Tobias Schulze: Friedrich Merz hat die Brandmauer mit voller Absicht eingerissen!

Herr Regierender Bürgermeister, lehnen Sie den fatalen Rechtskurs von Merz offensiv ab!

Rede unseres Fraktionsvorsitzenden Tobias Schulze in der Aktuellen Stunde „80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz: Die Brandmauer gegen Faschismus und Rechtsextremismus darf nicht fallen“ am 30. Januar 2025

am 13. Mai 1939 bestieg Familie Manasse aus Berlin-Wilmersdorf, Oma Ida, Herbert und Emmy und deren Sohn Wolfgang, im Hamburger Hafen das Schiff St. Louis mit dem Fahrtziel Havanna. Die jüdische Familie hatte sich nach den Pogromen vom 9. November 1938 unter den schon äußerst schwierigen Bedingungen der Rassegesetze Ausreisepapiere und Schiffstickets besorgt und hoffte auf ein neues Leben. An Bord des Schiffs waren 937 jüdische Passagiere, die ihr Leben retten wollten.

Was sie nicht wussten: in Havanna hatte eine faschistische und antisemitische Bewegung die Verschärfung der Einreiseregelungen durchgesetzt. Nach einigen Tagen musste das Schiff das kubanische Gebiet verlassen. Auch die USA und Kanada nahmen die über 900 Jüdinnen und Juden nicht auf. Kapitän Gustav Schröder musste umdrehen, die St.Louis fuhr wieder nach Europa. Angst und Panik griffen an Bord um sich. Schröder wollte seine Passagiere auf gar keinen Fall nach Deutschland bringen und erreichte am 17.  Juni Antwerpen. Die Geflüchteten wurden auf  die Niederlande, Großbritannien und  Familie Manasse  auf Frankreich aufgeteilt.

Aber waren die vier damit in Sicherheit? Nein. Nach einer Zeit in Frankreich, nach einer abenteuerlichen Flucht über die Alpen nach Italien wurden sie im September 1943 von der SS aufgegriffen. Ihre Flucht endete grausam - im Vernichtungslager Auschwitz, wo die gesamte Familie Manasse kurz nach der Ankunft ermordet wurde.

Sie wurden ermordet, weil sie Juden waren. Und sie hätten überleben können, wenn es ein Asylrecht gegeben hätte.

Als Reaktion auf die Vernichtung von sechs Millionen europäischen Juden, von Roma und Sinti und anderen Gruppen beschlossen 26 Staaten 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention. Schicksale wie das der Familie Manasse soll es fortan nicht mehr geben. Wir sollten diesen Staaten dankbar sein für die die historische Errungenschaft eines Menschenrechts auf Asyl, das so viele Leben gerettet hat!

 

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren:
es gibt Tage, die gehen als Wegmarken in die Geschichtsbücher ein. Gestern war so ein Tag. Ihre Fraktion von CDU und CSU im Bundestag, Herr Wegner, Herr Evers, Herr Stettner, hat sich gestern entschieden, den demokratischen Grundkonsens des Nachkriegsdeutschlands aufzukündigen.
Die Union hat mit den Stimmen der AfD demagogische Anträge durch den Bundestag gebracht, die dem Grundgesetz, der Genfer Flüchtlingskonvention und dem EU-Flüchtlingsrecht widersprechen. Friedrich Merz will alle ausreisepflichtigen Menschen einsperren. Das sind deutschlandweit etwa 50.000, wenn man Ausreisepflichtige mit Duldung hinzunimmt, wären es sogar 250.000.
Viele von ihnen arbeiten oder machen eine Ausbildung, andere sind chronisch krank. Wieder anderen drohen im Herkunftsland Folter oder Tod. Aber in dem Furor der Union interessiert keinen, warum Menschen nicht abgeschoben wurden.

Jetzt, in diesem Wahlkampf, zählt nur noch, wer am meisten Hass gegen geflüchtete Menschen mobilisieren kann. Die Union sollte sich schämen!

Kasernen und Verwaltungsgebäude sollen zu Lagern für Zehntausende Abschiebehäftlinge werden, so hat es der Bundestag gestern beschlossen. Statt bezahlbare Wohnungen für alle will Merz Haftplätze für Zehntausende bauen! Wollen Sie so ein Berlin, Herr Wegner, Herr Stettner – Riesige Abschiebeknäste statt Arbeit, Bildung und Zukunftschancen? Dieser Plan ist menschenfeindlich und ein demagogischer Wahnsinn!

Ähnlich verhält es sich mit Merz’ Ankündigung, ab Tag 1 seiner Kanzlerschaft die deutschen Außengrenzen flächendeckend zu überwachen und Zitat „ausnahmslos alle Versuche der illegalen Einreise zurückzuweisen.“ Wie denn? Mit Schießbefehl an der Grenze, wie die AFD fordert? Macht sich das die CDU jetzt etwa zu eigen?

Und Sie, Herr Regierender Bürgermeister, sind Merz in der Debatte zur Seite gesprungen. Ich fordere Sie auf: widerstehen Sie dem Reflex des Rechtspopulismus!

Flächendeckende Grenzkontrollen und Zurückweisungen sind nicht nur das Ende des Dublin III- und des Schengen-Abkommens, sondern auch schlicht nicht machbar. Die Gewerkschaft der Polizei hat dem schon eine Absage erteilt: dies sei Zitat „undurchführbar“. Wie kann man so etwas ernsthaft im Bundestag beantragen? Für Merz und Linnemann heißt es offenbar: von Trump lernen heißt siegen lernen.

Aber dabei gewinnt nur der rechtsradikale Mob, und der Zusammenhalt verliert – auch hier bei uns in der Stadt.  Ich zitiere dazu Margot Friedländer, Holocaust-Überlebende: „Seid menschlich!“

Knapp 40 Prozent der Berlinerinnen und Berliner haben eine Migrationsgeschichte. Demnächst werden sie eine Mehrheit sein – eine Mehrheit der Minderheiten. Diese Menschen haben Angst, weil sie zu Sündenböcken gemacht werden.
Was kann die syrische Familie für den Psychopathen von Aschaffenburg? Nichts.
Was kann die kurdische Mutter für den AfD-liebenden Amokfahrer von Magdeburg? Nichts. 
Zehntausende fragen sich, ob ihre Heimat Berlin auch morgen noch ihre Heimat sein kann, wenn der Hass die Gesellschaft und den Staat erfasst. Herr Regierende Bürgermeister: ich appelliere an Sie! Lassen Sie das nicht zu!

Wenn Sie Bürgermeister dieser vielfältigen Metropole sein wollen, stellen Sie sich vor die Menschen in dieser Stadt! Und zwar vor alle Menschen! Lehnen Sie den fatalen Rechtskurs von Merz offensiv ab!

Unsere Demokratie ist bedroht: Merz betont unablässig, es gebe keine Zusammenarbeit mit den Rechtsradikalen.

Die Mehrheit gestern im Bundestag war aber kein Zufall. Merz hat mit der Zustimmung der rechtsextremen AFD gerechnet und hat den Dammbruch nicht nur in Kauf genommen, sondern anschließend sogar gefeiert.

Wer eine demokratische Mehrheit will, muss mit den anderen demokratischen Fraktionen sprechen, Lösungen suchen und gegebenenfalls Kompromisse machen. Wer wie Merz mit Linken, SPD und Grünen nicht einmal redet, der setzt auf die Zustimmung der Rechtsradikalen und Neonazis im Parlament!

Merz hat sich entschieden:

  • in Zweifel macht er es NICHT mit SPD oder Grünen,
  • im Zweifel macht er es mit der AfD.

Er hat sich so in die Gefangenschaft von Weidel, Höcke und Chrupalla begeben.

Ist Ihnen in der CDU klar, was Merz da angerichtet hat? So jemanden können SPD und Grüne nach der Wahl nicht zum Kanzler wählen! Ist Ihnen klar, dass Merz und Linnemann gar keine andere Option mehr als die Koalition mit der AfD haben? 

Merz hat die politische Brandmauer nach rechts mit voller Absicht eingerissen. Es waren auch damals Konservative, die Hitler an die Macht gebracht haben. Das sollte jede und jeder wissen, der oder die am 23. Februar zu Wahlurne geht.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur an uns alle appellieren:

Berlin, die Stadt, in der der Holocaust geplant wurde, darf Familie Manasse und die Opfer der Nazis nicht vergessen! Die Erinnerung an sie ist uns Mahnung und Auftrag, gegen den Faschismus zu kämpfen! Die AfD muss verboten werden, denn sie steht nicht auf dem Boden unserer Verfassung! Berlin muss das gallische Dorf, die Stadt der Hoffnung, des Lebens und der Freiheit bleiben!

Jetzt erst recht!