Quelle: rbb-online.de

Untersuchungsausschuss zum rechten Terror in Neukölln kommt

"Wenn Menschen, die unsere Demokratie verteidigen, sich von unserem Gemeinwesen, vom Staat nicht geschützt fühlen, ist das verheerend. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Und das ist auch der wichtigste Grund, warum wir diesen Untersuchungsausschuss brauchen." sagt Niklas Schrader.

10. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 07.04.2022

Zu "Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zur Untersuchung des Ermittlungsvorgehens im Zusammenhang mit der Aufklärung der im Zeitraum von 2009 bis 2021 erfolgten rechtsextremistischen Straftatenserie in Neukölln" (Priorität Linke)

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke Drucksache 19/0279

Niklas Schrader (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wem soll ich denn noch vertrauen? Diese Frage stellte die Neuköllnerin Christiane Schott in einem Fernsehbeitrag. Familie Schott ist ins Visier von Neonazis geraten, weil sie keine rechte Wahlwerbung im Briefkasten haben wollte. Es folgten über Jahre Steinwürfe ins Fenster, Bedrohungen an der Hauswand, gesprengte Briefkästen und Ähnliches. Das sind nur wenige von den vielen nicht aufgeklärten Taten der Neuköllner Serie. Wem soll ich noch vertrauen? Diese Frage, finde ich, spiegelt sehr gut die Verzweiflung der Betroffenen wieder, die die Erfahrung gemacht haben, dass sie sich auf die Sicherheitsbehörden nicht verlassen können. Das hat Gründe. Das kommt nicht einfach so. Frau Schotts Nachbar ist der Polizist Detlef M. Er war in einer Chatgruppe von AfD-Mitglie­dern, zu denen auch ein Hauptverdächtiger der Tatserie gehört. Über diesen Chat sind polizeiliche Informationen geflossen, möglicherweise auch mit Bezug zu der Neuköllner Serie. Wenn Menschen, die unsere Demokratie verteidigen, sich von unserem Gemeinwesen, von unserem Staat nicht geschützt fühlen, ist das verheerend. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Das ist für mich auch der wichtigste Grund, warum wir diesen Untersuchungsausschuss brauchen.

Gründe gibt es leider viele, nicht nur diesen. Ein Neuköllner Beamter steht wegen einer rassistischen Gewalttat vor Gericht. Ein Beamter des LKA verkehrt in derselben Kneipe wie ein Hauptverdächtiger. Ein ermittelnder Staatsanwalt äußert möglicherweise Sympathien für Tatverdächtige. Der Verfassungsschutz kriegt mit, wie Neonazis unseren Kollegen Ferat Koçak ausspähen, aber der wird nicht informiert und auch nicht geschützt. Da muss ich sagen, es ist keine Überraschung, dass Zweifel an der Integrität der Sicherheitsbehörden bestehen, dass das Vertrauen weg ist. Deshalb müssen diese Fälle auf den Tisch und unabhängig untersucht werden.

Mich beeindruckt immer wieder, dass diese Menschen in Neukölln, die Antifaschistinnen und Antifaschisten trotz Einschüchterung, trotz fehlendem Vertrauen immer weitergemacht haben. Sie haben sich zusammengetan. Sie sind laut. Sie sind aktiv. Für diesen Mut, für diese Zivilcourage gebührt Ihnen allergrößter Respekt und Solidarität.

Sie haben auch immer wieder hartnäckig auf Missstände, auf die fehlende Aufklärung aufmerksam gemacht. Diesem langjährigen Druck ist es überhaupt nur zu verdanken, dass wir heute an dieser Stelle endlich über einen Einsetzungsantrag für einen Untersuchungsausschuss reden können. Danke an die vielen Betroffenen und die Unterstützerinnen und Unterstützer in Neukölln, in Berlin, die das erkämpft haben!

Wir haben als Koalition die vielen Fragen, die an uns herangetragen worden sind, aufgenommen und einen breit angelegten Untersuchungsauftrag eingebracht. Auch noch einmal vielen Dank an die Kollegen von der SPD und den Grünen, dass das so konstruktiv gelaufen ist!

Wir werden die Arbeit aller beteiligten Behörden – Polizei, Staatsanwaltschaft, Verfassungsschutz – und ihr Zusammenwirken untersuchen. Wir werden es nicht so machen wie schon so oft in Deutschland, dass wir nur einzelne Täter und Tatverdächtige beleuchten. Wir werden uns Netzwerke anschauen. Wir werden die Untersuchung auch nicht erst mit dem Zeitpunkt beginnen, wo schon die ersten Autos gebrannt haben, sondern wir werden untersuchen, wie es dazu kam, dass die Täter und ihr Umfeld sich überhaupt erst so sicher gefühlt haben.

Da müssen wir vieles zusammentragen. Wir fangen nicht bei null an. Es gab schon diverse behördeninterne Sonderkommissionen. Einige Abgeordnete haben versucht, immer wieder nachzubohren und Dinge ans Licht zu bringen. Aber vor allem durch investigativen Journalismus und durch antifaschistische Recherche ist vieles erst bekannt geworden, das sonst im Verborgenen geblieben wäre. Wir haben uns vorgenommen, dieses große Wissen, vor allem aus der Zivilgesellschaft, aufzunehmen, in den Untersuchungsausschuss einzubeziehen und Betroffene zu Wort kommen zu lassen. Wir können uns jetzt erstmals mit den Möglichkeiten des Untersuchungsausschusses, also Beweiserhebung, Akteneinsicht, Zeugenbefragungen und anderem, ein umfassendes und unabhängiges Bild von dem ganzen Komplex machen. Die Chance haben wir lange genug liegengelassen, und jetzt müssen wir sie nutzen.

Wir erwarten dabei vom Senat eine konstruktive Zusammenarbeit und die bestmögliche Transparenz. Das ist nicht selbstverständlich. Deswegen sage ich das hier.

Ich saß bei einer Veranstaltung in Rudow mit der Regierenden Bürgermeisterin, die jetzt leider nicht da ist. Damals war sie noch Kandidatin. Sie hat gesagt, sie unterstützt die Aufklärung durch einen Untersuchungsausschuss. Das haben alle begrüßt. Ich fand es auch super. Aber ich sage noch einmal: Die Menschen haben sich das gemerkt. Das wird nicht unbedingt immer eine angenehme Veranstaltung für die Behörden. Da kommen Sachen auf den Tisch, die auch unangenehm sind. Aber nur, wenn wirklich alles auf den Tisch kommt, wenn Missstände offen und ehrlich aufgearbeitet werden, haben wir die Chance, die Arbeit der Behörden zu verbessern. Und nur dann haben wir die Chance, das Vertrauen der Betroffenen, ihrer Angehörigen, aller Demokratinnen und Demokraten zurückzugewinnen. Daran haben wir alle ein Interesse. Nutzen wir diese Chance! Ich freue mich darauf. – Danke!