Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt weiterentwickeln (III)

Faktisch hat diese Koalition die ISV stillschweigend abgewickelt.

aus dem Wortprotokoll

66. Sitzung

Ich komme nun zu

lfd. Nr. 9:

a) Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt weiterentwickeln (III) – lesbische, schwule, bi-, transsexuelle, Transgender- und intersexuelle (lsbtti) Flüchtlinge unterstützen – jetzt!

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen vom 21.  Mai 2015
Drucksache 17/2283

zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
Drucksache 17/2084

b) Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt 2.0“ (ISV 2.0)

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen vom 21.  Mai 2015
Drucksache 17/2284

zum Antrag der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion
Drucksache 17/0652

c) Initiative sexuelle Vielfalt (ISV)/Aktionsplan gegen Homophobie und Transphobie fortführen und qualifizieren

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen vom 21.  Mai 2015
Drucksache 17/2285

zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Drucksache 17/0294

Präsident Ralf Wieland:

– Für die Fraktion Die Linke folgt jetzt der Kollege Schatz. – Bitte schön!

Carsten Schatz (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Krüger! Ich verbessere Sie ungern, aber Sie sprachen die ganze Zeit von der Sexualität der Menschen. Darum geht es aber nicht. Es geht um sexuelle Orientierung oder sexuelle Identität. Wenn man von Sexualität spricht, klingt es immer nach etwas frei Gewähltem. Dann stelle ich mal die Frage: Wann haben Sie sich denn entschieden, heterosexuell zu sein?

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Sie gestatten mir den kurzen Rekurs auf die Kollegin Seibeld: Sie sagte in ihrer Rede heute früh, der Kampf gegen Diskriminierung sei mehr als die Änderung von Gesetzen. In der Tat! Deshalb hat der Berliner Senat und die Mehrheit hier im Abgeordnetenhaus 2009 die Initiative für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt auf den Weg gebracht. Wir waren der Überzeugung, dass der Kampf gegen Diskriminierung rechtliche Gleichstellung beinhaltet, aber er beinhaltet weitaus mehr. Deshalb haben wir damals ein Themenpaket vorgelegt, das europaweit einmalig war. Berlin war damals spitze. In einem Akteursnetzwerk aus Politik, Verwaltung, Gruppen, Vereinen und Verbänden ist ein Maßnahmenpaket entwickelt worden, das in Europa einmalig war. Es ist vielfach kopiert worden. Berlin hat dafür Preise und Anerkennung bekommen. In anderen Bundesländern – Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen – ist es aufgegriffen und variiert worden. Berlin hatte damals einen Trend gesetzt.

Dann kam die Wahl 2011, und in der Koalitionsvereinbarung von Rot-Schwarz stand der Satz:

Die Initiative „Berlin tritt für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“ und das „Bündnis gegen Homophobie“ werden fortgeführt und weiterentwickelt.

Bei dieser Ankündigung ist es leider geblieben. Die Anträge, die von der Opposition, also von den Grünen, den Piraten und uns, 2012 vorgelegt wurden, lungerten in den Ausschüssen herum. Darüber wurde nicht diskutiert. Das geschah erst im letzten Mai. Stattdessen kamen Sie mit zwei Anträgen an, nämlich der Fortschreibung der ISV 1 und 2, wie Sie das nannten.

Ich will jetzt nur auf einen Antrag eingehen, nämlich den Geschichtsantrag. Der Kollege Schreiber hat gesagt, hier würden Zeitzeugeninterviews geführt. In der Ausschussberatung haben wir gesehen, dass drei Zeitzeugeninterviews pro Jahr geführt werden. Das soll die Bewahrung des Gedächtnisses unserer Community sein, wenn es um Verfolgungsgerichte geht. Da muss mehr gemacht werden. Das ist zu wenig.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Faktisch haben Sie die ISV stillschweigend abgewickelt. Im Doppelhaushalt 2014/2015 wurden die Aufwendungen, die immerhin im Doppelhaushalt 2010/2011 noch 2,1 Millionen Euro betragen haben, zusammengestrichen. Selbst die Schwusos haben 2014 festgestellt: Im aktuellen Haushalt ist es noch eine knappe halbe Million Euro. Das ist deutlich weniger als unter Rot-Rot.

Nun wurden – nach den Versprechungen im Koalitionsvertrag – neue Versprechungen gemacht. Es wurden uns im letzten Jahr acht Einzelanträge angekündigt. Zwei sind es geworden. Heute gab es neue Versprechungen. Nun ja, wir werden gucken, was kommt. Bei Herrn Krüger hört sich das dann ungefähr so an: Hört mal zu! Es ist alles in Butter. Macht euch mal keine Sorgen! – Frau Kolat hat im Ausschuss die Schwerpunkte des Senats benannt, die mit den Anträgen, die Sie vorgelegt haben, nichts zu tun haben. Da geht es nämlich um Trans- und Intersexualität, um Geschichte, um Anti-Gewalt-Arbeit und die Stärkung des internationalen Engagements. Als fünften Punkt nannte sie noch die Flüchtlinge. Den haben aber, glaube ich, wir mit unserem Antrag auf die Agenda gesetzt. Sie können das gerne nachlesen. Die alte ISV hatte sieben Schwerpunkte. Bildung war ein wesentlicher. Darüber wurde noch gar nicht gesprochen.

Kurz zum Flüchtlingsantrag: Wir haben den Antrag vorgelegt. Ich bin sehr dankbar, dass Sie in Ihrem Antrag wenigstens drei Schwerpunkte aufgegriffen haben, nämlich die Sensibilisierung der Leute in den Unterkünften, die Frage, ob Menschen, die unter Gewalterfahrungen leiden, aus den Sammelunterkünften herausgeholt werden können und das Engagement auf Bundesebene. Aber die Beratungsangebote haben Sie herausgelassen. Da kommen Menschen nach Berlin, die eine Flucht hinter sich haben, die es vielleicht in ihrem Heimatland nicht gewohnt sind, sehr offen mit ihrer sexuellen Identität oder Orientierung umzugehen, und wir verlangen von ihnen, dass sie sich einfach in unsere Gesellschaft einfinden. Das, was eigentlich am Anfang stattfinden muss, nämlich Beratung für die Flüchtlinge in den Einrichtungen durch freie Träger, haben Sie einfach wegfallen lassen. Weil Sie diesen wichtigen Punkt vergessen haben, können wir dem Antrag leider nicht zustimmen. – Letztlich, lieber Kollege Schreiber, danke für die Ankündigung! Aber mit dem Versenken der Anträge zementieren Sie heute den Stillstand, den wir vorhin in der Debatte zur rechtlichen Gleichstellung von Lesben und Schwulen gesehen haben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den
PIRATEN]

Präsident Ralf Wieland:

Vielen Dank, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Zum Antrag Drucksache 17/2084 empfiehlt der Fachausschuss einstimmig – bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen – die Annahme mit neuer Überschrift und in neuer Fassung. Wer dem Antrag mit neuer Überschrift und in der neuen Fassung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU und SPD. Gegenstimmen? – Keine! Enthaltungen? – Piraten, Linke und Grüne enthalten sich. Dann ist das so beschlossen.

Zum Antrag Drucksache 17/0652 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich – gegen die Oppositionsfraktionen – die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piratenfraktion, Die Linke und die Grünen. Gegenstimmen? – SPD und CDU! Das letzte war die Mehrheit. Damit ist das abgelehnt.

 

Zum Antrag Drucksache 17/0294 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich – gegen die Grünen, Die Linke und die Piraten – auch mit Änderungen die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Piratenfraktion, die Grünen und die Linken. Gegenstimmen? – Die Koalitionsfraktionen! Damit ist das abgelehnt.