Dieser Schlüsselhaushalt ist ein wesentlicher Baustein hin zu einer Sanierung des Landeshaushalts
Rede des Abg. Carl Wechselberg in der 48. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin am 18. März 2004 / Haushaltsdebatte
Rede des Abg. Carl Wechselberg in der 48. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin am 18. März 2004 / Haushaltsdebatte
Wechselberg (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! - Ich finde, an diese Plenarsitzung gehört eine Feststellung, von der ich heute nicht erlebt habe, dass ihr widersprochen worden ist, und das ist die Tatsache, dass sich das Land Berlin in einer extremen Haushaltsnotlage befindet. Sämtliche empirischen Indikatoren belegen diesen Sachverhalt. Das ist eine ganz zentrale Feststellung für so einen Doppelhaushalt in der Situation, in der wir uns befinden. Wenn wir das betrachten, was dem zu Grunde liegt, dann müssen wir feststellen: Die Zinssteuerquote liegt mit rd. 20 Prozent das Doppelte über dem Bundesdurchschnitt, ebenso der Anteil der kreditfinanzierten Ausgaben.
Über ein Viertel unserer Ausgaben wird durch Kredite finanziert, und das ist schon ein Drama für sich. Das Land Berlin ist in einer klassischen Schuldenfalle und restlos unfähig, seine Zinszahlungen, wie das in einem regulären Haushalt der Fall sein müsste, aus Überschüssen zu erwirtschaften und damit zu finanzieren. Im Gegenteil, wir müssen in immer höherem Maße Kredite aufnehmen, um die Zinsen für die aufgehäuften Schulden des Landes zu finanzieren – ein Teufelskreis, der für die Berlinerinnen und Berliner die Gefahr eines beispiellosen Wohlstandsverlusts mit sich bringt, denn ohne Konsolidierung und ohne Entschuldung durch den Bund wird auf jeden Berliner und auf jede Berlinerin im Jahr 2015 das Sechsfache der Zinsbelastung des Bundesdurchschnitts liegen, und das in einem Landeshaushalt mit einem relativ statischen Volumen von 20 Milliarden Euro. Das Sechsfache, das ist weder sozial noch hinnehmbar. Es ist vielmehr ein untragbarer Zustand. Die Berliner Politik wird vor ein enormes Problem und eine große Herausforderung gestellt.
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Die Bestandsaufnahme zeigt eines völlig klar: Wer jetzt nicht handelt, mit überkommenen und nicht mehr finanzierbaren Strukturen bricht und die Kraft aufbringt, den Berlinern die Wahrheit über die finanzpolitischen Realitäten zu sagen und daraus die unvermeidlichen Schlussfolgerungen zu ziehen, ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Ich stelle dies voran, weil die Finanzpolitik dieses Landes insgesamt daran zu messen ist, ob sie eine Lösung für das sich abzeichnende Desaster anzubieten hat. Wir brauchen Substanz, keine Parolen.
Die finanzpolitische Strategie der Koalition liegt offen auf dem Tisch. Selbstverständlich hat der Finanzsenator Recht, wenn er die Ausgaben des Landes Berlin thematisiert. Wir geben 25 Prozent mehr aus als die anderen Stadtstaaten und 50 Prozent mehr als der Bundesdurchschnitt. Wir müssten Öl oder Gold finden, am besten beides, und zwar in rauen Mengen, um uns diese Differenz auf Dauer leisten zu können. In Wahrheit finanzieren wir die Mehrausgaben auf Pump, und das kann so nicht bleiben.
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Aus diesem Grund müssen wir mit den Ausgaben herunter, und zwar auf das Niveau, das der Bundesfinanzverfassungsgesetzgeber den Stadtstaaten zur Wahrnehmung der Aufgaben zugewiesen hat, die er verfassungsrechtlich für geboten hielt. Das ist zwar mehr als der Bundesdurchschnitt, aber es ist bedeutend weniger, als wir uns zurzeit leisten. Aus diesem Grund besteht der eine Teil der finanzpolitischen Strategie der Koalition in der Senkung der Primärausgaben auf das Niveau der Primäreinnahmen, und zwar in klar definierten Schritten, die wir maßnahmenkonkret untersetzen. Erstmals wird das Land Berlin am Ende der Legislaturperiode in der Lage sein, seine laufenden Ausgaben ohne Kredite aus den laufenden Einnahmen zu finanzieren - ein dramatischer, ein beispielloser finanzpolitischer Kraftakt, der sich insbesondere in diesem Doppelhaushalt materialisiert.
Dies allein wird allerdings nicht ausreichen. Der zweite Teil der Strategie besteht in der Klage Berlins vor dem Bundesverfassungsgericht. Wir werden es bei allen Eigenanstrengungen nicht schaffen, uns aus eigener Kraft aus der Schuldenfalle zu befreien. Aus diesem Grund erheben wir den höchsten Umverteilungsanspruch, den es in der Geschichte der Bundesrepublik je gegeben hat. Wir werden zweifellos Recht behalten, denn mit der Berliner Klage steht nicht weniger als die Zahlungsfähigkeit eines Bundeslandes zur Debatte und damit das föderale Grundprinzip unseres Landes.
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Zur Stabilisierung unserer Finanzen benötigen wir 35 Milliarden Euro vom Bund und den Ländern. Das ist eine Summe, die einem Respekt abnötigen muss. Wir verlangen nicht weniger als erhebliche Anstrengungen der bundesrepublikanischen Solidargemeinschaft. Keiner zahlt eine solche Summe aus der Portokasse. Allein das verpflichtet Berlin moralisch, politisch und juristisch, alles uns Zumutbare zu tun, um uns selbst zu helfen. Denn wie sollen wir rechtfertigen, dass andere Länder ihren Bürgern Einschränkungen zur Entschuldung Berlins zumuten für Leistungen, die es zwar in Berlin, aber nirgendwo sonst gibt? - Es braucht schon ein wahrhaft antikes Verständnis von Hauptstadt, um so etwas zu rechtfertigen. Es ist deshalb zwingend für einen Erfolg der Klage Berlins, dass wir nachweisbare und klare Ausgabensenkungen auf das uns zumutbare Niveau vornehmen, denn wer dies nicht tut oder den Erfolg der Klage Berlins gefährdet, zerstört die Zukunftsfähigkeit dieser Stadt in einem Maße, das jeder Beschreibung spottet. Es gibt keinen Plan B, keinen zweiten Versuch, denn der Erfolg der Klage ist Existenzbedingung dieses Landes, so wie wir es kennen.
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Was allerdings ist das Berlin zumutbare Maß an Eigenanstrengungen? Wie viel ist denn nun zu kürzen? - Diese Fragen stellt auch das Verfassungsgericht. Sie müssen klar beantwortet werden. Der Bundesverfassungsgesetzgeber hat die Stadtstaaten nicht nur mit verfassungsrechtlichen Aufgaben, sondern zugleich mit eindeutig definierten finanzpolitischen Ausstattungen versehen und dadurch gegenüber Flächenländern privilegiert. Hieraus ist zu folgern, dass einem Stadtstaat in einer extremen Haushaltsnotlage zwar Einsparungen zuzumuten sind, nicht aber die dauerhafte Unterschreitung der vom Finanzverfassungsgesetzgeber vorgesehenen Einnahmeniveaus, denn dann könnte das jeweilige Bundesland die ihm übertragenen Aufgaben und elementare bundesverfassungsrechtliche Pflichten nicht mehr erfüllen. Keiner kann von Berlin den Verzicht auf arbeitsmarkt-, sozial-, bildungs- und wirtschaftspolitisch notwendige Ausgaben verlangen, ebenso wenig wie auf Ausgaben für innere Sicherheit und anderes, nur deshalb, weil wir Haushaltsnotlageland sind. Niemand kann von uns die Zerstörung von ökonomischen Potentialen insbesondere bei der Wissenschaft erwarten, die für die Gesundung Berlins von elementarer Bedeutung sind.
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Ich danke für den Applaus an dieser Stelle! Es gibt also eindeutige bundesverfassungsrechtliche Grenzen, bis zu denen Eigenanstrengungen unternommen werden müssen und können. Dies ist das Primäreinnahmeniveau für Stadtstaaten. Das gilt für die PDS und ganz sicher auch für die SPD: Bis hierhin und nicht weiter!
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Wir haben eine klar umrissene Strategie und eine logische Antwort auf die Berliner Situation. Und zu der gibt es – das gebietet eine philosophische Grundausbildung – zwar immer prinzipielle Alternativen, aber das sind sicher keine guten.
Kommen wir zum Urteil des Berliner Verfassungsgerichts: Der Hauptausschuss hat über 170 Stunden über diesen Etat beraten, und ich erlaube mir die Feststellung, dass die gefühlte Zeit bedeutend länger gewesen ist. Dieses Haus hat alles, was in seiner Leistungsfähigkeit steht, getan, um die durch das Verfassungsgericht gebotene Abwägung zu bewältigen. Zunächst gilt dies für den allgemeinen finanzpolitischen Begründungszusammenhang. Für die PDS-Fraktion stelle ich fest, dass wir in der extremen Haushaltsnotlage den notwendigen und zwingenden Grund für die Überschreitung der Investitionsausgabennorm sehen. Es entspricht schlichtweg nicht der Realität, dass sich Berlin darüber hinaus verschulde, weil wir mit diesen zusätzlichen Krediten final die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bekämpften. Diese verfassungsrechtliche Standardklausel passt nicht auf die Berliner Situation und muss deshalb zwingend verworfen werden. Wir verschulden uns vielmehr auf Grund der Höhe unserer Primärausgaben und der Unmöglichkeit, sie rascher zu senken, als wir dies ohnehin schon vorsehen, sowie auf Grund der Zinsbelastung und deshalb insgesamt auf Grund der Tatsache, dass wir uns in einer extreme Haushaltsnotlage befinden. Die Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grundnorm ist deshalb notwendig und zwingend. Das, Herr Kollege Eßer und Herr Kollege Schruoffeneger, ist ein elaborierter, aber verbleibender Dissens zwischen uns. Sie intendieren mit dem Argument der Störungsabwehr die Sicherung bestimmter Ausgaben vor weiteren Kürzungen. Das ist ehrenwert, funktioniert so aber nicht. Egal auf welchen Begründungszusammenhang Sie sich berufen, immer müssen Sie die Höhe der Ausgaben aus der verfassungsrechtlich gebotenen Aufgabenwahrnehmung ableiten. Entweder ist diese schlüssig und angemessen und bewegt sich im Rahmen einer plausiblen Gesamtstrategie, oder sie ist es nicht. Dies gilt sowohl für die Haushaltsnotlagebegründung als auch für die Störungsabwehr. Immer muss die Ausgabenhöhe inhaltlich bestimmt werden, und zwar in Rückkopplung zur Verfassung, denn sie ergibt sich nicht schon aus dem Begründungszusammenhang selbst.
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Wir haben dies intensiv entlang der Frage diskutiert, wie viele Giraffen Berlin braucht. Es gibt keine verfassungsrechtliche Norm, aus der sich deren Anzahl ableiten ließe. Dies ist ein politischer, vielleicht noch ein zoologischer, aber sicher kein verfassungsrechtlicher Ableitungsprozess. Es lässt sich nur mit der Autorität des Haushaltsgesetzgebers feststellen, welche Ausgabe konkret angemessen ist. Dies obliegt dem demokratisch gewählten Parlament im Rahmen einer umfassenden Gesamtstrategie, niemandem sonst. Dies gilt nicht nur für Tiergärten, sondern ebenso für die Kitaausstattung Berlins, die Ausgaben für Wissenschaft und Kultur, die innere Sicherheit usw. Erforderlich ist allerdings auch ein angemessener Grad an Plausibilität in der politischen Begründung für die konkrete Ausgabenhöhe. Diese ist im Abwägungsprozess des Hauses zu dokumentieren. Das haben wir in den letzten Monaten umfassend getan. Wer will, kann es nachlesen.
Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, prüfen eine weitere Verfassungsklage, und die Gründe hierfür liegen ganz sicher nicht in Ihrem besonderen Hang zum Verfassungspatriotismus, sondern sind meiner Auffassung nach vielmehr ganz irdischer Natur. Sie wollen klagen, um Rot-Rot zu schädigen. Nicht mehr und nicht weniger steckt hinter diesem Eiertanz, den Sie hier aufführen. Einen anderen Grund gibt es nicht, aber wenigstens da sind Sie ehrlich.
[Beifall bei der PDS]
Sie wollen damit das Verfassungsgericht für Ihre parteipolitischen Interessen instrumentalisieren, und das ist, für sich genommen, schon ausgesprochen armselig. Darüber vergessen Sie allerdings offenkundig, dass auch Sie zuerst nicht Ihren eigenen Interessen, sondern dem Interesse Berlins verpflichtet sind, und dieses würden Sie zweifellos massiv schädigen. Kollege Matz hat es Ihnen schon erklärt: Es ist völlig offenkundig, dass selbst ein bereits eingeleitetes Verfahren vor dem Berliner Verfassungsgericht eine Steilvorlage für den Bund und die anderen Länder ist, die Ansprüche Berlins, die unsere Existenzfrage in gewisser Weise mit aufrufen, abzuweisen oder zumindest schwer zu schädigen. Das sollten Sie sich noch einmal sehr gründlich überlegen.
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Es ist auch ein schwer hinnehmbares Maß an Bigotterie, wenn Sie einerseits jede konkrete Sparmaßnahme ablehnen, um zugleich ein weiteres Urteil zu erzwingen, das den Druck auf genau diejenigen Ausgabenbereiche erhöht, die Sie in Ihren Sonntagsreden noch vor den geringsten Einsparungen schützen wollen. Man muss an diesem Pult erst einmal die Krokodilstränen wegfeudeln, die Sie hier heute über die Konsolidierungspolitik von Rot-Rot vergossen haben. Was Sie machen, ist eine bigotte und zutiefst scheinheilige Politik, und es ist jeder zu bedauern, der Ihnen dabei auf den Leim geht.
[Beifall bei der PDS und der SPD]
Es geht auch anders, meine Damen und Herren, das will ich an dieser Stelle abschließend feststellen. Der Kollege Matz und andere von der FPD und die Kollegen der Grünen haben es in diesen Haushaltsberatungen bewiesen: Man kann einen politischen Dissens mit der Politik von Rot-Rot auch unterhalb der Schädigung elementarer Interessen dieses Landes artikulieren und formulieren. Deshalb verzichten sie auf eine Verfassungsklage und machen trotzdem Oppositionspolitik. Dass das geht, finde ich richtig und wichtig, und das billige ich Ihnen ausdrücklich zu.
[Dr. Lindner (FDP): Das ist freundlich!]
Sie müssen unserer Politik nicht folgen. Das verlangt niemand von Ihnen. Aber dass Sie die Interessen Berlins, die elementar sind, massiv schädigen und in Frage stellen, das geht nicht. In Ihrem Fall nehme ich mit Respekt zur Kenntnis, dass Sie auf solche Versuche verzichten.
Meine Damen und Herren! Am Abschluss der Haushaltsberatungen freue ich mich, dass wir sie hinter uns gebracht haben. Selbstverständlich wird die PDS-Fraktion diesem Schlüsselhaushalt für diese Legislaturperiode zustimmen. Das ist ein wesentlicher Baustein hin zu einer Sanierung des Landeshaushalts und auch ein gewisser Schlusspunkt unter eine bestimmte Form von Finanzpolitik hier in der Stadt. Wesentliche Ausgabenkürzungen wurden vorgenommen. Weitere qualitative Einschnitte halten wir weder für erforderlich noch für angebracht. – In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen fröhlichen Abend. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
[Beifall bei der PDS und der SPD]