Keine Kriminalisierung von Klimaprotest

Ferat Koçak
Energie und KlimaUmweltschutzFerat Koçak

"Es ist keine Bagatelle, weswegen Aktivist:innen die Autobahn blockiert haben: 500.000 Tonnen Lebensmittel werden jedes Jahr in deutschen Supermärkten weggeworfen, vieles davon in essbarem Zustand. Zeitgleich werden Menschen die diese Lebensmittel retten und nutzen wollen kriminalisiert." sagt der klimapolitische Sprecher Ferat Koçak.

6. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 10.02.2022

Aktuelle Stunde

Ferat Koçak (LINKE):

Klimaaktivismus ist kein Verbrechen. Es zeugt von der Beschränktheit der Rechtsaußen-Fraktion, wenn ihr zu diesem Thema nichts Besseres einfällt als härtere Bestrafung derer zu fordern, die auf fundamentale Probleme dieser Gesellschaft aufmerksam machen. Es ist keine Bagatelle, weswegen Aktivisten und Aktivistinnen die Autobahn blockiert haben. 500 000 Tonnen Lebensmittel werden jedes Jahr in deutschen Supermärkten weggeworfen, vieles davon in essbarem Zustand.

Zeitgleich werden Menschen, die diese Lebensmittel retten und nutzen wollen, kriminalisiert. Kapitalistische Lebensmittelproduktion – das wird hier deutlich – heißt nicht, sich am tatsächlichen Bedarf der Bevölkerung zu orientieren, sondern billig überzuproduzieren und in den Handel zu werfen.

Das ist nicht nur ernährungstechnisch eine Katastrophe, sondern ist auch mitverantwortlich für die Klimakrise. Es geht bei der Überproduktion nämlich neben der Produktion selbst auch um den Warenverkehr, um Wasser- und Landverbrauch, um den Einsatz von Pestiziden und – total pervers – um die Aufzucht und Tötung von Tieren, von denen am Ende 20 Prozent in der Mülltonne landen.

Aktuell sitzen aber nicht die Chefs derjenigen Konzerne, die solche verbrecherischen Verhältnisse mitverantworten, in Gewahrsam, sondern die Aktivisten und Aktivistinnen, die dagegen protestieren.

Wenn wir verschwendete Lebensmittel umrechnen in ihre ebenso verschwendete Produktion, landen wir bei einer kaum greifbaren Zahl von 4,4 Milliarden Tonnen CO2, die global jährlich in die Atmosphäre gepumpt werden. 352 Milliarden Bäume müssten eingepflanzt werden, um dies zu kompensieren. Wenn wir dann noch den Fakt dazuholen, dass jeden Tag ca. 10 000 Menschen weltweit an Unterernährung und den medizinischen Folgen sterben, wird klar, dass wir hier nicht über blockierte Straßen reden, sondern über ein globales Menschheitsproblem. Die Klimakrise mit all ihren Folgen wie Hungersnöten muss konsequent bekämpft werden.

Es war nicht das erste Mal und wird nicht das letzte Mal sein, dass wir uns mit radikalen Protestformen auseinandersetzen müssen. Protest muss manchmal provokant sein, manchmal muss er den sogenannten Normalbetrieb stören, denn sonst bleibt er letztlich unbeachtet und wirkungslos. Angesichts einer Situation, wo weltweit die verantwortlichen Politiker und Politikerinnen wider besseres Wissen zuschauen, wie unser Planet quasi mit 300 km/h in den Abgrund gefahren wird, erscheint die Blockade von Autobahnauffahrten noch als mildes Protestmittel.

Schauen wir – und das hatte Herr Franco schon gesagt – auf die Anti-AKW-Bewegung, die in ihren wilden Anfangszeiten brutaler Polizeirepression ausgesetzt war. Tränengas aus Hubschraubern, Stacheldrahtzaun und hochgepeitschte Polizeihunde verteidigten das Interesse des Atomkapitals gegen die Protestierenden.

Es hat lange gedauert, aber 2011 im Nachgang der vorhersehbaren Katastrophe in Fukushima war die Protestbewegung schließlich auf Hunderttausende angewachsen, und Angela Merkel war gezwungen, den Ausstieg aus dem Atomausstieg rückgängig zu machen. Fortschrittlicher Protest lohnt sich und hat diese Welt schon oft verbessert. Auch die Feministinnen, die 2019 den Marsch der Abtreibungsgegner und -gegnerinnen mit Sitzblockaden blockierten, wurden wegen angeblicher Nötigung vor Gericht gezerrt. Antifaschisten und Antifaschistinnen, die Nazis und rechte Aufmärsche blockieren, werden kriminalisiert, so auch die ehemaligen Abgeordneten dieses Hauses Canan Bayram und Hakan Taş.

Deshalb unterstützen Tausende Antifaschisten und Antifaschistinnen die Kampagne des „Berliner Bündnis gegen Rechts“. Wir sitzen, weil sie marschieren. Gegen die Kriminalisierung von Sitzblockaden! Antifaschismus ist die Grundlage unseres Zusammenlebens nach 1945 und gehört deshalb nicht kriminalisiert, sondern in die Verfassung.

Immer wieder werden linke, antifaschistische Proteste kriminalisiert oder gesilenct, während rechte, rassistische, antisemitische Aufmärsche, Versammlungen oder Spaziergänge verharmlost werden. Aber wir brauchen die Proteste gegen menschenfeindliche Ideologien wie die der Rechtsaußen-Fraktion, und wir brauchen die Proteste gegen ein Wirtschaftssystem, das die Lebensgrundlage der Menschheit zerstört. Die Klimakrise lässt sich nicht wegsperren. Wenn wir nicht ganz grundsätzlich ein Wirtschaftssystem infrage stellen, in dem Mensch, Tier und Natur für die Profite einiger weniger ausgebeutet werden, wird sich die Zerstörung unserer Lebensgrundlage fortsetzen. Dann können wir davon ausgehen, dass unsere Kinder und Enkelkinder – ja, auch Ihre Kinder und Enkelkinder – in einer Welt leben werden, die heißer ist und in der Dürren, Überschwemmungen, Wasserknappheit Ernteausfälle und damit auch Hungersnöte Normalität werden.

Statt Klima- und linke Proteste zu kriminalisieren, sollten wir Demokratinnen und Demokraten also gemeinsam handeln, um der Klimakatastrophe entgegenzuwirken. In der Berliner Koalition haben wir bereits jetzt konkrete Maßnahmen verabredet, die Klimaschutz gewährleisten sollen. Wir wollen uns von fossilen Brennstoffen unabhängig machen mit dem Kohleausstieg vor 2030, einer Solarkampagne mit Förderprogramm, dem Umstieg auf klimaneutrale Wärme.

Dabei helfen ein kommunalisiertes Stromnetz und die angestrebte Kommunalisierung des Fernwärmenetzes, denn Energieversorgung muss öffentlich, gemeinnützig und bezahlbar organisiert werden und nicht der Profitlogik unterliegen.

Neben der Energiepolitik steht für uns auch die Mobilität im Fokus, denn um von der autozentrierten Stadt wegzukommen, brauchen wir ein dichtes, funktionierendes, für alle bezahlbares ÖPNV-Netz. Der zügige Ausbau der Tramlinien ist für uns dabei besonders wichtig. Straßenbahnen ermöglichen einen umweltfreundlichen und kostengünstigen Transport. Fuß- und Radinfrastruktur müssen verbessert werden. Es ist vollkommen klar: Leute haben Lust, vom Auto umzusteigen. Das zeigen viele Untersuchungen.

Wir brauchen aber eine gute Verkehrsinfrastruktur für alle. Zentral für den sozialökologischen Umbau des Berliner Verkehrs ist die S-Bahn. Sie ist das Rückgrat des ÖPNV, und deswegen wollen wir sie kommunalisieren. Dafür sollen Gespräche mit der Deutschen Bahn geführt werden. Und die Koalition hat verabredet, bis Herbst dieses Jahres ein Konzept für ein landeseigenes Verkehrsunternehmen vorzulegen, das den S-Bahnbetrieb übernehmen wird.

Wir haben im Koalitionsvertrag auch festgehalten, den Klimaschutz als Querschnittsthema in allen Politikbereichen zu berücksichtigen und diesen auch in die Landesverfassung mit aufzunehmen. Das ist mehr als nur Symbolpolitik, das ist ein Versprechen der Koalition an die Millionen Menschen, die in den letzten Jahren mit Fridays for Future, Extinction Rebellion, Ende Gelände und vielen anderen auf den Straßen waren. Wir werden die Klimakrise mit allen möglichen Mitteln bekämpfen.

Alle unsere Maßnahmen im Koalitionsvertrag sind gute und wichtige Schritte auf dem Weg zu einer klimaneutralen Stadt. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Um der Klimakatastrophe zu begegnen, brauchen wir eine schlag­kräftige und breite soziale Bewegung, die weit über parlamentarische Maßnahmen hinausgeht; denn wie schon gesagt sitzen die Problemverursacher vornehmlich in den Chefetagen. Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte die Entwicklungsorganisation Oxfam einen Bericht, nach dem die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung für mehr als die Hälfte des CO2-Ausstoßes verantwortlich sind.

Sie leben im globalen Norden, sind die Wirtschaft der Industriestaaten und beuten den globalen Süden aus. Das sind die wahren Kriminellen, die eine Welt in Chaos in Kauf nehmen, solange ihre Gewinne nicht gefährdet sind.

Das sind die, die wir tatsächlich stoppen müssen – –

Präsident Dennis Buchner:

Kolleginnen und Kollegen! Ich habe zwar nicht das Gefühl, dass der Redner gerade ein stimmliches Problem hat; trotzdem möchte ich Sie bitten, dass wir uns gegenseitig zuhören und die Unruhe und die ständigen Zwischenrufe, die den Redner irritieren, ein bisschen runtergefahren werden.

Ferat Koçak (LINKE):

– Ich bin auch gleich durch, dann können Sie weiterschreien. – Das sind die, die wir tatsächlich stoppen müssen, nicht ein paar Protestierende, die den Autoverkehr für einige Minuten stören. Am 25. März 2022 gibt es deshalb den nächsten globalen Klimastreik, auch hier in Berlin. Und auch die Klimakämpfe an anderen Orten wie in Lützerath am Braunkohletagebau Garzweiler II in NRW gegen den Energiekonzern RWE gehen weiter, solange grundlegende Veränderungen ausbleiben. Es besteht kein Zweifel, dass es in Bezug auf die Klimakrise nur noch heißen kann: „System change, not climate change!“ Lassen Sie uns in Berlin damit anfangen. – Vielen Dank!

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