Aids tötet immer noch

Eine steigende Zahl von Neudiagniosen – und infektionen zeigt, dass nur individuelles Wissen und entsprechendes Verhalten vor dieser tödlichen Krankheit schützen kann.

38. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 16. Wahlperiode zum Antrag  »Anstieg der HIV-Neuinfektionen und sexuell übertragbaren Krankheiten stoppen – gezielt in Prävention investieren!«

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Knapp und klar: Auch heute noch sterben in Berlin in jeder Woche zwei Menschen an Aids. Etwa 10 430 HIV-positive und aidskranke Menschen, 9 500 Männer, 900 Frauen und 30 Kinder leben in dieser Stadt. Das bedeutet, jeder sechste HIV-Positive in Deutschland lebt in Berlin. Es gibt Themen, die sich wenig zur parteipolitischen Streiterei eignen. Dieses Thema gehört mit Sicherheit dazu. Deshalb sei auch gleich vorweg gesagt, das Problem Aids und HIV ist in dieser Stadt von unterschiedlichen Regierungen jeweils sehr ernst genommen worden. In Zusammenarbeit von Selbsthilfeorganisationen, freien Trägern, öffentlichem Gesundheitsdienst und Senatsverwaltungen sind Strukturen eines differenzierten Hilfesystems geschaffen worden, die bundesweit beispielhaft sind. Trotz all dieser Bemühungen – auch das gehört zur Wahrheit – ist nach Angaben des Robert-Koch-Instituts im Verlauf der letzten Jahre ein deutlicher Anstieg der Neudiagnosen in unserer Stadt zu beobachten. Die Zahl für das Jahr 2007 beträgt bundesweit etwa 3 000, 460 davon sind in unserer Stadt aufgetreten. Wobei, das muss man wissenschaftlich exakt einschränkend sagen: Neudiagnose ist nicht gleichzusetzen mit Neuinfektion. Aber das Problem wird dadurch nicht geringer. Berlin ist und bleibt Aids-Hauptstadt in diesem Land.

Bis in die Mitte der 90er Jahre beschränkte sich die Behandlung von Aids-Patienten auf reine Sterbebegleitung. Mittlerweile ist es gelungen, durch deutlich verbesserte, aber immer noch aufwendige Behandlungsmöglichkeiten die Krankheit zu chronifizieren und damit den Krankheitszustand lebensverlängernd zu stabilisieren. In diesem Zusammenhang hat die Arbeit der 15 Aids-Schwerpunktpraxen eine große Bedeutung, deren Existenz – Sie haben es der Presse entnommen – durch die beabsichtigte Streichung des Aidszuschlags gefährdet schien. Es ist dem Engagement nicht zuletzt unserer Gesundheitssenatorin zu verdanken, dass heute in der Diskussion zwischen den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung eine Verständigung erzielt werden konnte, mit der dieser Zuschlag auch in Berlin weiterhin bis zu einer bundeseinheitlichen Lösung gesichert wird.

[Beifall bei der Linksfraktion und den Grünen]

Die wertvolle Arbeit dieser Praxen kann also weitergeführt werden.

Die aus den eben erwähnten Therapieerfolgen resultierende vermeintliche Normalisierung im Umgang mit der Aidserkrankung birgt immer die Gefahr einer Bagatellisierung dieser Krankheit. Deshalb ist es wichtig zu betonen: Aids ist auch heute noch eine tödliche Erkrankung. Auch wenn wiederholte Befragungen durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter dem Arbeitstitel »Aids im öffentlichen Bewusstsein« zeigen, dass das faktische Wissen zu HIV und Aids einschließlich der Übertragungswege in der Bevölkerung in hohem Ausmaß vorhanden ist, ist es notwendig, jede Generation generationsspezifisch und kultursensibel immer wieder von Neuem über die Gefahren einer Ansteckung zu informieren. Das entscheidende Problem liegt dabei nicht in der mangelnden gesellschaftlichen Aufklärung, sondern darin, das Wissen in individuelles Verhalten zu übertragen. Hier bleibt die personalkommunikative Präventionsarbeit nach wie vor mit Abstand die effektivste, aber eben auch aufwendigste und teuerste Präventionsstrategie.

Es fehlt hier die Zeit, auf alle in unserem Antrag angesprochenen Aspekte der HIV-/Aids-Problematik in dieser Stadt einzugehen. Deshalb will ich mich in diesem Zusammenhang darauf beschränken, auf den integrierten Gesundheitsvertrag zu verweisen. Im Rahmen dieses Vertrages arbeiten auf dem Handlungsfeld Aids/HIV, sexuell übertragbare Krankheiten und Hepatitiden freie Träger und Selbsthilfeorganisationen zusammen und halten insgesamt zwölf mit 2,1 Millionen Euro geförderte Projekte – von der personenbezogenen Hilfe über Beratungs- und Unterstützungsleistungen bis hin zur Pflege – vor.

Im Juni dieses Jahres konnte die vorgesehene Evaluation für dieses Handlungsfeld abgeschlossen werden. Dabei wurde nicht nur geprüft, inwieweit bereits laufende Projekte bedarfsgerecht angelegt waren, sondern auch, inwieweit eine Konkretisierung von Zielgruppen zur Verbesserung der Primärprävention erforderlich ist. Das ist umso bedeutender, weil wir gerade einen Anstieg der Neuinfektionen in einer bestimmten Gruppe beobachten, auf den wir reagieren müssen.

Aus diesen Ergebnissen müssen nun praktische Konsequenzen gezogen werden. In einer Arbeitsgruppe, in der die Senatsverwaltung Gesundheit, der Paritätische Wohlfahrtsverband als Dachorganisation im integrierten Gesundheitsvertrag sowie Vertreter der verschiedenen Projekte unter externer Begleitung zusammenarbeiten, soll auf der Grundlage der bisherigen Erfahrungen gemeinsam ein entsprechendes Rahmenkonzept für die zukünftige politische und strategische Ausrichtung der Präventionsarbeit entwickelt werden.

In diesem Zusammenhang ist der von der Regierungskoalition eingebrachte Antrag, der Ihnen vorliegt, zu betrachten. Wir werden im Ausschuss am 1. Dezember ausreichend Gelegenheit haben, ihn kritisch, aber in sachlicher Arbeitsebene zu diskutieren und gegebenenfalls noch zu verbessern. – Danke!

[Beifall bei der Linksfraktion]

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