Wahlalter für Bürgerdeputierte auf 16 Jahre gesenkt

Michael Efler
Demokratie und BürgerbeteiligungMichael Efler

64. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 1. Oktober 2020

Zu "Gesetz zur Senkung der Altersgrenze bei Bürgerdeputierten" (Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen)

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion der CDU, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Drucksache 18/2677

Dr. Michael Efler (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geschehen noch Wunder in diesem Haus: Rot-Rot-Grün bringt zusammen mit der CDU-Faktion einen gemeinsamen Gesetzentwurf ein und beschließt ihn auch hoffentlich gleich. Das ist, glaube ich, alles andere als selbstverständlich, gerade angesichts der sich hier immer stärker abzeichnenden Wahlkampfkulisse. Ich finde, das ist ein positives Beispiel für eine demokratische parlamentarische Kultur – gerne mehr davon!

Ich hoffe, es ist nicht zu schlimm für Sie – CDU-Faktion –, mit dem Linksblock bei einer Sachfrage mal zusammenzuarbeiten. Ich kann Ihnen versichern: Es bleiben noch genügend Fragen, die uns trennen.

Zur Sache selbst, das ist mehr als übersichtlich: Wir senken das Wahlalter für Bürgerdeputierte auf 16 Jahre. Es sind schon sehr gute Argumente, vor allen Dingen von Kollege Lux und Kollege Dörstelmann, vorgetragen worden, das will ich gar nicht wiederholen. Ich will stattdessen das Bundesverfassungsgericht ins Spiel bringen, das im Grunde nicht diejenigen in der Begründungspflicht sieht, die das Wahlrecht erweitern, sondern diejenigen, die eine Erweiterung ablehnen. Es gibt einen Betroffenheitsgrundsatz, dass diejenigen, die von politischen Entscheidungen betroffen sind, das Recht haben, an ihnen mitzuwirken. Das steht tatsächlich – natürlich etwas juristischer ausformuliert – in mehreren Urteilen des Bundesverfassungsgerichts.

Ich habe sowohl heute als auch in den Ausschussberatungen keine guten Gegenargumente gehört. Um gleich einen Punkt aufzugreifen – den Dauerbrenner Volljährigkeit, der immer wieder kommt: Die Volljährigkeit, an die angeblich alles anknüpfen würde, ist es ganz sicher nicht, denn jetzt schon gibt es eine ganze Reihe von Rechten, die von der Volljährigkeit abgekoppelt sind. Ich will nur einige nennen: die uneingeschränkte Religionsmündigkeit ab 14 Jahren, die eingeschränkte, aber immerhin bestehende Strafmündigkeit ab 14 Jahren, die Heiratsfähigkeit, das Recht, eine Ausbildung zu beginnen oder seinen Namen zu ändern. All dies und viel mehr knüpft bereits vor dem 18. Lebensjahr an; das mit der Volljährigkeit ist längst eine Mär und kein Argument gegen eine Senkung des passiven Wahlalters für Bürgerdeputierte.

Warum Vertreterinnen und Vertreter der AfD und leider auch der FDP – zumindest bei den bisherigen Beratungen; ich bin gespannt, was gleich kommt – 16- und 17-Jährigen die Sachkenntnis für die Arbeit in den BVV-Ausschüssen pauschal absprechen – das wurde von Ihnen, Herr Bronson, gerade wieder gemacht –, erschließt sich mir nicht. Das ist auch völlig weltfremd. Ich glaube nicht, dass irgendeine BVV-Fraktion einen jungen Menschen zum Bürgerdeputierten wählt, der keinerlei Ahnung von der Thematik des betreffenden Ausschusses hat. Das ist völlig irreal, das würde sich jede BVV-Fraktion gut überlegen und jemanden benennen, der sich mit der Thematik schon einigermaßen beschäftigt hat. Wenn nicht, dann wird man sich halt einarbeiten. Auch bei mir war es so – und ich nehme an, dass es bei dem einen oder anderen, der neu in dieses Parlament gewählt worden ist, auch so war –, dass man sich einarbeiten musste. Warum sprechen Sie jungen Menschen diese Möglichkeit pauschal ab? – Ich verstehe das nicht.

So weit, so gut.

Angesprochen wurde es schon von Herrn Lux: Auch wir wollen weitergehen und fordern als Linke schon sehr lange die Senkung des aktiven Wahlalters auf 16 Jahre, auch für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Ich sage es ganz deutlich: Mir ist es völlig egal, welche Wahlergebnisse dabei herauskommen. Es ist eine grundsätzliche, prinzipielle Frage, und es geht nicht darum – mir jedenfalls nicht –, Wählerinnen und Wähler zu erhaschen. Ein solches instrumentelles Verhältnis zum Wahlrecht ist gefährlich.

Ich finde aber, liebe CDU-Faktion, liebe Frau Demirbüken-Wegner: Wenn wir es 16- und 17-Jährigen zutrauen, durchaus komplexe Fragen der Kommunalpolitik in BVV-Ausschüssen zu bewerten, sie mitzugestalten und sogar stimmberechtigt zu sein, dann müssen wir Ihnen doch auch zutrauen, eine einfache Entscheidung für eine politische Partei oder einen Kandidaten zu treffen. Das ist doch ein Widerspruch zu sagen: Auf der BVV-Ebene dürft ihr mitarbeiten, dürft in den Ausschüssen dabei sein und sogar abstimmen, aber bei der Landesebene, wo ihr nur ein Kreuz für eine Partei machen könnt, sollt ihr das nicht dürfen. – Diesen Widerspruch werden Sie auf Dauer nicht aufrechterhalten können.

Deswegen: Denken Sie über das Thema noch mal nach, und machen Sie mit uns zusammen den Weg frei für eine entsprechende Änderung der Verfassung von Berlin!

Wo ich Ihnen aber völlig recht gebe: Begleitet werden sollte das von einer Offensive der politischen Bildungsarbeit in Schulen. Ich denke, da kann und sollte noch mehr passieren, denn natürlich macht es Sinn, dass sich die politischen Parteien, aber durchaus auch ein breites, aber demokratisches Spektrum von Vereinen und Initiativen in den Schulen präsentieren können, dass man mit den Schülerinnen und Schülern über Politik diskutiert.

Ich glaube, dann wird es interessant, dann wird es spannend. Das regt die jungen Menschen dann auch zur Wahlteilnahme an. Das könnte man durchaus miteinander verbinden. Die Chance, dass sich mehr Menschen für die Res publica, also für die öffentlichen Angelegenheiten, interessieren, sollten wir nicht verspielen. Ich hoffe, wir schaffen das noch, wir kriegen das noch hin. Das nützt der gesamten Demokratie, es wäre ein schönes Zeichen; daran sollten wir alle gemeinsam ein Interesse haben. – Vielen Dank!

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