Ausbau der Straßenbahn hat Priorität vor der U-Bahn

VerkehrHarald Wolf

46. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 12. September 2019

Zu Tagesordnungspunkt 28
a)  U-Bahnlinie U 2 Verlängerung bis „Pankow Kirche“
b)  U-Bahnlinie U 8 endlich verlängern bis ins Märkische Viertel
(Anträge der AfD-Fraktion)

Harald Wolf (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der Politik kann man sich vieles wünschen. Man kann sich auch wünschen, dass alles mögliche gleichzeitig passiert. Die Erfahrung zeigt aber, dass das in der Regel dazu führt, dass von dem, was man sich wünscht, entweder nichts oder die vielen Wünsche nur halbherzig realisiert werden.

Zur Politik gehört auch die Erkenntnis, dass Zeit, Geld, Personal und planerische Ressourcen begrenzte Ressourcen sind und dass man deshalb in der Politik Prioritäten setzen muss. Das gilt auch für Verkehrsinvestitionen. Verkehrsinvestitionen setzen immer eine Entscheidung voraus über Kosten im Verhältnis zum Nutzen, den diese Investitionen bringen. Das heißt, bei jeder Verkehrsinvestition muss ich mir die Frage stellen: Mit welchem Mitteleinsatz bekomme ich den größten verkehrlichen Nutzen?

Nun kennen Sie alle – ich habe da schon mehrfach gesagt, viele andere auch – den groben Kostenvergleich: Ich bekomme einen Kilometer U-Bahn für einen finanziellen Aufwand von ca. 220 bis 240 Millionen Euro. Ich bekomme einen Kilometer Straßenbahn für einen finanziellen Aufwand von ca. 18 bis 22 Millionen Euro, kurz, ich bekomme, wenn ich in die Straßenbahn investiere, zehn- bis dreizehn Mal so viel Kilometer wie bei einer Investition in die U-Bahn, einmal ganz abgesehen davon, dass eine Straßenbahn schneller zu bauen ist und weniger planerischen Vorlauf braucht.

Präsident Ralf Wieland:

Herr Kollege Wolf! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Harald Wolf (LINKE):

Nein, keine Zwischenfragen! Ich will meinen Gedanken zu Ende führen. – Ich gestehe zu, dass es durchaus sinnvoll sein kann, in eine U-Bahn zu investieren, wenn sie einen hohen Effekt hat bezogen auf die Netzwirkung. Deshalb sehen wir uns einmal als Beispiel den Vorschlag zur U 8 an.

Wird die U 8 verlängert bis zum Märkischen Zentrum, habe ich das Problem, dass die meisten Bewohner des Märkischen Viertels von dem geplanten U-Bahnhof relativ weit entfernt wohnen, das heißt, ich brauche auch weiterhin einen Zubringerverkehr mit Bussen, das heißt, die Netzwirkung dieser Investition von ca. 250 Millionen Euro ist minimal. Wenn ich eine größere Wirkung haben will, müsste ich die U 8 weiterbauen bis zum Senftenberger Ring. Aufgrund der großen Entfernung wäre es wahrscheinlich sinnvoll, noch einen weiteren U-Bahnhof zu bauen, das heißt, wir reden über eine Investition von 500 bis 600 Millionen Euro mit relativ geringer verkehrlicher Netzwirkung.

Unsere Alternative ist eine andere. Wir schlagen eine Straßenbahnerschließung vor, ausgehend von der Endhaltestelle der M 1 in Rosenthal-Nord über die Quickborner Straße zum Wilhelmsruher Damm und dann über das Märkische Zentrum zum S- und U-Bahnhof Wittenau, weiter zum Kurt-Schumacher-Platz bis zur Jungfernheide. Das Märkische Viertel würde damit eine Schienenanbindung mit vielen Umsteigemöglichkeiten erhalten: in Wittenau zur S 1, zur S 26 und zur U 8, bei der Bonhoeffer-Klinik zur S 25 und zur U 8, am Kurt-Schumacher-Platz zur U 6, am Jakob-Kaiser-Platz zur U 7 und in der Jungfernheide zur U 7 und zur Ringbahn. Das wäre eine Investition mit einem hohen Netzeffekt, die das gesamte Märkische Viertel erschließen würde, und mit einem hohen verkehrlichen Nutzen. Das, glaube ich, wäre ein zielgerichteter Einsatz öffentlicher Mittel.

Ich kann ja verstehen, dass es den Wunsch gibt, diese U-Bahnverlängerungen voranzutreiben. Ich nehme auch zur Kenntnis, dass die sozialdemokratischen Kollegen der Meinung sind, dass beides zusammen geht. Ich glaube, die Praxis wird zeigen, dass es nicht zusammen geht, sondern dass wir hier einen echten Zielkonflikt haben, und dass allein die Knappheit der Mittel dafür sorgen wird, dass sich diese Pläne in der nächsten Zeit nicht realisieren lassen, aber dass wir massiv investieren müssen in den flächendeckenden Ausbau der Straßenbahn. In der Tat – da stimme ich allen zu, das ist unsere Rede seit langem –: Wir müssen mehr Verkehr auf die Schiene bringen und müssen das Verkehrsangebot deutlich erweitern. Die Straßenbahn ist hierfür das adäquate Mittel. Darauf legen wir gegenwärtig die Priorität. Das schließt im Übrigen nicht aus, dass weiter in die U-Bahn investiert wird, denn wir werden weiter massive Investitionen brauchen für die Tunnelsanierung, den behindertengerechten Ausbau, die Bahnhöfe etc. etc. Das heißt, es wird auch weiterhin massiv in die U-Bahn investiert werden. Wer glaubt, er könne alles gleichzeitig machen, soll mir sagen, woher er das Geld nimmt. Dann bin ich gern bereit, auch über Weiteres zu diskutieren.

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