Zwanzigstes Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes

Wir haben hier schon oft über Videoüberwachung diskutiert. Was hat sich jetzt geändert? – Es gab einen grausamen Anschlag in Berlin. Wenn wir uns fragen, ob die Konsequenz daraus der allgemeine Ausbau von Videoüberwachung sein muss, dann lautet die Antwort: Nein! Terroristen lassen sich dadurch nicht abschrecken.

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Aus dem Vorab-Wortprotokoll

4. Sitzung, 12. Januar 2017

 

lfd. Nr. 4.1:

Priorität der Fraktion der CDU

Tagesordnungspunkt 7

Zwanzigstes Gesetz zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes

Antrag der Fraktion der CDU
Drucksache 18/0057

Erste Lesung

hierzu:

Änderungsantrag der AfD-Fraktion
Drucksache 18/0057-1

Vizepräsidentin Cornelia Seibeld:

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat der Kollege Schrader das Wort. – Bitte schön!


Niklas Schrader (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben hier schon oft über Videoüberwachung diskutiert. Was hat sich jetzt geändert? – Es gab einen grausamen Anschlag in Berlin. Wenn wir uns fragen, ob die Konsequenz daraus der allgemeine Ausbau von Videoüberwachung sein muss, dann lautet die Antwort: Nein! Terroristen lassen sich dadurch nicht abschrecken; ich glaube da sind wir uns alle – oder fast alle – einig.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Es geht nicht um
Abschreckung!]

Im Gegenteil! Sie suchen die maximale Öffentlichkeit, um Angst und Schrecken zu verbreiten, da hatte Klaus Lederer recht, wenn er darauf hinweist.

[Beifall bei der LINKEN  –
Karsten Woldeit (AfD): Blödsinn! –
Frank-Christian Hansel (AfD): Ist doch lächerlich!]

Auch die Ergreifung des Attentäters ist durch eine ganz gewöhnliche, klassische Polizeikontrolle geschehen. Wenn also einige meinen, das wäre nun der Grund, um genau jetzt nach dauerhafter Videoüberwachung auf öffentlichen Straßen und Plätzen zu rufen, dann ist das nicht nur vollkommen an der Sache vorbei, es ist auch der übliche Reflex bei vielen sogenannten Sicherheitspolitikern, im Rückenwind einer aufgebrachten Debatte zu versuchen, die angestaubten Forderungen nach härteren Gesetzen wieder in den politischen Ring zu werfen.

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Marcel Luthe (FDP)]

Und gerade bei Ihnen von der CDU ist das so. Fünf Jahre lang hat Ihr Innensenator nichts auf die Reihe gekriegt. Auf den letzten Drücker hat er hier einen mangelhaften Gesetzentwurf eingebracht und ist damit auf die Nase gefallen. Jetzt bringen Sie genau diesen Entwurf noch mal ein und zeigen mit dem Finger auf andere. Das ist schon ziemlich bizarr, muss ich sagen.

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Frank Zimmermann (SPD)
und Benedikt Lux (GRÜNE)]

Einer der schlimmsten Scharfmacher ist leider unser Bundesinnenminister. Herr de Maizière hat gesagt:

Datenschutz ist schön, aber in Krisenzeiten hat Sicherheit Vorrang.

[Beifall bei der AfD –
Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Diese Einstellung regt mich wirklich ein bisschen auf, nach dem Motto: Grundrechte sind so ein Spielzeug, ein Luxusproblem für schöne Zeiten.

[Zuruf von der AfD]

Jetzt gab es einen Anschlag, und jetzt sollen diese Datenschützer mal schön die Klappe halten und uns nicht ins Handwerk pfuschen. – Das hat mit freiheitlichen Werten nichts mehr zu tun, und unser Grundgesetz wird damit auch nicht verteidigt.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

So lässt man die Terroristen gewinnen.

Jetzt nehmen wir den Anschlag beiseite, man muss die Dinge ja trennen:

[Heiko Melzer (CDU): Das kann doch
unmöglich Ihr Ernst sein!]

Sie behaupten in Ihrem Antrag, mit Videoüberwachung könne man kriminalitätsbelastete Orte allgemein sicherer machen. Über Sie rechts außen will ich gar nicht reden. Sie wollen ja die gesamte Stadt zu einem gefährlichen Ort erklären und damit die flächendeckende Videoüberwachung ermöglichen. Das ist wirklich jenseits von Gut und Böse und wird auch durch Ihre wirre Argumentation nicht besser.

[Zuruf von der AfD]

Ich sage Ihnen, was die Stadt sicherer macht, man muss es ja leider immer wieder sagen:

[Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Wenn wir es schaffen, die Polizei so auszustatten, dass sie im öffentlichen Raum präsenter sein kann, wenn es mehr Personal im ÖPNV gibt, das eingreifen kann, wenn wir an bestimmten Orten mobile Wachen einrichten, auf all das haben wir uns geeinigt, wenn wir die Arbeitsbedingungen bei der Polizei so verbessern, dass sie einen funktionierenden Digitalfunk hat, dass ein ordentliches Einsatz- und Schießtraining stattfindet und dass sie ordentlich besoldet wird, dann ist das ein größerer Gewinn für die Sicherheit, als Ihnen Gesetzesverschärfungen jemals bringen können.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN
und bei der FDP]

Wenn Sie belegen wollen, dass die dauerhafte Videoüberwachung das bessere Instrument ist, dann müssen Sie schon mehr vorlegen als ein paar Einzelfälle. Natürlich gibt es Straftaten, bei denen die Bilder zur Ergreifung des Täters beitragen. Das bestreitet niemand. Bei einzelnen Veranstaltungen oder ähnlichen Anlässen, wenn es eine Gefahrenprognose der Polizei gibt, ein Sicherheitskonzept, dann kann man prüfen, ob das temporär Sinn macht. Das gibt das Gesetz schon her. Aber wenn es um generelle Überwachungsmaßnahmen geht, um Maßnahmen, die die Grundrechte von uns allen einschränken, dann ist die einzelne Straftat kein guter Ratgeber. Dann müssen wir uns schon fragen, ob die Videoüberwachung nachweislich die Kriminalitätsrate senkt, ob dadurch insgesamt weniger Straftaten passieren. Nach all dem, was wir wissen, nehmen wir London, nehmen wir Potsdam oder andere Städte, dann ist das nicht der Fall. Das hat nichts mit Ideologie zu tun. Es geht uns hier um eine rationale Sicherheitspolitik, die sich an Fakten orientiert. Wir wollen Sicherheit nicht nur vortäuschen, wir wollen Sicherheit schaffen. Deswegen werden wir solchen Gesetzesverschärfungen nicht zustimmen. So einfach ist das. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN –
Zuruf von der AfD]