Berlin wird progressives Bildungsland

Wir wollen, dass es für den Bildungserfolg keine Rolle spielt, aus welchem Land die Eltern eines Kindes kommen. Wir wollen, dass alle in ihrer Einzigartigkeit und Vielfalt in unseren Schulen so gefördert werden, dass aus ihnen wird, was aus ihnen werden kann. Wir wollen eine inklusive Schule.

Rede als Video

Aus dem Vorab-Wortprotokoll

8. Sitzung, 23. März 2017

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung
des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Bildungsspiegel an der Wand – welches ist das schlechteste Bildungsland?“

(auf Antrag der Fraktion der FDP)

 

 

Regina Kittler (LINKE):

„Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir.“ –, dieser Ausspruch wird Seneca zugeschrieben. Allerdings ist die Negation seiner eigentlichen Feststellung, nicht für das Leben, für die Schule lernen wir, mit der er die Philosophenschulen seiner Zeit kritisierte, weil sie Schulweisheit statt Lebensweisheit lehrten. Das war kurz nach Beginn der Zeitrechnung. Wenn ich hier FDP und CDU sprechen höre, hat sich bei Ihnen offensichtlich noch nicht so viel verändert.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN –
Zuruf von der LINKEN: Sehr richtig!]

Bei der FDP geht offensichtlich der Trend zum Reim, wobei das Versmaß etwas holpert, liebe Kolleginnen und Kollegen.

[Kurt Wansner (CDU): In der DDR
war alles anders!]

Deutsch war offensichtlich nicht so ganz Ihre Stärke, vom Inhalt einmal ganz zu schweigen.

[Paul Fresdorf (FDP): Ich war auf einer Berliner Schule! –
Heiterkeit und Beifall bei der AfD und der FDP]

– Wissen Sie, wenn ich das höre, muss ich an Fußball denken. Alle quatschen mit, denken, sie hätten Ahnung und wissen alles besser.

[Carsten Ubbelohde (AfD): Und Sie stehen im Abseits! –
Lachen und Beifall bei der AfD –
Beifall bei der CDU und der FDP]

Außer dass Sie von der FDP – ja, rhythmisches Klatschen können Sie auch, schön! –

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

den Koalitionsvertrag nicht gut finden – müssen Sie übrigens auch nicht! –, frage ich Sie: Wo sind denn, bitte schön, Ihre revolutionären Vorschläge? Ich habe nicht einen einzigen hier gehört.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Die CDU, die sieht ergänzend gleich wieder bildungspolitisch das Abendland untergehen. Merkwürdigerweise fällt ihr das immer gerade dann ein, wenn sie nicht in der Regierung ist.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Die FDP will Berlin zum schlechtesten Bildungsland erklären

[Zurufe von der FDP: Ist es!]

und was Ihnen, den Abgeordneten von FDP und CDU offensichtlich wirklich wichtig ist – das haben wir heute auch noch einmal verstanden –, ist die Förderung der sogenannten Eliten. Dazu haben wir ganz klar einen anderen Ansatz, das ist so: Der Linken ist Bildungsgerechtigkeit wichtig!

[Lachen und Oih! bei der AfD
und der FDP]

Wir wollen, dass Bildungserfolg von der sozialen Herkunft unabhängig wird.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Präsident Ralf Wieland:

Frau Kollegin! Gestatten Sie zwei Zwischenfrage, einmal des Kollegen Luthe und einmal des Kollegen Wild?

Regina Kittler (LINKE):

Nein! Ich mache lieber weiter. – Wir wollen, dass es für den Bildungserfolg keine Rolle spielt, aus welchem Land die Eltern eines Kindes kommen. Wir wollen, dass alle in ihrer Einzigartigkeit und Vielfalt in unseren Schulen so gefördert werden, dass aus ihnen wird, was aus ihnen werden kann. Wir wollen eine inklusive Schule.

[Dr. Gottfried Ludewig (CDU): Machen
Sie doch mal!]

Das haben wir noch nicht erreicht, aber wir sind auf einem guten Weg dahin. Hätte die CDU in den letzten fünf Jahren nicht ständig auf die Bremse getreten, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN –
Beifall von Sebastian Czaja (FDP)]

Immer wieder kann ich von CDU und FDP hören: Wir machen in der Bildungspolitik Klientelpolitik. – Ich will Ihnen sagen: Das stimmt! – Gerne erkläre ich Ihnen auch, warum: 250 000 Kinder und Jugendliche in Berlin sind arm. Das ist jeder dritte junge Mensch in unserer Stadt.

[Karsten Woldeit (AfD): Ergebnis
von 20 Jahren SPD!]

Hinzu kommen Tausende, die in Familien leben, in denen die Eltern zu den sogenannten Geringverdienern gehören. Diese Kinder und Jugendlichen sind gegenüber den anderen benachteiligt und haben weniger Bildungschancen. Sie erreichen oft keinen oder einen geringeren Abschluss als ihre Mitschülerinnen und Mitschüler. Das gilt in Berlin, in den deutschen Großstädten, in ganz Deutschland und damit in einem der reichsten Länder dieser Welt. Das ist beschämend, und das müssen wir verändern.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Dafür sind wir hier gemeinsam in der Koalition angetreten. Wenn Sie das Klientelpolitik nennen, dann tun Sie das ruhig. Ich nenne es soziale Verantwortung.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

In den letzten Tagen und heute hörten wir immer wieder das drohende Szenario der Einheitsschule. Pausenlos heften sich FDP und CDU an die Fersen der Gymnasien. Zu denen ist mir übrigens immer noch nicht bekannt geworden, dass sie sich in irgendeiner Gefahr befänden und abgeschafft werden sollten. Woher nehmen Sie diese Annahme? Im Gegenteil: Sie haben für die 7. Klassen ja erst mehr Lehrkräfte bekommen.

Sie, meine Damen und Herren von CDU und FPD, werden nicht müde zu beklagen – heute wieder –, dass die Lernerfolge bei Leistungsvergleichen nicht hoch genug sind – wohl wissend, dass der Bildungserfolg in hohem Maß von der sozialen Herkunft abhängig ist.

[Holger Krestel (FDP): Weil wir
in Berlin leben!]

Ich muss Sie schon einmal fragen, ob Sie wirklich der Meinung sind, dass das Gymnasium die Probleme der Bildung in Berlin lösen wird.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Die Vorschläge der CDU sind aus der Mottenkiste – um ein Lieblingswort von Frau Bentele zu bemühen –, und ihre Berater und Beraterinnen sind es übrigens auch. Wir sollten etwas Neues wagen, und dafür steht die Koalition.

[Oh! bei der CDU, der AfD und der FDP]

[Holger Krestel (FDP): Das wird nicht klappen!]

Ein „Weiter so!“ kann es nicht geben, sonst verändert sich hier nichts.

Schauen wir doch einmal die letzte Bertelsmann-Studie an, um das Schlechtreden der Berliner Schulen und der Pädagoginnen und Pädagogen, die sich redlich mühen, endlich zu beenden: Der für jedes Bundesland veröffentlichte Chancenspiegel attestiert Berlin – offensichtlich völlig unbemerkt von der Opposition – in vielen Bereichen gute bis sehr gute Erfolge. Alle Schulen führen zur Hochschulreife. Das ist eine Spitzenposition in Deutschland.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Berlin zählt zu den Bundesländern mit der höchsten Integrationskraft. Das macht sich daran fest, dass wir einen hohen Anteil am schulischen Ganztag erreicht haben. Zum Vergleich: Bei uns in Berlin sind es 85 Prozent, bundesweit nur 50 Prozent. Das macht sich daran fest, dass wir uns bei der Weiterentwicklung der Inklusion deutlich in der oberen Ländergruppe befinden. In Berlin sind es 57 Prozent. Der Bundesdurchschnitt beträgt 34 Prozent. In Berlin erreichen wesentlich mehr Schülerinnen und Schüler das Abitur als im Bundesdurchschnitt.

[Sebastian Czaja (FDP): Sie haben einfach
das Niveau gesenkt!]

Es sind 44 Prozent im Verhältnis zu 34 Prozent im Bundesdurchschnitt. Das sind Bildungsentwicklungen, auf die wir doch wohl mal mit Stolz verweisen können.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Trotz allem wollen wir mehr. – Frau Lasić hat es schon dargestellt. – Noch ist die Zahl der Jugendlichen, die ohne Abschlüsse die Schule verlassen, viel zu hoch. Leistungen müssen sich verbessern. Höhere Lernerfolge müssen erzielt werden. Aber ich muss Sie enttäuschen: Auch hier haben wir eine Antwort, und die ist sogar wissenschaftlich belegt. Sie heißt Gemeinschaftsschule.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Noch ein Modellversuch, aber einer der zeigt, dass die Probleme der Berliner Bildung genau hier am besten gelöst werden. Der im April 2016 vorgelegte Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung bestätigte mit noch größerer Deutlichkeit als die vorhergegangenen Zwischenberichte, dass es der übergroßen Mehrheit der Gemeinschaftsschulen gelingt, den Bildungserfolg ihrer Schülerinnen und Schüler von der sozialen Herkunft abzukoppeln und sich zu Schulen für alle zu entwickeln, in denen alle erfolgreich lernen können, und zwar hochbegabte Kinder wie auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Lerndefizite, wie sie in den zurückliegenden Jahren zum Beispiel in Deutsch und Mathematik oder in den Naturwissenschaften erkennbar wurden, sollten uns deshalb geradewegs zur Gemeinschaftsschule führen. Bewiesen ist, dass in den Gemeinschaftsschulen alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Förderbedarf zu guten bis überdurchschnittlichen Lernerfolgen geführt werden können. Das betrifft die Kompetenzentwicklung in allen untersuchten Unterrichtsfächern – im Abschlussbericht erstmalig attestiert auch in Mathematik und den Naturwissenschaften. Lesen Sie auch einmal solche Berichte! Es würde sicher helfen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN –
Zuruf von Georg Pazderski (AfD)]

In Berlin wird in den nächsten sechs Jahren – wir haben es heute schon gehört – ein Zuwachs an 86 000 Schülerinnen und Schülern erwartet. Wir werden dafür jährlich etwa 2 000 Pädagoginnen und Pädagogen mehr in den Schulen einstellen müssen. Diese extreme Herausforderung nehmen wir auch an.

Wir begegnen ihr – das muss ich hier sagen, denn man kann es gar nicht genug würdigen –, indem wir endlich den Grundschullehrkräften das gleiche Geld bezahlen wie den Oberschullehrkräften. Das haben sie sich verdient. Dafür haben sie lange gekämpft. Sie haben keine Erpressungsstrategie gefahren, die den Senat in die Knie gezwungen hat, sondern sie haben für ihr Recht gekämpft.

[Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

Das ist ihr gutes Recht, auch wenn Sie, Frau Bentele, das nicht anerkennen wollen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Das ist ein Einzug von mehr Gerechtigkeit in den Lehrerzimmern und eine längst fällige Anerkennung. Dieser Schritt wird zu Recht in Deutschland gefeiert und wird neben dem Prozess der partizipativen Entwicklung von Schulraumqualität mit Anerkennung und Neid von fortschrittlichen Bildungspolitikerinnen und Bildungspolitikern aus ganz Deutschland begeistert aufgenommen.

Präsident Ralf Wieland:

Frau Kollegin! Kommen Sie bitte zum Ende! 

Regina Kittler (LINKE):

Berlin ist ein progressives Bildungsland auf dem Weg nach vorne, auch wenn Sie das noch nicht begriffen haben.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

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