Konstrukt der „sicheren Herkunftsstaaten“ ist Verstümmelung des Grundrechts auf Asyl

30. Sitzung, 13. September 2018

Katina Schubert (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass nun ausgerechnet die AfD hier von staatspolitischer Verantwortung schwadroniert, ist, glaube ich, der Witz des Tages. Sie wissen noch nicht einmal, was das ist – Verantwortung –, sonst würden Sie diese Hetze, die Sie tagtäglich vollziehen, einfach mal sein lassen, zulasten von Berlinerinnen und Berlinern, von Menschen in Chemnitz und anderswo, die das Recht haben, hier in Ruhe und in Frieden zu leben.

Das Grundrecht auf Asyl ist ein hohes Gut. Es wurde nicht ohne Grund als Grundrecht ins Grundgesetz geschrieben, nämlich auch aus den Erfahrungen des Nationalsozialismus heraus, als viele deutsche Antifaschistinnen und Antifaschisten, viele Kommunistinnen und Kommunisten, Christinnen und Christen, Jüdinnen und Juden, Roma und Sinti, viele, die sich gegen das Naziregime gestellt haben oder die aus rassistischen oder antisemitischen Gründen verfolgt waren, vor verschlossenen Türen standen, weil andere Länder sie nicht aufgenommen haben. Deswegen ist dieses Grundrecht auf Asyl ein Individualrecht, und deswegen muss jeder Fall einzeln geprüft werden, und zwar umfassend, ob es eine politische Verfolgung gibt oder nicht. Schon dieses Konstrukt „sichere Herkunftsstaaten“ ist eine Verstümmelung des Grundrechts auf Asyl.

Die Verfolgungsfreiheit in Ländern ist eine Fiktion. Wenn man sich dann auch noch anguckt, wie es in den Maghrebstaaten aussieht, dann weiß man ganz genau, dass es eben nicht sicher ist, dort zu leben, wenn man schwul, lesbisch oder bisexuell ist. Dass es nicht sicher ist, dort zu leben, wenn man sich für Demokratie und Freiheitsrechte einsetzt.

Genau für diese Leute ist es nicht sicher, dort zu leben, die sich für die freiheitlich demokratische Grundordnung einsetzen, wie wir sie hier haben, und die die CDU ja zu Recht so hochhält. Den Leuten droht in genau diesen Ländern Knast.

Wir reden bei den Flüchtlingen aus den Maghrebstaaten, die hierherkommen – das betrifft etwa 2 Prozent aller Asylsuchenden –, nicht über viele Leute, aber wir reden über diejenigen, die engagiert sind, die in ihrem Land für Verbesserungen kämpfen, die genau das wollen, was wir hier schon haben – nämlich Demokratie und Freiheit –, die einfach frei leben wollen, weil sie anders sind als die heterosexuelle Norm, die sich für ihre Interessen einsetzen – –  Bitte?

 

Präsident Ralf Wieland:

Möchten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Gräff von der CDU zulassen?

 

Katina Schubert (LINKE):

Nein, heute mal nicht!

Schauen Sie einfach mal in die Berichte von Amnesty International, die sind ja nicht als besonders linksradikale Organisation bekannt. Die sind überall in der Welt unterwegs und können ziemlich genau nachweisen, dass es in den Maghrebstaaten – in Algerien – nach wie vor einen erheblichen Verfolgungsdruck gibt, dass es in Marokko Folter gibt – 173 Fälle sind definitiv dokumentiert –, dass Andersdenkende verfolgt werden, dass dort nach wie vor die Todesstrafe gilt, auch wenn sie nicht umgesetzt wird. Die Möglichkeit gibt es aber, genauso wie in Tunesien.

 

Präsident Ralf Wieland:

Frau Kollegin! Ich darf noch einmal fragen, ob Sie – –

 

Katina Schubert (LINKE):

Nein, ich möchte keine Zwischenfragen! – Seit 2015 ist Tunesien im Ausnahmezustand.

Freiheitsrechte werden dort mit Füßen getreten. Das wollen Sie als sicheren Herkunftsstaat einstufen? – Das ist ein Hohn!

[Christian Gräff (CDU): Auf contra Wagenknecht!]

– Nein, Frau Wagenknecht will das nicht. Frau Wagenknecht will noch nicht einmal eine Verschärfung des Asylrechts; da haben Sie ihr einfach nicht zugehört, auch wenn sie sonst nicht alles das sagt, was ich für richtig halte.

Ich denke, es ist gut, dass der Senat –

 

Präsident Ralf Wieland:

Ich bitte um ein bisschen mehr Ruhe!

 

Katina Schubert (LINKE):

– diesem Gesetz nicht zustimmen wird.

Über eins muss ich mich doch wundern: Da erzählt die CDU ununterbrochen, man müsse die Probleme der Berlinerinnen und Berliner lösen, und dann bringt sie hier eine Priorität ein, mit der sie genau das Gegenteil macht, denn für die Berlinerinnen und Berliner ist die Flüchtlingsfrage nicht die zentrale Frage.

Für die Berlinerinnen und Berliner ist die Wohnungsfrage wichtig, die Armutsfrage. All das ist wichtig. – Sie können wunderbar krakeelen: Sie haben kein einziges Konzept vorgelegt, wie man hier Integration organisieren kann! Das ist für die Berlinerinnen und Berliner wichtig: weg von der Abschottung, weg von der Marginalisierung, weg von der Abwertung von geflüchteten Menschen, hin zur Integration, zu gleichen Rechten – das ist das, was wir hier brauchen! Lassen Sie Ihre Hetze, Ihre Abwertung und Ihre Abschottung doch einfach mal sein!

Da sagt der Innenminister – Udo Wolf hat es schon gesagt –: Migration ist die Mutter aller Probleme. Ich frage Sie: Sagen Sie das auch Ihren polnischen Hilfskräften, die Ihnen helfen, Ihre Eltern zu pflegen? Sind das die Mütter der Probleme? Welche Menschenverachtung steckt eigentlich dahinter, dass Sie solche Anträge einbringen und solche Leute in Ihren Reihen dulden? – Hören Sie einfach auf damit, und konzentrieren Sie sich auf die Probleme Berlins! – Danke schön!