Berliner Arbeitsmarkt im Aufschwung

ArbeitKatina Schubert

28. Sitzung, 14. Juni

Katina Schubert (LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Berlin ist gut. Die Arbeitslosenquote liegt nur noch bei 8,1 Prozent, Tendenz sinkend. Bei den sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen ist die Tendenz steigend und das schon seit rot-roten Zeiten. Die Zahl der offenen Stellen steigt.

Die Zahl der Bedarfsgemeinschaften in Hartz IV ist sinkend und das, obwohl mehr Geflüchtete in der Stadt sind und leistungsberechtigt sind. Die Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter Geflüchteter ist steigend. Die Zahl der Schulabbrecherinnen und der Schulabbrecher ist sinkend. Das alles sind Ergebnisse harter Arbeit der Beschäftigten in Berlin, der Unternehmen, des Senats und der Bezirke, die Wirtschaftsförderung gewähren und Beschäftigungspolitik machen.

Doch es ist noch lange nicht alles gut. Wir haben noch viel zu tun. Die Statistik sagt, dass noch rund 153 000 Berlinerinnen und Berliner erwerbslos sind. Das sind natürlich 153 000 zu viel. Die Statistik schummelt auch, wenn all diejenigen Erwerbslosen, die z. B. in Ein-Euro-Jobs, Weiterbildungen, die älter als 58 Jahre alt und länger als sechs Wochen krank sind, nicht mehr mitgezählt werden. Real haben wir immer noch über 220 000 erwerbslose Menschen, und das ist auch für uns, für die rot-rot-grüne Koalition, für den Senat und für alle Akteure in diesem Bereich Ansporn und Auftrag, weiter daran zu arbeiten, auch die versteckte Arbeitslosigkeit in diesem Land abzubauen.

38 Prozent der Beschäftigten in Berlin arbeiten in sogenannten atypischen und damit auch prekären Beschäftigungsverhältnissen: Minijobs, Leiharbeit, befristete Arbeitsverträge, Teilzeitarbeit. Das betrifft überwiegend Frauen. Über 100 000 von ihnen müssen aufstocken, das heißt, sie müssen Hartz IV beziehen, obwohl sie arbeiten gehen. Arm trotz Arbeit – das ist auch ein Ergebnis der jahrelangen Niedriglohnstrategie der Bundesregierung.

Die koppelt sich mit der ungebrochenen Tendenz zur Tarifflucht der Unternehmen, insbesondere in Ostdeutschland und auch in Berlin. Nur noch 18 Prozent der Berliner Betriebe unterliegen einen Haus- oder einen Flächentarifvertrag. Das trifft nur noch knapp die Hälfte der Beschäftigten. Zum Vergleich: Vor 20 Jahren waren es noch 40 Prozent der Betriebe und mehr als zwei Drittel aller Beschäftigten. Auch wenn ich weiß, dass die Berliner Wirtschaft von Klein- und Kleinstbetrieben geprägt ist und die Zahl der Neugründungen und Start-ups groß ist, ist das ein alarmierender Befund, sowohl für die Sozialpartner als auch für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wenn selbst der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages laut IG Metall nicht für alle seine Unternehmen Tarifbindungen hat, dann ist das ein schlechtes Signal, zumal er Berliner Unternehmer ist. Letztlich sind es die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, die diese Niedriglöhne und die steigenden Gewinne der Unternehmen über ergänzende Leistungen subventionieren, und das hat dann auch wirklich nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun. Da müssen wir gegensteuern.

Umso wichtiger ist es, dass das Land überall dort, wo es selbst Einfluss hat, gegensteuert und Vorbild für existenzsichernde, sinnstiftende Beschäftigung, für gute Arbeit ist. Das bedeutet z. B., dass das Land als Eigentümer und Gesellschafter dafür Sorge trägt, dass alle Landesunternehmen inklusive ihrer Töchter und Beteiligungen Tarifverträge haben oder zügig abschließen.

Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit muss auch und vor allen Dingen im öffentlichen Bereich gelten. Das heißt auch, dass der Beschluss des Abgeordnetenhauses, dass der öffentliche Dienst und die landeseigenen Unternehmen und ihre Töchter sowie die Beteiligungen künftig auf sachgrundlose Befristungen verzichten, schnell umgesetzt wird. Auch da haben wir noch eine Menge zu tun.

Zurzeit wird an der Novellierung des Vergabegesetzes gearbeitet. Da ist es gut, dass der Vergabemindestlohn ansteigen wird. Wir müssen mit dem Landesmindestlohn nachziehen, dass wir da auch gleiche Bedingungen haben.

Ein ziemliches Problem haben wir noch in Sachen Ausbildung. Nach wie vor gibt es eine Lücke zwischen Ausbildungsplatzangeboten und Bewerberinnen und Bewerbern, was übrigens umgekehrt ist als im Land Brandenburg. Es geht nicht an, dass Unternehmen lautstark nach Fachkräften verlangen, das Bildungssystem kritisieren, aber selbst nicht oder nicht genug ausbilden. Das muss sich zügig ändern. Und bestimmte Berufe müssen attraktiver gestaltet und besser bezahlt werden. Es ist eigentlich recht übersichtlich: Warum gibt es nicht genügend Pflegerinnen und Pfleger, nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher? – Weil die Bezahlung schlecht ist, die Arbeitsbedingungen oft mies sind, und die Arbeit mit Menschen schlicht zu wenig anerkannt und wertgeschätzt wird! Auch das muss sich bei den Tarifverhandlungen im nächsten Jahr ändern. Und die Möglichkeiten, die wir als Land jetzt schon haben, die Arbeit und die Ausbildung attraktiver zu gestalten, sollten wir ergreifen und nicht warten, bis der Bund in die Pötte kommt, was er gestern für 2020 im Bereich der Pflege angedeutet hat. Das dauert alles viel zu lange!

Die Jugendarbeitslosigkeit sinkt – auch das ist gut. Aber noch immer verschwinden zu viele erwerbslose Jugendliche vom Radar der Jobcenter und Berufsagenturen. Sobald gegen sie Sanktionen verhängt werden, verschwinden sie. Das ist verheerend, denn viele tauchen nicht nur in die Schwarzarbeit ab, sie finden auch nicht mehr den Weg zurück in die Ausbildung, in Qualifizierung; das muss aber unser Ziel sein: Niemanden zurückzulassen!

Berlin ist Dienstleistungsmetropole: Über 80 Prozent der Erwerbsarbeitsplätze sind hier beheimatet. Damit ist die Wirtschaftsstruktur auch verletzlich, denn das Rückgrat, die Industrie, ist schmal, und die Digitalisierung hat zwiespältige Wirkungen. Der Erhalt und der Ausbau der industriellen Basis sind deshalb zentral wichtig für Berlin. Umso wichtiger sind die ersten Erfolge vor allem der Gewerkschaften und der Beschäftigten in der Auseinandersetzung mit Siemens und Ledvance im Erhalt um Arbeitsplätze. In diesem Zusammenhang auch Dank an den Senat, an den Regierenden Bürgermeister, die Wirtschaftssenatorin, die Arbeitssenatorin für die offensive Unterstützung der Beschäftigten!

Präsident Ralf Wieland:

Frau Kollegin! Einen kleinen Moment, bitte! – Ich bitte die Kollegen der CDU gegenüber dem Präsidium und insbesondere gegenüber der Rednerin um ein bisschen mehr Respekt! – Danke schön!

Katina Schubert (LINKE):

Das war mir jetzt nicht aufgefallen, aber vielen Dank! – Der drohende Arbeitsplatzabbau ist allerdings noch nicht vom Tisch. Die Unternehmen sind gefordert, ihre Produktionslinien von sich aus so zu modernisieren, dass sie ihre Arbeitsplötze erhalten können. Es wird jetzt auch viel von Digitalisierung und Arbeit 4.0 gesprochen. Aus der Arbeits- und Wirtschaftsforschung wissen wir, dass die Wirkungen der Digitalisierung von Branche zu Branche unterschiedlich sind. Mehr Selbstbestimmung der Beschäftigten ist genauso möglich wie arbeitsplatzvernichtende Rationalisierung und verschärfte Leistungsüberwachung. Neue Beschäftigungsformen wie Cloud­working brauchen eine rechtliche Grundlage, um Arbeitsschutz und Beschäftigtenrechte festzuschreiben. Da ist natürlich wieder die Bundesregierung gefordert. Da können wir auf Landesebene nicht so viel machen. Aber trotzdem können wir immer wieder in diese Richtung weiterdiskutieren.

Auf Landesebene ist es jetzt wichtig, mit den Sozialpartnern zu identifizieren, in welchen Bereichen durch Digitalisierung Beschäftigung zurückgehen wird – wir wissen es z. B. vom Banken- und Versicherungswesen –, um frühzeitig durch Weiterbildung und Qualifizierung gegenzusteuern. Auch hier gilt: Wir wollen niemanden zurücklassen. Und das heißt auch, Langzeiterwerbslosen eine Perspektive zu öffnen. Ob das jetzt ÖBS, sozialer Arbeitsmarkt oder solidarisches Grundeinkommen heißt, ist gar nicht die zentrale Frage. Wichtig ist, dass Langzeiterwerbslose möglichst schnell die Chance bekommen, sich neue berufliche Perspektiven zu schaffen – und das mit gesellschaftlich sinnvoller Arbeit zu tariflichen Löhnen, mindestens aber dem Landesmindestlohn.

Die Bundesregierung befindet sich auf dem Holzweg, wenn sie meint, mit Lohnkostenzuschüssen für Menschen, die länger als sechs Jahre Leistungen beziehen, einen nennenswerten Beitrag dazu liefern zu können. Wichtig ist, dass die Menschen sofort, wenn sie in Hartz IV kommen, neue berufliche Perspektiven bekommen, dass wir sofort ansetzen, wenn sie erst einmal anfangen, aus dem System herauszufallen. Deswegen brauchen wir so schnell wie möglich den im Koalitionsvertrag des Bundes festgeschriebenen Aktiv-Passiv-Transfer, damit wir die Leistungen, die ohnehin für Arbeitslosigkeit gezahlt werden, bündeln können. Dann können wir mit Landesgeld reingehen und sinnvolle Arbeit schaffen, die übrigen eine Win-win-Situation darstellen wird – für die Stadtgesellschaft genauso wie für diejenigen, die dann dort sinnvolle Arbeit tun. Davon können wir alle profitieren.

Alles in allem sage ich: Wir sind auf einem guten Weg. Wir haben noch eine Menge zu tun. Lasst es uns machen!