Vierundzwanzigster Tätigkeitsbericht des Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

36. Sitzung, 24. Januar 2019

Steffen Zillich (LINKE):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir behandeln den Jahresbericht 2017. Das ist sozusagen ein Übergangszeitraum gewesen – in den Berichtszeitraum fiel der Übergang von Martin Gutzeit zu Tom Sello als Beauftragter. Wir haben die Verdienste von Martin Gutzeit hier gewürdigt. Dennoch an dieser Stelle noch einmal Dank an Martin Gutzeit persönlich für seine langjährige, überragende Arbeit!

Namens meiner Fraktion auch Dank an Tom Sello und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter! Ich denke, man kann schon jetzt sagen, dass es ihm gelungen ist, seine Behörde auf neue Herausforderungen einzustellen, eigene und andere Punkte zu setzen.

Eine Frage muss der neue Beauftragte aber dem Gesetzgeber nicht mehr stellen, denn diese Frage hat dieses Haus beantwortet, nämlich die Frage, ob es fast 30 Jahre nach dem Ende der DDR noch einer solchen Behörde bedarf. Ich will aus Sicht meiner Fraktion die Gründe betonen, weshalb wir die Einrichtung dieser Behörde und die Arbeit des Beauftragten für richtig und notwendig halten, und dabei auch auf Punkte des Berichts eingehen – erstens: Erlebte Restriktionen und ihre Folgen sind nach wie vor präsent. Menschen leider immer noch darunter, und der daraus erwachsende Bedarf an Beratung und Unterstützung wird im Jahresbericht abermals deutlich. Der Respekt vor diesen Menschen verbietet einen Schlussstrich. Deshalb ist es auch dringend notwendig, die Regeln zur Rehabilitation und zur Entschädigung zu entfristen. Abgeordnetenhaus und Berliner Senat haben sich entsprechend positioniert. Es muss endlich ein positives Aufgreifen dieser Initiative auf Bundesebene geben. – Wenn Sie da innerhalb Ihrer Fraktion tätig werden können, Kollege Freymark, dann werden wir da hoffentlich erfolgreich sein. Ich denke, dass das tatsächlich notwendig ist, sehe aber auch die Chancen.

Aber es geht darüber hinaus auch darum, die Regeln daraufhin zu überprüfen, inwieweit bürokratische Hürden und lebensfremde Voraussetzungen Rehabilitation und Entschädigung verhindern. Ich empfehle tatsächlich die Lektüre dieses Berichts, weil hier im Einzelnen deutlich wird, um welche Fälle, um welche Einzelschicksale es dabei geht, die auch die Arbeit des Beauftragten prägen.

Zweitens. Geschichte und Erinnerung sind ein umkämpftes Feld. Der Kampf um Sichtweisen und Deutungen ist erheblich geprägt von Absichten und politischen Auseinandersetzungen im Hier und Jetzt. Instrumentalisierung findet statt. Gerade deshalb ist es aber so wichtig, dass diejenigen, die unter Repressionen und deren Folgen gelitten haben und leiden, einen verlässlichen Anlaufpunkt, einen Fürsprecher haben. Das ist die Aufgabe des Beauftragten, und das macht auch die Arbeit vieler geförderter Projekte aus.

Drittens: Gerade angesichts der politischen Überformung der Betrachtung der DDR, ihrer Geschichte und ihres Endes ist es wichtig, authentische Zeugnisse des Agierens der Opposition in der DDR aufzuarbeiten und für die Bildungsarbeit zugänglich zu machen. Hier liegt ein erheblicher Schwerpunkt der Bildungsarbeit.

Viertens: Gerade – es ist von vielen angesprochen worden – angesichts der Tatsache, dass sich die Diktatur und ihr Zusammenbrechen zeitlich immer weiter entfernen, muss Aufarbeitung und Bildungsarbeit die damit verbundene Erfahrung auch für diejenigen anbieten, die sie nicht selbst gemacht haben oder machen konnten. Gerade hier gibt es neue Herausforderungen, neue Tätigkeitsfelder. Natürlich ist auch die Aufklärungsarbeit über das Wirken des Ministeriums für Staatssicherheit im engeren Sinne weiterhin notwendig – Aufklärung über die Besonderheiten der Arbeit dieses Geheimdienstes in Hinblick auf den Grad der Durchdringung und Überwachung der Gesellschaft, in Hinblick auf die Verflechtungen mit dem Sicherheitsapparat und dem Machtapparat insgesamt, in Hinblick auf die faktische Abwesenheit von politischem, öffentlichem und rechtlichen Gegengewicht, und daher auch in Hinblick auf die möglichen und tatsächlichen Folgen der Tätigkeit des MfS für die Menschen.

Aber natürlich bietet das ebenso die Chance – schließlich war das MfS auch ein Geheimdienst, und seine friedliche Auflösung ermöglicht es –, seine Strukturen und Wirkungsweise jetzt zu betrachten und daraus – aus den Gefahren des klandestinen und unkontrollierten Agierens von Sicherheitsbehörden für eine offene und demokratische Gesellschaft – für heute zu lernen.

Dieses Parlament hat sich entschieden, die Arbeit des Beauftragten fortzuführen, zu entfristen, auszuweiten und zu stärken. Wir haben mehr Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt. Das ist auch angemessen und notwendig angesichts der Vorhaben, die hier im Einzelnen schon benannt und diskutiert worden sind.

Ich will noch einmal hervorheben, dass gerade das Jubiläum 30 Jahre Friedliche Revolution – das Jubiläum der Friedlichen Revolution der Selbstbefreiung, wie Sie es genannt haben – aus meiner Sicht neben vielen anderen Aufgaben auch die Aufgabe hat, die Erfahrung von Selbstermächtigung, von Mut und Demokratisierung nicht unterzugehen zu lassen im Jubel über die Vereinigung oder in den Erfahrungen existenzieller Verunsicherung und Benachteiligung der Menschen im Osten, sondern an dieses Erleben, an diese Revolution zu erinnern.

Insofern herzlichen Dank noch einmal für Ihre Arbeit! –Ich denke, gerade mittel- und langfristig gibt es noch eine ganze Reihe von Dingen zu tun, über die wir hier geredet haben und weiter reden werden. Ich hoffe, es geht in einer Art und Weise weiter, wie es auch in den letzten beiden Jahren geschehen ist. Ich glaube, wir haben hier mehr hinbekommen als in vielen Jahren davor.