. Sie machen das, weil Sie wie ein Ertrinkender politisch ums Überleben kämpfen.

[Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

Da sprechen die Zahlen Bände. Schauen wir uns doch einmal die Zahlen an. Bei Forsa im Juli 2018 hatten Sie in den Umfragewerten auf Bundesebene 16 Prozent. Im März 20, wieder Forsa, zu Beginn der Coronakrise, waren es nur noch 11 Prozent.

[Marc Vallendar (AfD): Wie viel hat denn Die Linke
auf Bundesebene?]

Ende November 2020 sind Sie auf 7 Prozent heruntergesackt, 1 Prozent weniger als Die Linke in derselben Umfrage. Wir haben jetzt noch 2 Prozent bis zur 5-Prozent-Hürde. Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass die Gesellschaft, weil wir Sie nicht brauchen, erkennt, dass Sie dem Bundestag nicht mehr angehören müssen und einfach einmal abgewählt werden.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Deswegen schlagen Sie um sich. Als erstes versuchen Sie sich in Law-and-Ordermanier an die Leute heranzuwanzen in dem Glauben: Ja, dann haben wir Aufwind, wenn wir die möglichst radikalen Shutdownprediger sind. Dann stellen Sie fest, oh, die Wirtschaft muss wieder hochgefahren werden. Versuchen wir es doch mit dieser Forderung. Jetzt versuchen Sie sich heranzuwanzen an Leute, die durchaus berechtigte Sorge haben bei der Frage der Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseingriffe.

Jetzt komme ich aber noch einmal zu dem konkreten Instrument. Dazu haben Herr Rissman und Herr Kohlmeier einiges gesagt. Sie bemänteln Ihren Antrag hier mit einer pseudosachlichen Begründung und sagen, wir bräuchten einen Sonderausschuss, frei nach dem Motto, wenn ich nicht weiter weiß, das wissen Sie bei Corona nicht, dann gründe einen Arbeitskreis. Sie haben verkannt, dass dieses Parlament mit seiner Arbeitsteilung, die es in der Geschäftsordnung hat, sehr wohl in der Lage ist, zu sachgerechten Entscheidungen und zur Regierungskontrolle zukommen.

[Marc Vallendar (AfD): Da ist aber nicht viel passiert!]

Sie waren gerade eben, zwei Tagesordnungspunkte vorher, Zeuge, dass dieses Plenum von seinem Königsrecht Gebrauch gemacht, einen Nachtragshaushalt beschlossen hat, der die Stadt Berlin sozial und solidarisch in der Krise am Laufen hält.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE) –
Marc Vallendar (AfD): Ihr habt Euch mit
der Rechtsverordnung doch gar nicht befasst!]

Was tun Sie hier? Sie behaupten das Gegenteil, dass wir das nicht machen. Das ist doch frech, es ist einfach nur frech.

[Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

Das lassen wir Ihnen an der Stelle nicht durchgehen. – Herr Vallendar! Wir sind hier nicht auf dem Kasernenhof. Wir sind hier im Parlament. Parlament kommt von parler und nicht von Herumschreien. Benehmen Sie sich mal!

[Marc Vallendar (AfD): Zwischenrufe sind erlaubt!]

Aber nur, wenn sie geistreich sind und nicht solch komisches Zeug hier.

Wissen Sie, was ich Ihnen hier unterstelle? Ich unterstelle Ihnen, dass Sie mit diesem Sonderausschuss eigentlich etwas ganz anderes bezwecken, nämlich das, was Sie im Bundestag auch schon versucht haben. Sie versuchen, einen Pseudo-Untersuchungsausschuss zu installieren, den Sie versuchen, für Ihre Filterblase zu einer Art Tribunal gegen die jeweilige Regierungspolitik zu machen und bei begleitenden Prozessen sozusagen Untersuchungsgegenstände ans Licht zu zerren. Das lassen wir Ihnen auch nicht durchgehen. Dazu können Sie sich mal verhalten.

Wir haben eine sachgerechte Arbeitsteilung in diesem Parlament. Der Rechtsauschuss ist es gewesen, der übrigens einstimmig auf Initiative der Koalitionsfraktionen zur Gewährleistung der Religionsfreiheit und des Versammlungsgrundrechts eine eindeutige Beschlussempfehlung an den Senat abgegeben hat. Sich hier hinzustellen und zu behaupten, dass dieses Parlament nicht in der Lage ist, Grundrechtsabwägungen vorzunehmen, ist einfach nur frech. Dieser Antrag gehört in die Tonne. Dahin werden wir ihn auch gleich befördern. Wir werden stattdessen auf dem seriösen und sachgerechten Weg weiterschreiten, den wir mit den demokratischen Oppositionsfraktionen zusammen gehen, nämlich schauen, wie wir ein Landesgesetz zur Umsetzung der Coronamaßnahmen hinbekommen, wo es sowohl um die Parlamentsbeteiligung als auch um die wesentlichen Grundrechtsabwägungen geht. Das ist der richtige Weg und nicht diese Pseudoanträge, die Sie hier stellen.