Ehe für alle – und zwar jetzt!
Wer keine Homoehe will, die oder der sollte einfach darauf verzichten, einen homosexuellen Menschen zu heiraten. So einfach ist das.
aus dem Wortprotokoll
66. Sitzung
Prioritäten
Ich rufe auf
lfd. Nr. 4:
Prioritäten
gemäß § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung
des Abgeordnetenhauses von Berlin
lfd. Nr. 4.1:
Priorität der Piratenfraktion
Tagesordnungspunkt 22
Ehe für alle – und zwar jetzt!
Antrag der Piratenfraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Drucksache 17/2303
Vizepräsident Andreas Gram:
Die Kollegin Seibeld will nicht erwidern. Dann erteile ich jetzt für die Linksfraktion dem Kollegen Dr. Lederer das Wort.
[Zurufe von den PIRATEN]
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Morgen werden im Bundesrat zwei Anträge verhandelt, ein Gesetzentwurf und eine Entschließung, eine Resolution an die Bundesregierung, beide mit dem Ziel der Öffnung der Ehe. Über den Entschließungsantrag wird sofort abgestimmt. Er wird eine Mehrheit finden, das ist völlig klar. Für uns als Berlinerinnen und Berliner ist es wichtig, wie unser Bundesland abstimmt, ob dafür oder eben nicht dafür. Eine Enthaltung bedeutet: nicht dafür – und es ist keine rein symbolische Frage, ob die Regenbogenhauptstadt hier Farbe bekennt oder nicht.
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN –
Beifall von Erol Özkaraca (SPD)]
Der Gesetzentwurf wird dagegen erst einmal in die Ausschüsse überwiesen, erst später dann im Bundesratsplenum abgestimmt. Bis dahin wird sich unser Druck gelohnt, wird die CDU in einer Mitgliederbefragung zugestimmt haben. Die rechtliche Gleichstellung ist eine Frage der Zeit und unseres Drucks innerhalb und außerhalb des Parlaments, und wir werden dranbleiben. Fortschritt können wir nicht erwarten, wir müssen ihn erzwingen.
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]
Die Geschichte schwul-lesbischer Emanzipation der letzten hundert Jahre hat bewiesen: Wir können das.
Damit beginnt im Übrigen auch eine andere Debatte. Es ist die Debatte um die Frage, ob die Privilegien der Ehe, etwa das Ehegattensplitting, weiter angemessen sind.
[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD
und den GRÜNEN]
Die Öffnung des Rechtsinstituts der Ehe ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg in eine Zukunft der Wahlverwandtschaften. Und das wissen die Konservativen. Deshalb kämpfen sie verbittert um jeden Millimeter Rückschritt, kämpfen sie verbittert gegen jeden Millimeter Fortschritt.
[Beifall von Elke Breitenbach (LINKE) –
Zuruf von der CDU: Was denn nun?]
– Genau das eine und das andere! Lesen Sie es noch mal nach, dann verstehen Sie es!
[Heiterkeit bei der LINKEN, den GRÜNEN
und den PIRATEN –
Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall den GRÜNEN]
Und da ist kein Angriff zu dumm und auch kein Argument zu dreist. Da rede ich noch nicht mal über Frau Kramp-Karrenbauers Schulhofehe oder über die putinschen Gespensterkarikaturen zum Kinderschutz. Frau Seibeld! Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, wie nahe Sie in Ihrer Argumentation bei der Begründung Putins für das Gesetz gegen Homosexuellenpropaganda waren?
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN –
Zurufe von den PIRATEN –
Zuruf von Dr. Manuel Heide (CDU)]
Da wird dann von den Müttern und Vätern des Grundgesetzes schwadroniert. Und ganz nebenbei wird völlig vergessen, dass die Mütter des Grundgesetzes die Genehmigung ihrer Ehemänner brauchten, um beim Grundgesetz mitwirken zu dürfen.
[Zurufe von den PIRATEN]
Das war eine Zeit, in der schwule Männer nach dem Nazi-Paragrafen „Widernatürliche Unzucht“ für ihre Zärtlichkeit ins Gefängnis gesperrt wurden. Das war eine Zeit, nämlich 1957, in der das Bundesverfassungsgericht solche Strafen verfassungsrechtlich verlangte.
Diese Zeit ist – zum Glück – überwunden. Und wenn auch die Entschädigung und Rehabilitierung der Verurteilten noch immer aussteht – sie wird von denselben bekämpft, die uns die Rechte Heterosexueller vorenthalten wollen, von konservativ-reaktionärer Politik.
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]
Da wird von christlich-abendländischer Tradition gefaselt. Welche hätten Sie denn gern? Die, bei der der Grundherr die Heiratserlaubnis zu erteilen hatte? Die, in der nur standesgemäß gefreit werden durfte, Bäuerin und Bauer, Adlige und Adliger? Oder meinen Sie die christlich-abendländische Tradition, in der dem Lehnsherrn das jus primae noctis, das Recht der ersten Nacht, zustand? Die, in der uneheliche Kinder als Auswurf galten und das außereheliche Gebären als Selbstmordmotiv? Oder, Frau Seibeld, meinen Sie die christlich-abendländische Tradition der Ehe, über die der Bundesgerichtshof noch 1966 geurteilt hat – ich verlese das mal:
Die Frau genügt ihren ehelichen Pflichten nicht schon damit, dass sie die Beiwohnung teilnahmslos geschehen lässt.
[Heiterkeit von Christopher Lauer
(PIRATEN)]
Wenn es ihr infolge ihrer Veranlagung oder aus anderen Gründen … versagt bleibt, im ehelichen Verkehr Befriedigung zu finden, so fordert die Ehe von ihr doch eine Gewährung in ehelicher Zuneigung und Opferbereitschaft und verbietet es, Gleichgültigkeit oder Widerwillen zur Schau zu tragen.
Meinen Sie diese christlich-abendländische Tradition, Frau Seibeld? – Wie abseitig Ihre Argumente sind!
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]
Der Sprecher der Bundesregierung hatte vergangene Woche einige Mühe zu erklären, warum die Bundesregierung Widerstand gegen die Ehe für alle leistet und warum das keine Diskriminierung sei. „Discrimen“ heißt im Lateinischen „der Unterschied“. „Diskriminierung“ heißt, Dinge ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedlich zu behandeln. Sie ist das Gegenteil von Gleichbehandlung. Sie, die rückwärtsgewandten Konservativen, versuchen, diesen Unterschied zu konstruieren. Um Kinderkriegen gehe es, sagen die einen. Nun muss man nicht Frau Seibeld oder die Kanzlerin als Beispiel dafür heranziehen, warum das Unfug ist. Das ist schon lange nicht mehr der Fall.
Ich sage auch: Wer Kinder fördern will, der sollte das tun und nicht irgendwelche Rechtsinstitute mit besonderen Belohnungen versehen. Wer Kinder fördern will, der soll kein Betreuungsgeld zahlen, sondern Bedingungen schaffen, damit Kinder gut aufwachsen können.
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Die Frage, die hier zu verhandeln ist, ist eine grundsätzlich bürgerrechtlich-menschenrechtliche Frage: Soll ein Rechtsinstitut, das sich immer im Wandel befunden hat und auch heute dem Wandel unterliegt, allen zugänglich sein, oder soll es das nicht? Für uns als Linke kann die Antwort nur lauten: Es soll, es muss! Die Ehe muss allen offenstehen, die das wollen. Alles andere ist Diskriminierung, weil es einen Unterschied macht zwischen der einen Liebe und der anderen Liebe. Und das ist gänzlich inakzeptabel.
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]
Wer keine Homoehe will, die oder der sollte einfach darauf verzichten, einen homosexuellen Menschen zu heiraten. So einfach ist das.
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD]
Die CDU hat das im Übrigen im Koalitionsvertrag von 2011 unterscheiben, das ist hier mehrfach verlesen worden. Herr Lehmann-Brauns! Ich weiß nicht, ob der Sportsenator da gedopt war.
[Heiterkeit bei der LINKEN, den GRÜNEN
und den PIRATEN –
Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]
Ich weiß nicht, ob Sie vielleicht alle leicht einen sitzen hatten, als Sie darüber entschieden haben. Aber eine Frage stelle ich mir schon: Warum kommen Sie eigentlich nicht auf die Idee, eine Mitgliederbefragung zu machen, bevor Sie irgendwelche Dinge in den Koalitionsvertrag schreiben?
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN –
Alexander Spies (PIRATEN): Nein!]
Und Frau Seibeld und Herr Lehmann-Brauns! Sie sind ja auch alle Juristen, es gibt diesen schönen Satz: Pacta sunt servanda. Der gilt übrigens auch für Sie! Und nur, weil Sie plötzlich feststellen, dass Ihnen ein Passus in dem – allein, dieser Koalitionsvertrag ist ja sowieso nicht so richtig bindend für das, was Sie hier alle treiben – Koalitionsvertrag nicht gefällt, fangen Sie im Nachhinein an, eine Mitgliederbefragung über den Vertragsbruch zu veranstalten. Wie absurd, wie abenteuerlich ist das denn! Das ist doch keine Koalitionsfähigkeit, das ist doch keine Regierungsfähigkeit, sondern ein abenteuerlicher Vorgang!
[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN
und den PIRATEN –
Andreas Baum (PIRATEN): Aktion ist das!]
Herr Henkel! Wie ist Ihnen denn so, der Sie damals mit einem Regenbogenschal durch Sotschi stolziert sind? Sind Menschenrechte nur in Russland ein Thema für Sie?
[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]
Merken Sie nicht, wie bizarr der Tanz ist, den Sie hier aufführen?
Herr Henkel! Herr Regierender Bürgermeister! Ich fordere Sie auf, ich appelliere an Sie: Stimmen Sie morgen im Bundesrat zu! Hören Sie auf, mit den Menschenrechten vieler Berlinerinnen und Berliner taktisch zu hantieren! Oder ziehen Sie Ihre Regenbogenfahnen ein und gestehen Sie zu: „So wichtig sind uns diese Rechte nicht, dass wir dafür verlässlich einstehen!“ – Wie aber wollen Sie eigentlich glaubhaft gegen Diskriminierung in der Gesellschaft vorgehen, wenn Sie doch selbst diskriminieren?
Die Enthaltung Berlins wäre das endgültige Eingeständnis, dass Regenbogenpolitik in Berlin keine Heimat mehr hat. Das wäre eine Schande für Sie, und das wäre eine Schande für Berlin.
Und lieber Herr Saleh! Wenn Ihnen die Grundwerte Ihrer Partei so wichtig sind, dann geben Sie hier heute die Abstimmung frei, und lassen Sie über unseren Antrag entscheiden!
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN –
Beifall von Björn Eggert (SPD)]
Vizepräsident Andreas Gram:
Vielen Dank! –
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Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:
– Für die CDU-Fraktion ist kein weiterer Redner oder eine Rednerin angemeldet, von daher hat jetzt für die Linksfraktion noch einmal Herr Dr. Lederer das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist hier jetzt des Öfteren davon gesprochen worden, dass es sich morgen im Bundesrat um eine Abstimmung als Symbolpolitik handelt. Symbolpolitik – da wurde der Eindruck erweckt, Symbolik und Symbolpolitik und überhaupt Symbole seien etwas Schlechtes, dem mit richtiger, ernsthafter Sachpolitik begegnet werden müsse.
Politik besteht nicht zuletzt ganz oft genau daraus, nämlich aus Symbolik. Und Symbolik ist eben auch, mit Haltung für seine eigenen Überzeugungen einzustehen, und es war der Mut von vielen Männern und Frauen, die auch mit kämpferischen Symbolen die Gesellschaft vorangebracht haben. Daran sollten wir uns alle ein Beispiel nehmen.
[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]
Der zweite Punkt, zu dem ich noch etwas sagen möchte: Mir ist das ja nicht neu, dass in Ihrer Koalition nicht mehr viel zusammenpasst. Es ist nicht das erste Mal, dass wir hier erleben, dass Sie im Grunde nicht in der Lage sind, sich auf irgendetwas zu einigen, aber bisher, so war mein Eindruck, war dieses Bild, das Sie von sich und Ihrer Kooperation zeigen, eher ein Binnenbild, ein inneres Bild, ein Bild, das wir hier im Parlament und in den Ausschüssen wahrgenommen haben, Sie vielleicht in Ihren Senatssitzungen, aber so richtig nach außen gedrungen ist es nicht. Was Sie heute hier für alle sichtbar vollziehen, ist die notarielle Beurkundung der Tatsache, dass Ihre Koalition komplett am Ende ist.
[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN –Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]
Der dritte und letzte Punkt: Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Lieber Michael Müller! Ich habe Ihre Rede und Ihre Argumente mit großem Respekt vernommen. Ich teile das nahezu alles, was Sie gesagt haben, nur eines nicht: Ihre Schlussfolgerung. Die Summierung all Ihrer Argumente ist genau das, was morgen dazu führen müsste, dass das Land Berlin sich im Deutschen Bundesrat für die Entschließung ausspricht.
[Beifall von Udo Wolf (LINKE)]
Und der Antrag der Oppositionsfraktionen ist das Angebot, ist die Tür, durch die die CDU gehen könnte, wenn sie denn wollte. – Vielen Dank!
[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN –Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]
Vizepräsidentin Anja Schillhaneck:
Vielen Dank, Herr Dr. Lederer! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zu dem Antrag Drucksache 17/2303 haben die Antragsteller die sofortige Abstimmung beantragt. Seitens der Koalition wird die Überweisung an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Verbraucherschutz, Geschäftsordnung beantragt. Wer dieser Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der SPD und der CDU. Gegenstimmen? – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Linksfraktion und die Piratenfraktion. Enthaltungen? – Ich sehe keine Enthaltungen, dann ist der Antrag überwiesen.