Kopftuch an Schulen: Diskriminierungsfreie Debatte statt AfD-Hetze

55. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 5. März 2020

Zu "Keine Vollverschleierung an Berliner Schulen und Hochschulen" (Priorität der Fraktion der AfD-Fraktion)

Hakan Taş (LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wahrlich, zu der Frage der religiösen Neutralität des Staates gibt es viel zu diskutieren. Der große Unterschied zwischen unseren Diskussionen und dem Antrag der AfD-Fraktion ist allerdings, dass wir an der Sache orientiert, diskriminierungsfrei diskutieren, während die AfD-Fraktion mal wieder versucht, ein Thema zu instrumentalisieren, um gegen Muslima und den Islam zu hetzen.

Gerade wenige Tage nach Hanau ist es aus meiner Sicht pietätlos.

Jedoch ist es wohl eher mein Verschulden, wenn ich von Mitgliedern der Höcke-Partei Anstand erwarte.

Ihr Antrag strotzt nur von Vorurteilen und Hetze. Plötzlich geht es hier um salafistische Gruppierungen, Frauenunterdrückung und den politischen Islam. Dabei werden Urteile zur Zulässigkeit von Kopftuchverboten zum Anlass genommen, um die Verbotsforderungen hinsichtlich der Vollverschleierung zu bekräftigen. Haben Sie Ihren Antrag überhaupt gegengelesen, oder hatten Sie Frau Beatrix von Storch zu Gast in der Fraktion, die mit der Maus ausgerutscht ist? – Wie auch immer dieser Antrag zustande gekommen ist: Er verwirrt, pauschalisiert und hat nur einen Zweck: das Leben von Muslima in Deutschland zu erschweren.

Wenn wir sagen, die AfD mit Leuten wie Höcke ist eine faschistische Partei, dann sind Sie diejenigen, die immer eine Differenzierung einfordern. Dabei können Sie selbst nicht einmal zwischen einem Kopftuch und einem Nikab differenzieren. Das ist peinlich und zeigt mal wieder, dass wir Demokraten und Demokratinnen alles dafür tun müssen, damit diese AfD-Fraktion nicht noch weitere fünf Jahre ihren hochbezahlten Nonsens in diesem Parlament veranstaltet.

Nun zur Sache: Unser höchstes Gericht hat zum Tragen des Kopftuches durch öffentliche Bedienstete bekanntermaßen zwei unterschiedliche Entscheidungen gefällt. Das Kopftuchverbot für eine Lehrerin in Nordrhein-Westfalen wurde für verfassungswidrig erklärt, während das Kopftuchverbot für eine Rechtsreferendarin in Hessen für verfassungskonform erklärt wurde. Der Knackpunkt ist dabei, dass im Bereich des Schulwesens die religiös-pluralistische Gesellschaft abgebildet werden soll, während im Bereich der Justiz Vertreter staatlicher Organe klassisch-hoheitlich aufzutreten haben. Allerdings noch ein kleiner Hinweis: Das Bundesverfassungsgericht hat klar entschieden, dass das Kopftuchverbot für Lehrer an Schulen in Nordrhein-Westfalen verfassungswidrig ist, während in Hessen entschieden wurde, dass Rechtsreferendarinnen das Kopftuch in den Gerichtssälen bei der Ausübung hoheitlicher Aufgaben verboten werden darf, jedoch nicht muss. Ich finde es durchaus angebracht, zwischen dem Tragen eines Kopftuches und einer Vollverschleierung zu unterscheiden. Zwar sind sowohl das Kopftuch als auch die Vollverschleierung religiös begründet, aber ihre Auswirkungen können unterschiedlich sein. Insofern ist es legitim, darüber zu diskutieren, ob das an der einen oder anderen Stelle handhabbar ist. Diese Diskussionen sind auch in Ordnung, wenn sie diskriminierungsfrei und sachlich ablaufen. Dass die sogenannte AfD sich aber zum Schutzpatron von Frauen stilisiert, ist angesichts der Fakten mehr als lächerlich und zeigt wieder einmal die Doppelzüngigkeit dieser Partei.

Die Diskussion, wie weit das Tragen eines Kopftuches oder die Vollverschleierung freiwillig oder unter Zwang geschieht, ist müßig. Sicherlich gibt es Einzelfälle, in denen Frauen unter Druck gesetzt werden, Kopftücher zu tragen. Das wird von allen demokratischen Parteien im Parlament gleichermaßen abgelehnt und selbstverständlich auch verurteilt. In der Regel ist das Tragen des Kopftuches jedoch eine Frage der Erziehung und der religiösen Selbstverwirklichung junger Frauen. Hier muss das Recht der Eltern auf eine religiöse Erziehung und das Recht der Frauen auf die Ausübung ihrer religiösen Freiheiten aus meiner Sicht selbstverständlich akzeptiert werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Parteien! Wir überweisen diesen Antrag an die Ausschüsse und diskutieren dort in aller Ruhe und ohne Diskriminierungen, welche Lösung einerseits verfassungskonform ist und andererseits unterschiedlichen Rechtsgrundsätzen und Interessen einer pluralistischen Gesellschaft Rechnung trägt. Wir werden uns von der AfD-Fraktion nicht treiben lassen. Ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam Lösungen diskutieren werden, die verfassungskonform und gesellschaftlich auch akzeptiert sein werden. – Herzlichen Dank!

Kontakt