Wahlrecht für alle
"Wir wollen uns zum einen im Bund mit einer Bundesratsinitiative dafür einsetzen, dass im Grundgesetz das Wahlrecht auf kommunaler und Landesebene ausgeweitet wird, damit knapp 10 Millionen Menschen, also 14 Prozent der Bevölkerung, die derzeit mangels deutschen Passes von Wahlen ausgeschlossen sind, endlich überall in Deutschland dieses urdemokratische Recht wahrnehmen können." sagt Elif Eralp.
21. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses am 17.11.2022
Zu "Bundesratsinitiative zum Wahlrecht auf Landes- und kommunaler Ebene für Drittstaatsangehörige und Unionsbürger*innen" (Priorität der Fraktion Die Linke)
Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
Drucksache 19/0609
Elif Eralp (LINKE):
Vielen Dank, sehr geehrte Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Ich freue mich sehr darüber, dass wir heute unseren Koalitionsantrag zum Wahlrecht für alle beraten. Wir wollen uns zum einen im Bund mit einer Bundesratsinitiative dafür einsetzen, dass im Grundgesetz das Wahlrecht auf kommunaler und Landesebene ausgeweitet wird, damit knapp 10 Millionen Menschen, also 14 Prozent der Bevölkerung, die derzeit mangels deutschen Passes von Wahlen ausgeschlossen sind, endlich überall in Deutschland dieses urdemokratische Recht wahrnehmen können.
Übrigens fordern wir als einzige der hier im Parlament vertretenen Parteien auch eine Ausweitung auf Bundes- und europäischer Ebene entsprechend der Volksinitiative „Demokratie für alle“. Zum anderen wollen wir als Koalition selbst landesrechtliche Wege gehen, denn jede fünfte Berlinerin, jeder fünfte Berliner ist betroffen und konnte beispielsweise beim Volksentscheid „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ nicht mitabstimmen, obwohl sie genauso von zu hohen Mieten und Verdrängung betroffen sind wie alle anderen auch. Ja, ich kenne die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1990 und auch die Bremer Entscheidung, die sagt, das Wahlrecht stünde nur deutschen Staatsangehörigen zu, auch wenn in den maßgeblichen Grundgesetzartikeln nur vom Volk ohne den Zusatz „deutsch“ die Rede ist. Allerdings hat das Gericht selbst festgestellt, dass – ich zitiere – eine Kongruenz zwischen den Inhabern demokratischer Rechte und den dauerhaft einer bestimmten staatlichen Herrschaft Unterworfenen herzustellen ist. Es hat dann aber auf Einbürgerungserleichterungen verwiesen.
Diese sind wichtig, und ich freue mich, wenn die Ampel diesbezüglich ihr Versprechen einlöst, aber die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass auf diese Weise die demokratische Kluft nicht geschlossen werden konnte. Die Einbürgerungsquote blieb gering trotz einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 16 Jahren. Vor allem ist es ein demokratisches Grundprinzip, dass von Gesetzen und Regierungshandeln Betroffene mitentscheiden dürfen.
Es entspricht dem verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl und auch der Menschenwürde, dass Menschen, die hier leben, arbeiten, sich engagieren, auch wählen dürfen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht mehr zeitgemäß. Nach ihr wurde das kommunale Wahlrecht 1992 bereits auf Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ausgeweitet. Deutschland hat inzwischen endlich anerkannt, ein Einwanderungsland zu sein, und auch das Migrationsrecht modernisiert. Der Volksbegriff des Grundgesetzes muss daher heute anders ausgelegt werden als damals und die gesamte Bevölkerung umfassen.
Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Professor Dr. Bryde hat daher zu Recht ausgeführt – ich zitiere –:
Die Behauptung, dass dieser Weg verfassungsrechtlich blockiert ist, macht eine Aussage über das Grundgesetz, die es nicht verdient hat, dass es nämlich nicht imstande ist, mit neuen Lagen adäquat fertig zu werden.
Daher gehe ich gemeinsam mit vielen anderen Juristinnen und Juristen davon aus, dass wir auch ohne Grundgesetzänderung durch Änderung der Berliner Verfassung und der Wahlgesetze eine Ausweitung vornehmen können, und ich lade die demokratische Opposition ein, daran mit zu tun, denn es ist nicht allein die Angelegenheit Betroffener, sondern eine Frage der Demokratie und ob wir es ernst damit meinen.
Übrigens besitzen Drittstaatsangehörige in über der Hälfte der EU-Länder bereits das kommunale Wahlrecht und in Ländern wie Chile und Neuseeland sogar auf Bundesebene. Wegen der gegenüber der Volksinitiative geäußerten Bedenken von FDP und CDU möchte ich daran erinnern, dass auch mit Ihrer Hilfe die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet wurde, trotz ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Ehe nur zwischen Mann und Frau möglich sei. Das geschah durch bloße Änderung auf einfachgesetzlicher Ebene des Bürgerlichen Gesetzbuches, nicht des Grundgesetzes. Gesellschaftlicher Wandel führt zu Verfassungswandel.
Daher lassen Sie uns bitte auch hier dieser jahrzehntelangen Diskriminierung gemeinsam ein Ende setzen, wie es schon die Gastarbeitergeneration forderte und heute Initiativen wie „Nicht ohne uns 14 Prozent“ und „Demokratie für alle“! An dieser Stelle möchte ich mich auch bei meinen Kollegen Orkan Özdemir und Jian Omar für die gute Zusammenarbeit bedanken. Ich freue mich, dass wir heute mit diesem Koalitionsantrag verdeutlichen können, wofür Rot-Grün-Rot steht, für ein offenes, ein solidarisches Berlin, denn für uns gilt in der Mieten- und Sozialpolitik wie auch hier, dass diese unsere Stadt allen Menschen gehören muss, die hier leben. Dafür werden wir als Berliner Linke immer einstehen. – Danke!