Tegel für die Zukunft öffnen

Udo Wolf

Einen Volksentscheid für so billige wahltaktische und parteipolitische Manöver zu missbrauchen wie die FDP, das kann man machen und ist nicht verboten. Man darf es aber abstoßend finden, und es ist vor allem politisch unseriös und verantwortungslos.

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14. Sitzung, 15. September 2017

Aktuelle Stunde

Tegel für die Zukunft öffnen

Udo Wolf (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Graf! Ich beneide Sie wirklich nicht für diese Rede, die Sie hier halten mussten,

nach dem, was die Berliner CDU zu dem Thema in den letzten Wochen und Monaten angestellt hat. Das war einfach eine peinliche Ansammlung von Windungen und Wendungen. Ich kann nur sagen: Der doppelt eingesprungene Wendehals steht Ihnen echt gut.

Es ist auch deutlich geworden, warum wir von der Koalition heute Tegel auf die Tagesordnung gesetzt haben und warum die Opposition aus Rechtspopulisten, FDP und CDU das nicht wollte. Alle Ihre Täuschungsmanöver sind aufgeflogen.

Alle, die sich jemals ernsthaft damit beschäftigt haben, wussten, dass die Bundesregierung und das Land Brandenburg nach dem 24. September bestätigt hätten, dass Tegel schließen muss, wenn der BER eröffnet. Dankenswerterweise hat die Kanzlerin das schon jetzt getan, weil sie offensichtlich nicht bereit war, im Sommerinterview und vor der Bundespressekonferenz mit Rücksicht auf die Berliner CDU in dieser Sache die Unwahrheit zu sagen.

Der Herr Präsident hat ja am Anfang appelliert, dass wir nicht so viel Wahlkampf machen sollen. Alles, was seit dem, was die Kanzlerin veröffentlicht hat, gesagt wurde, zeigt doch ganz deutlich: Weder FDP noch CDU, von den Rechtspopulisten ganz zu schweigen, hatten jemals ein ernsthaftes Interesse in der Sache.

Die FDP hatte eine windige und unseriöse, aber funktionierende Wahlkampfidee. Herr Czaja! Dass das nie wirklich mehr war als das, haben Sie in Ihrer Klamaukrede in der letzten Plenardebatte zum Thema hier gezeigt.

Ein Volksentscheid für so billige wahltaktische und parteipolitische Manöver zu missbrauchen, das kann man machen und ist nicht verboten. Man darf es aber abstoßend finden, und es ist vor allem politisch unseriös und verantwortungslos.

Meine Damen und Herren von der Berliner CDU! Was Sie in der Flughafenpolitik für Haken schlagen, ist echt nicht zu fassen. Lassen Sie mich kurz rekapitulieren: Nachdem Ihr Regierender Bürgermeister Diepgen vor 20 Jahren Schönefeld als Standort durchgesetzt hat, nachdem Sie in all der Zeit niemals einen Zweifel daran haben aufkommen lassen, dass Tegel geschlossen wird, wenn der Flughafen BER eröffnet, und nachdem Sie das auch in Ihrem Wahlprogramm 2016 – das ist noch nicht so lange her – noch einmal bekräftigt haben, nach all den Jahren legen Sie eine 180-Grad-Wende in der Tegel-Frage hin und begeben sich in das Bündnis mit FDP und Rechtspopulisten, weil die Umfragen das profitabel erscheinen lassen.

Und immer, wenn Populismus die Fremdschämgrenze übersteigt, darf einer nicht fehlen:

Der bayrische Mr. Maut-Dieselgate-Autobahnskandal Dobrindt mit jeder Menge absurder persönlicher Debattenbeiträge! Sein Herz schlägt bekanntlich nur für einen Flughafen, nämlich für den in München. Mittlerweile dürften auch Sie gemerkt haben, dass diese dilettierende Skandalnudel kein guter Werbeträger ist.

Aber zumindest die Kanzlerin erinnert sich auf Nachfrage noch daran, dass es bestehende Beschlüsse gibt, die Ihre Partei seit Jahrzehnten mitträgt, und eine daraus resultierende Rechtslage. Herr Graf! Herr Evers! Dumm gelaufen. In der Berliner CDU hat das offensichtlich Panik ausgelöst. Gefühlt alle zwölf Stunden verkündet irgendein CDUler eine neue Position zu Tegel. Grütters dafür! Klar, sie liest bei den Verträgen, die sie selbst unterzeichnet, ja auch nur das Feuilleton. Henkel und Wegner dagegen, Heilmann vorübergehend dafür, Evers erst auch, dann doch wieder nicht, und Steffel sorgt sich nur um sich selbst.

Ernsthaft: Die Lage ist eindeutig. Die Entscheidung dafür, den Flughafen Tegel zu schließen, ist mit Ihren Stimmen schon vor Jahren getroffen worden, und diese Entscheidung kann nach geltender Gesetzeslage auch durch einen Volksentscheid zur politischen Willensbildung nicht einfach wieder rückgängig gemacht werden.

Das mussten selbst die Pro-Tegel-Juristen in der Debatte mit dem BUND einräumen. Selbst im Idealfall würde sich der Prozess über zehn Jahre hinziehen, und in der gesamten Zeit darf der BER nicht eröffnen, denn sonst wären alle Verfahren hinfällig. Gleichzeitig wissen alle, dass TXL nach heutigem Recht nicht mehr genehmigungsfähig wäre.

Unter dem Strich bleibt also: Der Flughafen Tegel ist juristisch tot, und das wissen Sie, Herr Graf, selbst ganz genau.

Während die Union, den, wie schon gesagt, mindestens doppelt eingesprungenen Wendehals gibt, ist die FDP in ihrer gnadenlosen Verantwortungslosigkeit schmerzfrei. Herr Czaja! Sie machen unmissverständlich deutlich, wessen Interessen Sie außer Ihren parteipolitischen vertreten. Sie schrecken nicht davor zurück, mit dem Billigflieger Ryanair eine strategische Partnerschaft einzugehen, und da sind diese Krokodilstränen wegen Air Berlin wirklich ein Treppenwitz der Geschichte.

Denken Sie mal darüber nach, was Sie da in dem Sektor erzählen! Sie schrecken nicht davor zurück, mit dem Billigflieger Ryanair eine strategische Partnerschaft einzugehen. Ryanair hilft der FDP mit einem Fake-Gutachten, die FDP hilft Ryanair Werbung in eigener Sache zu machen, und überlässt ihr 100 Werbeflächen in der Stadt, die eigentlich nur Parteien im Wahlkampf, nicht aber Konzernen zur Verfügung stehen. Aber FDP und Ryanair, das passt ja auch. Beide stehen für Lohndumping und Steuervermeidung, für Profit auf Kosten öffentlicher Kassen.

Bei beiden heißt es: Economy first, also im Zweifel immer Unternehmensinteressen vor Umweltschutz oder Mieterinteressen!

Angesichts dessen ist es mehr als ein böser Scherz, wenn sich jetzt ausgerechnet FDP, CDU und Rechtspopulisten die Angst der Menschen vor steigenden Mieten im Umfeld des Flughafens zunutze machen.

Präsident Ralf Wieland:

Kollege Wolf! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Hansel?

Udo Wolf (LINKE):

Kleinen Augenblick! Ich möchte den Passus noch beenden. Die Argumentation ist besonders wichtig. Hier geht es nämlich tatsächlich um soziale Mieterinteressen in dieser Stadt.

Dass ausgerechnet die Parteien, die nahezu jede Maßnahme für besseren Mieterschutz als sozialistisches Teufelszeug ansehen, sich jetzt dort im Umfeld des Flughafens Tegel um Mieterinteressen kümmern wollen!

Ausgerechnet diese Parteien suggerieren jetzt: Stimmt für Fluglärm! Der schützt euch vor steigenden Mieten. – Was ist das für eine perverse Logik! Wer arm ist, soll sich also in Lärm und Dreck einrichten, damit er auch in Zukunft noch seine Miete zahlen kann? Wie zynisch ist das denn?

Nicht Lärm und Dreck schützen vor steigenden Mieten, sondern eine wirksame Mietpreisbremse, besserer Milieuschutz, Einschränkungen für die Immobilien und Bodenspekulation und Kündigungsschutz – all das, was in dieser Stadt gegen FDP und CDU erkämpft werden muss.

Und genau das werden wir tun. Deswegen setzen wir uns für die Einrichtung von Milieuschutzgebieten in betroffenen Bezirken ein. Nicht nur Reinickendorf-Ost, am besten rund um den Flughafen und auch in Spandau sollte man endlich mitziehen. Wenn es die Bezirke nicht machen, macht es eben der Senat.

Präsident Ralf Wieland:

Herr Wolf! Ich darf Sie noch einmal fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen?

Udo Wolf (LINKE):

Von wem denn?

Präsident Ralf Wieland:

Kollege Hansel.

Udo Wolf (LINKE):

Nein!

[Heiterkeit]

Da wird mir übel.

Präsident Ralf Wieland:

Nein reicht!

Udo Wolf (LINKE):

Tegel für den Flugverkehr zu schließen, wenn der BER eröffnet, ist doch die längst überfällige Erfüllung eines zwanzig Jahre alten Versprechens, ein Versprechen, das alle demokratischen Parteien – deswegen rede ich nicht so gern mit Ihnen – in Regierungsverantwortung irgendwann einmal auf verschiedenen Ebenen gegeben haben, ja, auch die FDP, als sie noch in der Bundesregierung war.

Vor allem den Anwohnerinnen und Anwohnern, denen tagtäglich die Flugzeuge über die Köpfe donnern, sind wir es schuldig, dieses Versprechen endlich einzulösen.

Natürlich dürfen wir bei der Diskussion um die Lärmbetroffenen in Tegel die Menschen im Südosten der Stadt nicht vergessen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass diese zwei Gruppen gegeneinander ausgespielt werden.

Ich kann schon verstehen, dass die Menschen im Südosten angefressen sind. Schönefeld ist wirklich nicht der beste Standort für einen Flughafen. Wie gesagt, Ihr Herr Diepgen wollte es unbedingt so. Nun ist es so, und wir können die Zeit nicht mehr zurückdrehen, auch nicht durch den Volksentscheid. Vielmehr birgt er die Gefahr, dass es gerade im Südosten noch viel schlimmer wird.

Ich wiederhole hier noch einmal, was ich schon im Mai gesagt habe. Wenn wir versuchen würden, Tegel offen zu halten, kann es passieren, dass es aufgrund von Klagen weder für den BER noch für TXL eine Betriebsgenehmigung gibt. Dann bliebe als einziger arbeitsfähiger Flughafen Schönefeld alt übrig, mit allen Konsequenzen, mit einer Betriebsgenehmigung für 24 Stunden rund um die Uhr. Das will ich mir gar nicht ausmalen, nicht für Berlin und auch nicht für die Menschen, die dort leben.

Präsident Ralf Wieland:

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gläser?

Udo Wolf (LINKE):

Nein!

Präsident Ralf Wieland:

Nein! Gut!

Udo Wolf (LINKE):

Wichtig ist, dass das Schallschutzprogramm für die Anwohnerinnen und Anwohner des BER schnell und unbürokratisch umgesetzt wird. Dazu haben wir uns auch im Koalitionsvertrag bekannt. Aus Anhörungen wissen wir, dass es hier noch dringend Verbesserungsbedarf gibt. Da muss etwas passieren.

Man muss es immer wieder sagen: Zu versuchen, Tegel offen zu halten, wäre in jeder Hinsicht fahrlässig, aufgrund des Lärms, der Schadstoffe, des Risikos einer Flugzeugkatastrophe in der Innenstadt einerseits, andererseits, weil dadurch eine riesige Fläche mitten in der Stadt blockiert würde, eine Fläche, die wir für sozialen Wohnungsbau, für Bildung, für Gewerbe, aber auch für Grünflächen und den Erhalt des erträglichen Stadtklimas dringend brauchen.

Was wir sicher nicht brauchen, ist, dass sich in dieser Stadt billiger Populismus durchsetzen kann.

Weil wir das Instrument des Volksentscheids so wichtig finden

und weil wir die Berlinerinnen und Berliner in ihrer Abstimmungsentscheidung ernst nehmen, ist es auch so ärgerlich, dass FDP, CDU und AfD verantwortungslos mit diesem Instrument umgehen, indem sie, wissend, dass es in der Sache nicht geht, das Gegenteil behaupten und die Leute versuchen, bewusst hinter das Licht zu führen.

Wer so eine sich selbst erfüllende Prophezeiung der Politikverdrossenheit provoziert, darf nicht gewinnen. Deshalb lassen Sie nicht zu, dass FDP, CDU und AfD am 24. September damit durchkommen. Berlin bleibt ehrlich. Stimmen Sie mit Nein.

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