Reform des Mittleren Schulabschlusses

Regina Kittler

Hier findet die Panikmache aus den Zeiten vor der Abgeordnetenhauswahl und während der Koalitionsgespräche ihre Fortsetzung, frei nach dem Motto: Ein Gespenst geht um in den Schulen, das Gespenst von R2G.

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Aus dem Vorab-Wortprotokoll

6. Sitzung, 16. Februar 2017

lfd. Nr. 18:

a)   Qualitätsstrategie I: Mittleren Schulabschluss reformieren, um an den ISS die Abschlüsse und an den Gymnasien die Oberstufe zu stärken

Antrag der Fraktion der CDU
Drucksache 18/0133

b)   Qualitätsstrategie II: Echte gemeinsame Standards für ein qualitativ hochwertiges Abitur

Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU
Drucksache 18/0151

 

Regina Kittler (LINKE):

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich komme aus dem bildungsprivilegierten Marzahn-Hellersdorf

[Heiterkeit bei der LINKEN, der SPD
und den GRÜNEN]

– ursprünglich mal aus Prenzlauer Berg, aber schon vor langer Zeit, das gebe ich zu –, und ich glaube, dass ich keinen Wert darauf legen muss, von Ihnen Bildung zu erfahren.

[Beifall von Udo Wolf (LINKE), Tom Schreiber (SPD) und Tino Schopf (SPD)]

So, jetzt mal zu dem Antrag der CDU! Da kann ich mich bloß meiner Kollegin von der SPD anschließen und ausrufen: Rettet das Gymnasium, auch wenn es gar nicht in Gefahr ist! – Hier findet die Panikmache aus den Zeiten vor der Abgeordnetenhauswahl und während der Koalitionsgespräche ihre Fortsetzung, frei nach dem Motto: Ein Gespenst geht um in den Schulen, das Gespenst von R2G. Der vorliegende Antrag trägt mal wieder den Mief voriger Jahrhunderte in den Raum und versucht, die Schulreform von 2009 zurückzudrehen.

[Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

Was Sie in Punkt 1 vorschlagen, riecht nach qualifiziertem Hauptschulmodell, tut mir leid. Und so soll wahrscheinlich auch der MSA angepasst werden, das fordern Sie dann ja gleich mit. Und da haben dann auch alle die Teilnahmepflicht. Wieso das denn? – frage ich mich da erschrocken. Gälte dann nicht der Gleichheitsgrundsatz für die, die dann an der ISS ihr Abitur machen? Da soll schön säuberlich geklärt werden, dass die an der ISS doch bitte unter sich bleiben und den Weg in die Berufswelt einschlagen sollen. Als Brosamen wird den ISS noch maximal das berufliche Gymnasium rübergeschoben, damit sie Ruhe geben. Falls es Ihnen entgangen ist: Alle Schularten in Berlin führen bis zum Abitur. Das ist Gesetz.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Unter Punkt 2 des Antrages wollen Sie dann, dass die Eliten im Gymnasium nur so was wie eine Prüfungsklausur im ersten Halbjahr schreiben, und dann kriegen die Schülerinnen und Schüler den MSA mit Halbjahresabschluss verliehen – wenn es die Halbjahresnoten hergeben. Und wenn nicht, dann sollen diese Schülerinnen und Schüler in einer ISS extern wieder den MSA ablegen.

[Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

Na klar: Für die als Versager Gekennzeichneten sind dann wieder die ISS zuständig.

[Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

Und dann sollen wahrscheinlich die Kolleginnen und Kollegen an den ISS auch gleich die Prüfungsarbeiten korrigieren und eventuelle Nachprüfungen durchführen, oder wie? Reicht es Ihnen denn immer noch nicht, dass sie schon genügend Kraft und Mühe in den Aufbau der als „Versager“ nach dem Probejahr Kommenden stecken müssen?

[Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

Die Kolleginnen und Kollegen an den ISS werden sich herzlich bei Ihnen für diesen Vorschlag bedanken, da bin ich mir ganz sicher.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Ich habe ja eher das Gefühl, dass Sie die 10. Klasse im Gymnasium als zweites Probejahr einführen wollen.

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Frau Abgeordnete! Lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Krestel zu?

Regina Kittler (LINKE):

Na klar! 

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Herr Fresdorf ist es. – Aber Sie sitzen auf dem Platz von Herrn Krestel. Ist nicht immer zu übersehen. – Also, Herr Fresdorf, bitte, Sie haben das Wort!

Paul Fresdorf (FDP):

Vielen Dank, Frau Kollegin! – Haben Sie eben tatsächlich zweimal hintereinander Schüler, die Prüfungen nicht bestehen, Versager genannt? Ist das Ihr Ernst und Ihr Bild von Schülern, die Prüfungen nicht bestehen? 

Regina Kittler (LINKE):

Natürlich habe ich sie nicht so genannt, sondern als solche fühlen sich diese Schülerinnen und Schüler. Gehen Sie mal an eine ISS, wo manchmal eine ganze Klasse von denen, die das Probejahr am Gymnasium nicht bestehen, zusammengestellt wird.

[Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

Und dann unterhalten Sie sich mal mit der Schulleitung oder unterhalten Sie sich mal mit den Kolleginnen und Kollegen, die bis zu einem Jahr brauchen, um sie wieder aufzubauen und ihnen wieder Mut zu machen, sich nicht als Versagerin oder Versager zu fühlen. Genau das ist es. Und wenn Sie mir nicht glauben, dann gehen Sie bitte mal in die Schulen. Ich habe da über 30 Jahre Arbeit hinter mir. Ich weiß, wovon ich rede, das können Sie mir glauben.

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Es gibt eine weitere Zwischenfrage von Frau Bentele auf dem Platz von Herrn Freymark.

[Heiterkeit]

Regina Kittler (LINKE):

Nur zu!

Hildegard Bentele (CDU):

Frau Kittler! Sie haben sich auf ihre Vorrednerin bezogen und auch die Durchlässigkeit hochgehalten. Wie können Sie denn jetzt davon sprechen, dass jemand, der nach dem Probejahr in die 8. Klasse der Sekundarschule wechselt – –  Das ist doch ein Paradebeispiel von Durchlässigkeit und nicht von Versagen. 

Regina Kittler (LINKE):

Das ist ein Paradebeispiel für Abschieben von Verantwortlichkeit in die Resteschule.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Zu der wollen Sie auch genau nach diesem Antrag die Fortsetzung finden. Das ist es, Entschuldigung!

[Hildegard Bentele (CDU): Denken Sie mal dran,
welche Worte sie verwenden!]

Jetzt komme ich mal zu dem Dringlichkeitsantrag, wo ich die Dringlichkeit auch nicht nachvollziehen kann. Was wir hier erleben, ist das Wehklagen über den vermeintlichen Niveauverlust des Abiturs, weil der Notendurchschnitt vielleicht um 0,1 oder 0,2 verbessert wurde. Das könnte ja möglicherweise auch an verbesserten Lernmethoden liegen, an besserer Arbeit von Pädagoginnen und Pädagogen, an Reformpädagogik.

[Zurufe von der CDU und der AfD]

Ich glaube, dass die CDU auch hier ihr Elitedenken mit dem Mief voriger Jahrhunderte transportiert: Wenn mehr als ein Viertel der Schülerinnen und Schüler das Abitur ablegt – oh, dann ist das Abitur bestimmt viel zu leicht, denn alle können das ja gar nicht schaffen, das können ja eigentlich nur die Eliten.

 

Die Dringlichkeit ist auch deshalb nicht nachzuvollziehen, weil die Aufgaben längst fertig sind. Falls Sie das nicht wissen, sage ich es Ihnen: Mitte Januar mussten sie abgegeben werden. Sie sind jetzt in der Prüfung. Das ist auch ganz normal so. Die erste Deutschprüfung für das schriftliche Abitur wird am 25. April stattfinden. Insofern wollen Sie, die sonst immer den Schulfrieden wollen, jetzt das Chaos ins System bringen. Ich habe ganz viele Fragen zu diesen Anträgen, vor allem zu dem zweiten. Mal gucken, was wir dazu im Ausschuss machen.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD]

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