Gedenkstätten müssen nicht wirtschaftlich sein!
Rede zum aktuellen Tätigkeitsbericht des Aufarbeitungsbeauftragten. Anne Helm schließt sich dem Optimismus ihrer Vorredner nicht an, denn ohne ausreichend Geld können Gedenk- und Bildungsstätten ihrer Arbeit nicht umfassend nachkommen. Der aktuelle Kürzungshaushalt streicht dennoch auch an diesen Stellen viele Mittel.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen und vor allem lieber Frank Ebert! Ich möchte es an den Anfang stellen: Auch von meiner Seite und im Namen meiner Fraktion sehr herzlichen Dank an Sie und natürlich auch an Ihr Team für die geleistete Arbeit! Vielen herzlichen Dank!
Auch vielen Dank für den wirklich kurzweiligen Jahresbericht! Auch ich möchte die Lektüre wirklich sehr empfehlen. Ich fand besonders eindrücklich die ganz konkreten persönlichen Fallbeispiele von Beratungs- und Unterstützungsangeboten, die in Anspruch genommen werden konnten, und die Schicksale, die darin beispielhaft wiedergegeben werden, und was das auch so viele Jahre nachher noch bedeuten kann. Diese Beispiele machen anschaulich deutlich, wie das Repressionssystem der DDR Biografien von Menschen auf eine Weise zerstört hat, die bis heute immer noch nachwirkt.
Anhand dieser Beispiele wird auch sichtbar, wie wichtig und notwendig eine kontinuierliche und engagierte Aufarbeitung ist. Denn manche Menschen setzten und setzen sich sehr spät erst mit dem Leid, das sie erfahren haben, auseinander, vielleicht aus Verdrängung von Traumata, vielleicht weil sie keine Ansprechperson gefunden haben, mit der sie darüber reflektieren konnten. Andere haben sich vielleicht schon früh damit auseinandergesetzt, was da eigentlich passiert ist, aber es hat eben sehr lange gedauert, bis das erlebte Unrecht überhaupt auch als solches anerkannt worden ist.
Ich erinnere an dieser Stelle noch mal an die veterinärvirologischen Stationen, über die wir im vergangenen Jahr als Schwerpunkt schon mal gesprochen haben. Da fiel der Bericht mit der Woche des Frauentags zusammen, deswegen hatte ich das zum Anlass genommen, dort einen Schwerpunkt zu setzen. Den Frauen wurde dort unfassbar viel Leid angetan, was jahrzehntelang nicht anerkannt worden ist, vielleicht – ich würde mal die Vermutung in den Raum stellen – kommt diese mangelnde Anerkennung auch daher, dass das so ein frauenspezifisches Thema ist. In Ihrem Jahresbericht wird eine betroffene Frau aufgeführt, die diese spezifische Form von Gewalt durchmachen musste. Dadurch wird das auch sichtbar gemacht. Auch dafür an dieser Stelle herzlichen Dank! Ich finde, es ist eine schöne und wichtige Anerkennung, dass Frau D. jetzt ein Lastenrad bekommen hat, das ihr und ihrem Hund den Alltag erleichtert. Ich finde, das ist ein total schönes Signal. Vielen Dank!
Der Bericht verdeutlicht außerdem, wie essenziell Hilfen des Härtefallfonds sein können. Denn auch wenn es erfreulich ist, dass es zum Beispiel Alltagshilfen wie barrierefreie Umbauten für Betroffene gibt, die finanziert werden – ich finde es schön, dass das ermöglicht wird –, finde ich es gleichzeitig beschämend, dass, beispielhaft aufgeführt, Herr F. diesen Weg überhaupt gehen musste. Ein behindertengerechter Umbau seines Autos wurde nämlich vom Teilhabefachdienst abgelehnt, mit dem Verweis, dass es ja Fahrdienste gibt. Das widerspricht meiner Vorstellung von Teilhabe, die Menschen eigentlich so viel Emanzipation ermöglichen sollte, dass sie ohne fremde Hilfe von A nach B kommen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben können – selbstständig, wenn es ihnen möglich ist. Und darum: Vielen Dank, dass Sie auch an Stellen als Aufarbeitungsbeauftragter einspringen, wo es offenbar große strukturelle Versäumnisse an anderen Stellen unseres Hilfesystems gibt, danke schön!
Sie haben es angesprochen: Gestern war der 35. Jahrestag eines historisch herausragenden Moments unserer Geschichte, der Tag, an dem die Stasizentrale besetzt wurde und Menschen der Zivilgesellschaft und Bürgerrechtsbewegung maßgeblich dazu beigetragen haben, die weitere Vernichtung von Stasiakten zu verhindern. Diese Dokumente der Überwachung, der Zersetzung und der Repression konnten für die Nachwelt bewahrt werden und bilden bis heute ein entscheidendes Fundament für die Aufarbeitung der DDR-Verbrechen. Kaum ein anderer Repressionsapparat ist heute so gut dokumentiert. Dadurch lassen sich auch Lehren für die Zukunft ziehen, beispielsweise, wie Zersetzungsstrategien in der Gesellschaft funktionieren. Das ist ein kaum zu ermessender Wert. Deshalb gilt unsere Anerkennung und unser Dank heute auch allen Mutigen und Engagierten wie dir, Frank, die das der Nachwelt ermöglicht haben.
Nach meiner Einschätzung werden aber all jene, die gegen das DDR-Regime widerspenstig und widerständig waren, noch nicht ausreichend gewürdigt. Deshalb ist die zügige Einrichtung eines Forums für Opposition und Widerstand auch so wichtig. Das haben viele meiner Vorredner schon gesagt. Das wird nicht nur vom Aufarbeitungsbeauftragten gefordert, sondern schon seit langer Zeit auch von diversen prägenden Akteuren, von Verbänden, Vereinen und nicht zuletzt auch von allen demokratischen Fraktionen dieses Hauses. Ich weiß, dass Sie, Herr Freymark, auch persönlich darum sehr engagiert sind.
Aber Kollege Geisel hat gerade den ständigen Optimismus für dieses Projekt gefordert. Ich weiß nicht. Wenn ich mir die Haushaltspolitik des Senats und die Debatten zur Haushaltspolitik auf Bundesebene angucke, fällt mir das mit dem Optimismus ein bisschen schwer. Wichtige Investitionen werden in der Investitionsplanung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, und die Kultur wird bis zur Arbeitsunfähigkeit in Teilen zusammengespart. Ich freue mich, dass Sie jetzt da sind, Herr Senator. Schade, dass vorher in der Debatte die zuständige Verwaltung nicht vertreten war. Es wird den Kultureinrichtungen empfohlen, andere Finanzmöglichkeiten zu finden oder doch einfach Gewinne zu erwirtschaften. Ich finde das alles eine bisschen schwierige Debatte, die mich nicht besonders optimistisch stimmt.
Schauen wir mal ganz konkret in die Zahlen der Förderung der DDR-Aufarbeitung und Gedenkstättenarbeit rein: 2016 bekam die Stiftung Berliner Mauer circa 1,5 Millionen Euro Zuschüsse, die Gedenkstätte Hohenschönhausen rund 2 Millionen Euro. In den folgenden fünf Jahren haben wir die Zuschüsse unter linker Zuständigkeit kontinuierlich erhöht, sodass am Ende unserer Amtszeit beide Institutionen fast doppelt so viele Ressourcen zur Verfügung hatten. Dass das sinnvoll und notwendig war, hat Kollege Geisel dargestellt. Die Annahme dieser Einrichtungen zeigt ja, dass das sinnvoll ist. In die Entwicklung des Campus für Demokratie haben wir knapp 1 Million Euro investiert, um diese auch voranzubringen. Das sind jetzt nur ein paar Beispiele. Ich sage mal so: Die Stiftung Berliner Mauer hat den offenen Brief mitunterzeichnet, in dem die Berliner Kulturstiftungen das völlig kopflose Rasenmäherprinzip des Senats harsch kritisiert haben – und ich finde zu Recht. Für uns haben Kultur und politische Bildung – und dieser Fachbereich betrifft ja eigentlich beides, wenn man so möchte – einen erheblichen Wert für die Gesellschaft, den sie nicht erst durch Rendite von Investoren erwirtschaften müssen, nein, den haben sie qua Definition ihrer Aufgaben.
Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob das noch der Konsens der demokratischen Fraktionen insgesamt in diesem Hause ist. Deswegen haben wir gerade in Berlin, an einem so geschichtsträchtigen Ort, eine ganz besondere politische Verantwortung. In der Berliner Bildungs- und Kulturlandschaft gibt es im Moment erhebliche Zweifel, ob der Senat dieser Verantwortung aktuell und künftig auch gerecht wird. Darum appelliere ich an uns alle, unsere Verantwortung für die Aufarbeitung und die Demokratiebildung, gerade auch in finanziell und gesellschaftlich herausfordernden Zeiten, wahrzunehmen und auch in diese Bereiche entsprechend zu investieren.
Ich schließe mich auch dem Appell des Kollegen Geisel an, ganz besonders an diejenigen, die vorhaben, nach dem 23. Februar auf Bundesebene Verantwortung zu übernehmen, denn Berlin ist ja als ehemalige Frontstadt nicht isoliert zu betrachten. Es ist doch eine gesamtdeutsche Geschichte, und ich finde es absurd, dass sich der Bund bei der Aufarbeitungs- und Gedenkpolitik gerade bei den angesprochenen Jahrestagen so vornehm zurückhält. Ich finde, das wäre schon auch Aufgabe des Bundes, und ich würde es gut finden, wenn wir nicht auf die Axel Springer AG an dieser Stelle angewiesen wären.
In diesem Sinne, lieber Frank Ebert: Herzlichen Dank für die bisherige Arbeit und für die gute Zusammenarbeit, aber vor allem Ihnen und uns allen viel Energie und viel Erfolg für die künftige Arbeit. – Herzlichen Dank!