Zugang zu Strom und Wärme ist Menschenrecht

ArmutEnergie und Klima

"Zugang zu Strom und Gas ist für uns ein Menschenrecht. Menschen, die von Strom und Gas abgeschnitten werden, verlieren die Möglichkeit, sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Ich weiß nicht, wer sich das hier überhaupt vorstellen kann, was das bedeutet." sagt der energiepolitische Sprecher Alexander King.

9. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 24.03.2022

Zur Aktuellen Stunde

Dr. Alexander King (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Versorgung der Menschen mit Strom und Wärme und die Sicherstellung ihrer Mobilität, das sind die sozialen Fragen, die sich derzeit in Deutschland und damit auch in Berlin stellen, und das ist auch die vordringliche Aufgabe der Politik. Das gilt gerade jetzt, wo wir nicht wissen, was eigentlich noch auf uns zukommt. Russland hat angekündigt, für die Energielieferung nur noch Rubel zu akzeptieren. Wir haben aber gar keine Rubel und können sie bei der russischen Zentralbank auch nicht kaufen, weil sie auf unserer Sanktionsliste steht. Eine ungewisse, schwierige Situation. Da erwarten die Bürger von der Politik Schutz.

Was nicht Aufgabe der Politik ist und was keiner braucht, sind Verzichtsappelle und Durchhalteparolen à la „frieren für die Freiheit“, wie wir sie in der letzten Zeit von Großverdienern aus der CDU gehört haben, von Gauck über Merz bis von der Leyen.

Das ist sicher nicht das, was die Menschen jetzt erwarten. Ohnehin gibt es in Deutschland und insbesondere auch in Berlin bereits viele Menschen, die im Winter frieren, weil sie ihre Heizung gar nicht mehr aufdrehen. In einer aktuellen Umfrage gaben vier von fünf Befragten an, mit Sorge ihrer nächsten Heizkostenabrechnung entgegen zu sehen. Das ist ein gesellschaftlicher Skandal ohne gleichen in einem reichen Land wie Deutschland.

Was wir allerdings auch nicht brauchen, ist ein Umgang mit dem Thema, der die Sorgen der Menschen nur ausbeutet, ohne konkreten Anspruch auf Handeln, bzw. ein Umgang, der das konkrete Handeln möglichst weit von sich wegschiebt. Das haben wir hier leider heute auch gehört.

Energiesicherheit für alle, das dürfen die Bürger erwarten, aber da geht es auch, das stimmt, aber sicher nicht nur und auch nicht in erster Linie um Steuerfragen. Da gibt es viele Handlungsfelder. Das Allererste, was da auf dem Tisch liegt, ist natürlich, und dazu haben wir heute schon viel gehört, der Energiemix, die Energiesouveränität. Dass wir in Deutschland jetzt in eine solch prekäre Situation geraten sind, das ist doch nicht die Folge von zu viel, sondern von zu wenig Energiewende.

Jetzt war der Bundeswirtschaftsminister in Katar und in den Vereinigten Arabischen Emiraten, um Energiepartnerschaften abzuschließen. Die Absicht, das System Putin und den Krieg in der Ukraine nicht weiterzufinanzieren, ist eine gute Absicht. Unsere neuen Energiepartner sind aber beteiligt am grausamen Krieg im Jemen mit bereits 300 000 Toten und Millionen von Flüchtlingen. Und Katar finanziert islamistische Gruppen einschließlich der Hamas.

Das heißt, wir sehen ganz klar: Mit der fossilen Energieversorgung kommen wir immer nur von einem Konflikt in den nächsten. Wir müssen raus aus diesem Dilemma, und das geht nur mit einem beschleunigten Umstieg auf erneuerbare und vor allem dezentrale Energien, weil nur die uns unabhängig machen, auch bezüglich der Preise.

Zweitens: Wir müssen Märkte besser regulieren. Wir erleben jetzt an den Tankstellen, dass es außer dem bösen deutschen Steuerstaat auch noch andere Akteure auf dem Energiemarkt gibt, die den Verbrauchern in die Tasche greifen wollen.

Wir haben es schon gehört: Ja, Millionen Menschen in Deutschland sind auf ihr Auto angewiesen, auch Zigtausend Berlinerinnen und Berliner, und die Tankpreise sind kein Luxusproblem. Wer in der Innenstadt wohnt, wenn er sich das noch leisten kann, wer vielleicht mit dem Fahrrad ins Büro oder ins Abgeordnetenhaus fährt, der hat vielleicht einen entspannteren Blick auf die Tankpreise als die Leute in meinem Wahlkreis in Lichtenrade. Insofern ist die Mobilitätswende zentral für die Frage, die wir hier diskutieren. Zugleich bleibt es aber natürlich skandalös und liegt eben nicht primär an den Steuern, dass die Preise bis vor einer Woche auf weit über 2 Euro angestiegen sind, während die Rohölpreise an den Märkten längst wieder sanken.

Die Autofahrer gucken in die Röhre, die Mineralölkonzerne machen sich die Taschen voll und spekulieren auf fette Extragewinne. Deswegen stimme ich dem Kollegen Taschner natürlich zu: Es ist gut, dass das Bundeskartellamt hier tätig wird und dass dem Verdacht auf Preisabsprachen nachgegangen wird. Da muss hart durchgegriffen werden.

Drittens: Wenn wir über Energiearmut sprechen, müssen wir auch über Armut in Deutschland insgesamt sprechen. Die Menschen sind doch umso stärker von steigenden Energiepreisen betroffen, je weniger sie dem entgegensetzen können. Energiearmut gab es in Deutschland und in Berlin auch schon vor dem Preisschock an den Tankstellen und vor dem Krieg in der Ukraine. Wir hatten vorletzte Woche schon darüber gesprochen: 90 000 Berliner Haushalte haben im vergangenen Jahr eine Sperrankündigung für Strom, 100 000 eine Sperrankündigung für Gas erhalten, deutlich mehr, als im Jahr zuvor. Es ist ein Schock für die Betroffenen, die so einen Brief bekommen. In 12 550 Fällen kam es dann auch wirklich dazu, dass den Haushalten der Strom abgedreht wurde.

Für uns Linke ist klar: Der Zugang zu Strom und Gas ist für uns ein Menschenrecht. Menschen, die von Strom und Gas abgeschnitten werden, verlieren die Möglichkeit, sich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen. Ich weiß nicht, wer sich hier überhaupt vorstellen kann, was das bedeutet. Das verletzt die Menschenwürde, und wir haben deswegen im Koalitionsvertrag festgelegt, das wiederhole ich sehr gerne: Berlin wird sich im Bund für ein Verbot von Stromsperren einsetzen.

Unsere Fraktion – und auch unsere Koalition – sucht ständig zusammen mit engagierten Bürgern, Verbänden und Vereinen konkrete Lösungen. Und wir finden sie auch. Wir haben zusammen die Energieschuldenberatung auf den Weg gebracht, mit der Verbraucherzentrale. Wir haben in Berlin das Forum Energiearmut mit den Bezirken, dem Senat, den Verbraucherschützern, den Versorgern eingerichtet. Beide Instrumente sind zentral, wenn es darum geht, den Leuten, die in Zahlungsnot geraten, wirklich zu helfen, statt nur darüber zu reden.

Von den Erhöhungen sind natürlich nicht nur einkommensarme Verbraucher betroffen, aber sie doch am stärksten – Grundsicherungsbezieher, Rentner mit kleiner Rente oder prekär Beschäftigte –, währenddessen der Hartz-IV-Satz zuletzt nur um 0,7 Prozent, also um ganze 3 Euro, angehoben wurde. Das bedeutet faktisch eine massive Kürzung der Bezüge. Wer als ALG-II-Bezieher von den Regelsätzen die Stromkosten nicht bezahlen kann, spart sie sich also buchstäblich vom Munde ab. Wir brauchen jetzt sofort einen Anstieg des Regelsatzes beim ALG II auf 650 Euro.

Auch das gehört dazu: Die Einkommensungleichheit in Deutschland nimmt zu. Das hat gerade erst wieder eine Studie des Ifo-Instituts dargelegt. 12 Euro Mindestlohn, das ist jetzt ein wichtiger Schritt. Berlin geht mit dem neuen Landesmindestlohn noch weiter; darüber werden wir heute noch sprechen. Darüber bin ich sehr froh, denn auch das ist ein Beitrag gegen Energiearmut.

Zusätzliche Entlastungen, das wurde angesprochen, zu dem zweiten Paket, das jetzt im Bund vorbereitet wird, werden wir wahrscheinlich brauchen. Noch kennen wir das zweite Paket nicht, heute um 11.00 Uhr soll es vorgestellt werden, aber es lohnt sich sicher, auch noch mal Bezug auf die Initiativen der Bundesländer im Bundesrat zu nehmen. Ich möchte ein paar Punkte hervorheben, die wir als Berliner dort unterstützen sollten. Das ist zum einen natürlich die Absenkung der Steuerlast auf Energieprodukte, insbesondere die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Energie und Kraftstoffe auf 7 Prozent. Die Linke unterstützt das.

Dann, als Nächstes: Der Heizkostenzuschuss soll verdoppelt werden. Das ist okay, das ist Fortschritt.  Aber wir bleiben dabei: Der Zuschuss muss auch an einkommensschwache Haushalte ohne Sozialleistungsbezug ausgezahlt werden.

Nächster Punkt: Wir brauchen eine realistische Berechnung von Wohngeld, Grundsicherung und BAföG-Leis­tungen im Hinblick auf die realen und zu erwartenden Energiekosten. Der Bund muss die daraus entstehenden Mehrbelastungen übernehmen. Wir brauchen auch Regelungen zur Verstetigung von Homeofficearbeit, auch aus Energiegründen, dort wo es möglich ist und wo es von den Arbeitnehmern auch gewünscht wird, um Wege von und zu der Arbeitsstelle zu ersparen.

Vierter Punkt: Das Energiewirtschaftsrecht muss daraufhin überprüft werden, wie Verbraucher künftig besser vor den Folgen unseriöser Angebote und Kündigungen durch sogenannte Billiganbieter geschützt werden können.

In Berlin waren 20 000 Haushalte davon betroffen, die plötzlich bei der GASAG vor der Tür standen und dann in einen sehr teuren Ersatztarif wechseln mussten. – All das liegt im Bundesrat auf dem Tisch. Das sind sinnvolle und notwendige Ergänzungen zu dem, was die Ampel jetzt in ihrem zweiten Paket plant, und wir sollten das unterstützen.

Fünfter Punkt: Wir brauchen jetzt als Lehre aus dem, was sich gerade abspielt, nicht weniger, sondern mehr Staat in der Energieversorgung.

[Lachen bei der FDP]

– Sie lachen, das habe ich mir schon gedacht, es ist aber so! – Wir sehen doch jetzt das krasse Marktversagen, gerade mit dem Ausscheiden der vielen Anbieter, mit dem markt- und börsengetriebenen Preisanstieg, mit den leeren Speichern. Das ist doch alles eine Folge der jahrzehntelangen Liberalisierung der Energiepolitik. Deswegen brauchen wir mehr Staat. Die Versorgung der Menschen mit Energie ist eine gesellschaftlich hochrelevante Aufgabe. Deswegen wollen wir auf Landesebene die schnelle Rekommunalisierung der Gas- und Fernwärmeversorgung.

[Zuruf von Felix Reifschneider (FDP)]

– Natürlich! – Wir brauchen auf Bundesebene die Einrichtung eines Energiepreisdeckels für Privathaushalte mit staatlich garantierten und im Zweifelsfall auch subventionierten Höchstpreisen für ein Grundkontingent des Energieverbrauchs.

Und auf EU-Ebene brauchen wir eine Neuordnung der Energiemärkte. Das zeichnet sich in der Kommission teilweise schon ab. Ein paar gute Vorschläge sind jetzt im Gespräch: Preiskontrollen, die Besteuerung von Extragewinnen. Aber andere Baustellen bleiben wie das neoliberale Grenzkostenmodell, das maßgeblich zur Preiserhöhung beiträgt. Die ganze neoliberale Ordnung im Energiesektor, die uns so verwundbar gemacht hat, auch gegenüber Gazprom, muss umgestaltet werden.

Letzter Punkt: Wir brauchen eine Änderung des Grundgesetzes, aber nicht für die Verankerung einer Aufrüstungspflicht – völlig absurd, wie das jetzt geplant ist –, sondern mit der Festschreibung des Rechts auf bezahlbaren Zugang zur Energieversorgung für alle Menschen.