Quelle: rbb-online.de

Frauen vor Gewalt schützen, Istanbul-Konvention umsetzen

"Deutschland belegt im Gleichstellungsranking der Europäischen Union gerade mal den zehnten Platz. Trotzdem glaubt ein Drittel der Deutschen, dass für die Gleichstellung von Frauen und Männern genug getan wird. Nur rund die Hälfte der befragten Männer findet, dass in diesem Politbereich viel mehr unternommen werden muss. Merken Sie etwas, liebe Abgeordnete?" fragt die frauenpolitische Sprecherin Ines Schmidt.

8. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 10.03.2022

Zu "Erstellung einer Monitoringstudie zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Berlin" (Priorität der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke)

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke 19/0201

Ines Schmidt (LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Liebe Gäste!

Zu der Runde eben kann man nichts mehr sagen. Er hat ja selber gesagt, ich soll es ohne Kommentar abtun. Ich meine, was soll man dazu noch sagen: null Ahnung von Frauen, wahrscheinlich auch null Ahnung von Gesellschaft, und wahrscheinlich liest er die Anträge noch nicht mal durch, die hier durchs Abgeordnetenhaus gehen. – Ich frage mich, wozu Sie Ihr Geld kriegen, ehrlich!

Vor zwei Tagen haben wir den Internationalen Frauentag gefeiert. War ja wieder absolute Sahne: Wir haben viel getrunken, viel gefeiert und viel demonstriert. Dieser stand natürlich ganz im Zeichen des Friedens und der Forderung, dass der Krieg in der Kroka- – –  Ukraine schnellstmöglich beendet werden muss.

[Thorsten Weiß (AfD): Hält der Kater noch an, was? –
Zurufe von Frank-Christian Hansel (AfD)
und Ronald Gläser (AfD)]

– Was ist denn mit dir los, Hansel? Früher warst du auch ein bisschen anders, ehrlich! – Die russische Invasion richtet von Tag zu Tag mehr Leid und Tod an. Ukrainische Familien sitzen in Kellern und U-Bahnstationen, kleben Fenster ab, stehen in langen Schlangen für Essen und Trinken an und wissen nicht, wann sie ein sicheres Leben zurückbekommen. Für die, die fliehen, ist es ungewiss, wann und ob sie ihre Familien wiedersehen, wann sie zurück nach Hause können. Dieses menschliche Leid ist schrecklich. In diesen Tagen bin ich sehr stolz auf unsere Stadt, die so vielen Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen und Ländern ein sicherer Hafen sein kann. Berlin ist nicht zum ersten Mal ein Zufluchtsort, und hoffentlich wird diese unsere Stadt auch weiterhin mit so gutem Beispiel vorangehen, Menschen willkommen heißen, vereint im Glauben, dass ein friedliches und für alle sicheres Miteinander möglich ist. Und so schließe ich mich den beiden Frauen Bertha von Suttner und Käthe Kollwitz – mit ihrem Slogan von 1924 „Nie wieder Krieg!“ – an, die die internationale Friedensbewegung maßgeblich beeinflussten und bis heute Generationen dahinter versammeln.

Ich bedanke mich auch bei all den Tausenden von Frauen und Männern, die am 8. März für mehr Tarifbindung und Mitbestimmung auf die Straße gegangen sind, die für die Abschaffung der Minijobs protestierten, sich für mehr Gleichstellungschecks in Gesetzen einsetzen, die ein Parité-Gesetz fordern – ich denke, durch Männer und Frauen in gleicher Zahl in der Politik werden sich auch Kriege verändern, denn ich kenne nicht viele Frauen, die ihre Kinder in den Krieg schicken; deswegen brauchen wir unbedingt auch ein Parité-Gesetz – und unbezahlte Haus- und Sorgearbeit als Normalfall für alle Geschlechter sichtbar vorantreiben.

Deutschland belegt im Gleichstellungsranking der Europäischen Union gerade mal den zehnten Platz. Trotzdem glaubt ein Drittel der Deutschen laut einer Umfrage des Bundesfamilienministeriums von 2020, dass für die Gleichstellung von Frauen und Männern genug getan wird. Nur rund die Hälfte der befragten Männer findet, dass in diesem Politbereich viel mehr unternommen werden muss. Merken Sie etwas, liebe Abgeordnete? – Was die Lage der Frauen anbelangt, klafft ein riesiger Abgrund zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, obwohl die Zahlen und Daten seit Jahren auf dem Tisch liegen. Aber ich wiederhole sie noch mal für alle.

Gender-Pay-Gap: Frauen verdienen durchschnittlich 1 192 Euro weniger im Monat als Männer. 12,5 Millio­nen von 18,3 Millionen berufstätigen Frauen verdienen weniger als der Durchschnitt, das sind 68 Prozent. Die Rechnung ist eigentlich ganz einfach: Wer weniger verdient, kann weniger zurücklegen, hat weniger Sicherheit, kann weniger Vermögen aufbauen und hat ein viel größeres Armutsrisiko.

Präsident Dennis Buchner:

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gläser?

Ines Schmidt (LINKE):

Heute nicht! – Gender-Pension-Gap: Frauen bekommen im Schnitt nur knapp halb so viel Rente wie Männer. Die Rentenschere tut sich allerdings erst ab 35 Jahren auf; in einem Alter, in dem junge Menschen Familien gründen, woraufhin Mütter häufiger in Teilzeit arbeiten, was uns zum dritten Punkt der Benachteiligung bringt. Gender-Care-Gap: Frauen übernehmen in Paarhaushalten mit Kindern immer noch mehr als 80 Prozent der unbezahlten Familien- und Sorgearbeit; laut Hans-Böckler-Stiftung sind es täglich vier Stunden.

Wer über Gleichstellung redet, redet ja nicht nur über Renten, Löhne und Corona, sondern über alles, was zwischenmenschlich falschläuft: das Begrapschen, die dummen Sprüche, die Angst, nachts allein nach Hause zu laufen, die jede Frau kennt und die im Grunde nichts anderes ist als die Angst, vergewaltigt oder umgebracht zu werden, was in Deutschland auch bittere Wahrheit bedeutet, denn jede zweite Frau überlebt die häusliche Gewalt nicht.

Aus all diesen Gründen haben wir in Berlin die Umsetzung der Istanbul-Konvention auch im Koalitionsvertrag verankert. Wir wissen, dass wir gefordert sind, nach Lösungen zu suchen. Auch in einer angespannten Haushaltslage tragen wir die Frauenprojekte durch. Keine Kürzung hinzunehmen, ist ein geeintes Ziel der Koalition. Wir werden perspektivisch ein neues Frauenhaus errichten und damit mehr Schutzplätze für Frauen und Kinder schaffen. Wir stärken die Gewaltschutz- und Traumaambulanz, die vertrauliche Spurensicherung sowie die Versorgung komplex traumatisierter Frauen und Kinder.

Aber nicht nur die Unterstützung der Betroffenen ist Ziel der Konvention, sondern auch eine effektive Strafverfolgung. Daher bauen wir Präventionsprojekte bei den Senatsverwaltungen für Inneres und Justiz aus, die Täterarbeit wird finanziert und ausgebaut. Zeitgleich bringen wir heute den Antrag zur Erstellung einer Monitoringstudie ein. Wir brauchen eine einheitlich qualifizierte Datengrundlage für einen rückgekoppelten Planungsprozess zwischen den Berliner Bezirken, anderen Bundesländern und der Bundesebene. Mit diesem Datenmonitoring und der Koordinierungsstelle, die wir schon im letzten Doppelhaushalt geschaffen haben, erfüllen wir § 7 der Konvention in Berlin.

Ein weiteres Anliegen kommt von der FDP, MINT-Berufe zu unterstützen. Grundsätzlich braucht es eine Förderung von MINT-Bildungsangeboten für Mädchen und Frauen von der Kita bis zur Hochschule. Aber es gibt bereits eine MINT-Strategie und schon lange vielfältige Angebote, die auf weibliche Vorbilder setzen, wie das Schülerlabor-Netzwerk GenaU, für Studium und Ausbildung und auch diverse MINT-Wettbewerbe. 2020 wurde das Netzwerk Junior1stein gegründet, um alles zusammenzufassen. – Also, liebe FDP! Lassen Sie uns in den Ausschüssen für Bildung und Wissenschaft weiter über Ihre Idee beraten und sie mit neuen Maßnahmen unterfüttern.

Jetzt noch ein sehr wichtiger Punkt zum Schluss: Wir stecken mitten in den Haushaltsverhandlungen. Bei meinen 180 Berliner Frauenprojekten kommt es mir so vor, als wenn wir nur noch Löcher stopfen. Es geht hier um Frauen, die alle unsere Hilfe brauchen. Wir alle müssen hier haushälterische Verantwortung übernehmen. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass Übergriffe und Diskriminierung von Frauen und Mädchen, egal woher diese kommen, in Zukunft in Berlin der Vergangenheit angehören. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!