Das Grundgesetz muss um das Merkmal der sexuellen Identität erweitert werden

Bereits seit 1995 ist der Grundsatz in der Berliner Verfassung verankert, dass niemand wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden kann. Eine Bundesratsinitiative soll nun dafür sorgen, dass er auch im Grundgesetz aufgenommen wird.

50. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin in der 16. Wahlperiode zum Dringlichen Antrag »Verbot der Diskriminierung aufgrund sexueller Identität ins Grundgesetz!«

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Ziel unseres Antrags ist die Ergänzung des Diskriminierungsverbots aus Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität. Der Senat soll aufgefordert werden, eine entsprechende Bundesratsinitiative einzureichen.

Wenn man der Tagespresse von heute glaubt, dann haben CDU und FDP angekündigt, gegen diesen Antrag zu stimmen mit der Begründung, es handele sich um Effekthascherei vor dem CSD. – Wenn das alles ist, was Ihnen als Begründung für die Ablehnung einfällt, bin ich einigermaßen erstaunt.

[Andreas Gram (CDU): Warten Sie es doch ab, bis Sie unsere Rede gehört haben!]

Noch vor wenigen Wochen haben wir hier einen einstimmigen Beschluss dieses Hauses zur Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt verabschiedet. Nur die CDU hat nicht darüber abgestimmt, Sie hatten an dem Tag Auszeit, Sie waren hier nicht im Plenum.

[Mario Czaja (CDU): Ihr hattet uns beleidigt!]

Aber immerhin haben Sie darauf bestanden, dass Sie diese Initiative in den Ausschüssen mit unterstützt hätten. Demzufolge kann man davon ausgehen, dass das Anliegen dieser Initiative eigentlich vom ganzen Haus getragen wird.

[Andreas Gram (CDU): Wir waren beleidigt!]

– Hören Sie doch einfach einmal zu! Sie können dem Anliegen einfach ernsthafte Aufmerksamkeit widmen anstatt hier Ihre Späßchen zu machen. Ich finde, das Anliegen ist es auch durchaus wert und hat es verdient.

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]

In Punkt 23 dieses Beschlusses hieß es auch, dass das Land Berlin Bundesratsinitiativen zur Veränderung der rechtlichen Gleichstellung von Menschen unterschiedlicher sexueller Identitäten ergreifen möchte. – Genau das passiert hier. Die erste Chance, diesem Bekenntnis von seinerzeit Taten folgen zu lassen, lassen Sie ungenutzt und kneifen. Ich finde, das ist ein ziemliches Trauerspiel.

Sehr geehrte CDU und FDP! Ja, der Termin ist bewusst gewählt. Das ist ja vielleicht auch nicht unbedingt typisch, dass drei Parteien – eine Oppositionspartei und zwei Regierungsparteien – hier gemeinsam einen solchen Antrag einreichen, aber das Anliegen ist es wirklich wert. Die Prideweek zwischen Stadtfest und CSD sichert eine höhere Aufmerksamkeit für dieses Thema. Die Forderungen der bundesweiten Demonstrationen zum diesjährigen CSD – die Bauten auch – nehmen dieses Merkmal in Artikel 3 Absatz 3 auf. Ich finde es richtig, diese Forderung aufzunehmen. Dieses Parlament hat heute auch die Chance, ein Zeichen der Solidarisierung mit dieser Forderung zu setzen. Es geht auch um Akzeptanz, nicht einfach nur um gesetzliche Änderungen.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Beifall bei der SPD und den Grünen]

Das ist auch nicht schlicht und einfach Verfassungskosmetik. 1948 haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes in Reaktion auf den Naziterror gegen ganze Bevölkerungsgruppen den Artikel 3 Absatz 3 eingeführt. Zwei Be¬völkerungsgruppen vergaßen man: behinderte Menschen, die unter den sogenannten Euthanasiemaßnahmen der Nazis zu leiden hatten, und die homosexuellen Menschen, die sogenannten Rosa-Winkel-Verfolgte. 1994 gab es eine Verfassungsreform, die die erste Unterlassung korrigierte. Auf die zweite Korrektur warten wir, wie auch auf die Rehabilitierung und Entschädigung von in Ost und West nach § 175 StGB alter Verfassung Verurteilten bis heute vergeblich.

In der Berliner Verfassung ist das Merkmal sexuelle Identität im Übrigen seit 1995 aufgenommen, und die Berlinerinnen und Berliner haben diese Verfassung damals abgestimmt. Es ist höchste Zeit, diesen Zustand auch auf Bundesebene herzustellen. Das ist dringend notwendig.

[Beifall bei der Linksfraktion –
Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Die Erweiterung dieses Diskriminierungsverbots hätte wohl auch Folgen, denn nach wie vor rechtfertigt und sanktioniert das Bundesverfassungsgericht in fortlaufenden Kammerentscheidungen die europarechtswidrige Ver¬weigerung von Rechten für gleichgeschlechtliche junge Menschen mit der abwegigen Begründung, die Ehe sei aufs Kinderkriegen und -aufziehen ausgelegt, die Lebenspartnerschaft nicht. In diesem Zusammenhang spielt ein Name eines Vorzeigekonservativen eine entscheidende Rolle, nämlich der des Verfassungsrichters Udo Di Fabio, ins Bundesverfassungsgericht entsandt auf Vorschlag der Christdemokratischen Union Deutschlands.

Das muss man sich einmal vorstellen: Lebenspartnerinnen und Lebenspartnern wird nicht nur das Adoptionsrecht vorenthalten und die steuerrechtliche Privilegierung der Ehe, die im Übrigen keine Gebärpflicht umfasst. Erst wird die Gründung von Regenbogenfamilien erschwert, dann wird das auch noch zur mehr als krummen Rechtfertigung von Ungleichbehandlung benutzt. Ich finde das ziemlich abenteuerlich. Deswegen muss das ein Ende haben. Die rechtliche Gleichstellung ist die Voraussetzung der tatsächlichen Akzeptanz. Mit einer Änderung und Ergänzung von Artikel 3 Absatz 3 werden auch im Bundesverfassungsgericht andere Abwägungen notwendig und möglich.

Die CDU und die FDP kann ich nur auffordern: Wenn Sie es ernst nehmen mit der Gleichstellung, dann stimmen Sie heute mit uns für diesen Antrag! Ich glaube, das wäre ein gutes Zeichen, auch in Richtung der anderen Bundesländer, die sich mit diesem Thema auch noch auseinanderzusetzen haben, insbesondere angesichts der Tatsache, dass der Kollege Steuer ja die Akzeptanz sexueller Vielfalt de facto zu einem entscheidenden Eckpfeiler der deutschen Leitkultur erhoben hat. Dann handeln Sie auch entsprechend, geben Sie nicht nur Lippenbekenntnisse ab, stimmen Sie unserem Antrag zu! Ich glaube, das ist nicht zu viel verlangt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den Grünen]