Ersthelfer-App

Ich will Ihnen Ihre App gar nicht madig machen, aber ist es in Berlin wirklich sinnvoll, parallele Strukturen zum vorhandenen Rettungsdienst einzurichten?

Rede als Video

Aus dem Vorab-Wortprotokoll

8. Sitzung, 23. März 2017

lfd. Nr. 24:

Wenn jede Sekunde zählt! Ersthelfer‑App für schnellere Reanimierung bei Herz-Kreislauf-Stillstand

Antrag der Fraktion der FDP
Drucksache 18/0190

 

Dr. Wolfgang Albers (LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen, meine Herren! Auch wenn die Wiederherstellung der Kreislauffunktionen gelingt, verstirbt ein großer Teil der rund 75 000 Patienten, die pro Jahr in Deutschland außerklinisch einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden, innerhalb der nächsten 30 Tage, und zwar nicht an der dem Herz-Kreislauf-Stillstand zugrundeliegenden Erkrankung, sondern infolge der durch den Herz-Kreislauf-Stillstand erlittenen Hirnschädigung. Die ist umso größer, je später die adäquaten Reanimationsmaßnahmen bei den Patienten eingeleitet wurden. Die Wiederbelebungszeit – das ist die Zeit, die vom Eintritt des Kreislaufstillstands bis zum Auftreten eines irreversiblen Organschadens bleibt – beträgt für das Gehirn drei bis fünf Minuten. Es ist also dieses therapiefreie Intervall im Notfall so gering wie möglich zu halten. Die ersten drei Minuten sind entscheidend.

Sie wollen mit Ihrem Antrag eine Lücke in der Erstversorgung schließen, und jetzt kommen wir zu dem, was ein Fraktionskollege von Ihnen gesagt hat: Es gibt gute Anträge, und es gibt gut gemeinte Anträge. – Denn Sie schließen diese Lücke so nicht. Auch Ihre alarmierten Ersthelfer erreichen den Ort des Geschehens in der Regel nicht innerhalb dieser Frist. Im Kreis Gütersloh in Nordrhein-Westfalen gibt es ein solches Projekt seit 2016. 

211 Mal wurden die Retter alarmiert. Nur 132 Mal sind sie auch am Einsatzort eingetroffen. Die Einsatzquote liegt damit bei knapp 62 Prozent. Zum Zeitpunkt der Alarmierung war der Ersthelfer im Schnitt 4 Minuten und 21 Sekunden vom Einsatzort entfernt. Das heißt nicht, dass er ihn auch in 4 Minuten und 21 Minuten erreicht hat.

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Luthe?

Dr. Wolfgang Albers (LINKE):

Ja, gern.

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Herr Luthe, Sie haben das Wort.

Marcel Luthe (FDP):

Vielen Dank! – Herr Dr. Albers! Stimmen Sie mir aber bei dem, was Sie gerade skizzieren, zu, dass der Status, den Sie gerade beschreiben, ein deutlich besserer wäre als der, den wir jetzt haben?

Dr. Wolfgang Albers (LINKE):

Lassen Sie mich doch einmal weiter erzählen, Mensch! Auch der Ersthelfer hat eine Alarmierungszeit. Die mag auf dem flachen Land niedriger sein als die der Feuerwehr, aber auch die übersteigt das kritische Intervall. Der beste Ersthelfer ist der, der sich in unmittelbarer Nähe des Betroffenen befindet. Hier haben wir den Nachholbedarf. Das deutsche Reanimationsregister, so etwas gibt es in der Tat, in dem die Daten aller Reanimationen erfasst werden, belegt eine Laienreanimationsquote in unserem Land von nur 27 Prozent. In Schweden und in den Niederlanden liegt sie bei 70 Prozent. Hier liegt das eigentliche Problem. Hier haben wir politischen Handlungsbedarf.

Ich will Ihnen Ihre App gar nicht madig machen, aber ist es in Berlin wirklich sinnvoll, parallele Strukturen zum vorhandenen Rettungsdienst einzurichten? In der letzten Legislaturperiode sind die Rettungs- und Alarmierungszeiten durch Ihren Innensenator auf zehn Minuten heraufgesetzt worden, weil das bundesrepublikanischem Standard entspräche, statt sie auf acht Minuten herabzusetzen.

Sinnvoll scheint es mir hingegen, mehr Menschen zu befähigen, in einer solchen Akutsituation ohne Verzug das Richtige zu tun. Die Vereinigung der Notärzte fordert deshalb zum Beispiel schon lange einen verpflichtenden Reanimationsunterricht in den Schulen, auch eine konsequente Umsetzung solcher Projekte wie Telefonreanimation, mit der der Alarmierende, qualifiziert über das Telefon angeleitet, vor Ort Ersthelfer werden kann. Das ist sinnvoll. Ihre App hilft da nicht wirklich weiter. Auch sie greift erst nach dem kritischen Intervall. Wenn Sie jetzt erst anfangen zu üben, Herr Kluckert: Ich habe mir angesichts der czajaschen Geriatrieplanung auf die Brust tätowieren lassen: Nicht in die Geriatrie. Ich habe jetzt auch noch Platz darauf zu schreiben: Hände weg, Herr Kluckert! – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

 

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