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Weg aus der Krise kann nur Solidarität sein

Anne Helm
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"Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Wir werden uns nicht aus der Krise heraussparen. Im Gegenteil. Wir sind überzeugt, dass der Weg aus jeder Krise nur Solidarität sein kann. Nur eine stabile öffentliche Daseinsvorsorge und armutssichere Löhne sind krisenfest undnachhaltig. Wir bauen heute die Infrastruktur auf, die morgen den Krisen standhalten kann." sagt unsere Vorsitzende Anne Helm in der Aussprache zur Regierungserklärung.

5. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 27.01.2022

Aussprache zur Regierungserklärung

Anne Helm (LINKE):

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Damen und Herren!
Ich freue mich, dass Sie nach der langen Debatte noch alle munter sind und auch mir noch mal Ihr Ohr leihen. – Vielleicht erinnert sich der eine oder die andere noch an meine letzte Rede in diesem Hause kurz vor der Wahl. Da habe ich nämlich angekündigt, dass das Jahrzehnt der Investitionen, das wir 2016 ausgerufen haben, selbstverständlich länger ist als eine Wahlperiode.


Wir gehen jetzt also in die zweite Runde und setzen die Investitionsoffensive fort. Wir werden die Schulbauoffensive forführen. Wir werden weiter Kitaplätze schaffen. Wir werden weiterhin die Strukturen der Verwaltung stärken.

Trotz aller Unkenrufe hat diese Koalition dafür eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung dieser Stadt im Rücken und konnte diese Mehrheit gegenüber der letzten Legislaturperiode sogar noch ausbauen.

Ich weiß, vielen Berlinerinnen und Berlinern geht es nicht schnell genug, und das geht uns auch so. Die Coronakrise hat viele Vorhaben von uns zurückgeworfen und unsere Handlungsspielräume eingeschränkt.

Und doch hat gerade die Krise bewiesen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Wir werden uns nicht aus der Krise heraussparen, im Gegenteil, wir sind überzeugt, dass der Weg aus der Krise nur Solidarität sein kann.

Nur eine stabile öffentliche Daseinsvorsorge und armutssichere Löhne sind krisenfest und nachhaltig. Wir bauen heute die Infrastruktur auf, die auch morgen noch Krisen standhalten kann. Nicht zuletzt deshalb haben wir den Landesmindestlohn schon vor zwei Jahren von 9 auf 12,50 Euro erhöht. Nach dem Regierungswechsel im Bund soll der flächendeckende Mindestlohn dem ja nun auf wenigstens 12 Euro nahezu angepasst werden. Aber wer 45 Jahre lang für einen Lohn unter 13 Euro arbeitet, kann in seinem gesamten Leben nicht genügend Rentenanspruch aufbauen, um mehr als die gesetzliche Mindestrente zu bekommen. Das bedeutet, dass die Bundesregierung nach wie vor Altersarmut mit Ansage fördert.
Dem stellt sich Berlin entgegen. Wer für Berlin arbeitet, soll eben nicht in Altersarmut fallen. Deswegen werden wir den Landesmindestlohn und den Vergabemindestlohn auf 13 Euro anheben.

Wir bezahlen unsere Mitarbeitenden so auskömmlich, dass sie auch später und in Zukunft noch davon leben können. Dazu hat die Kollegin Dr. Jasper-Winter, die heute, glaube ich, nicht da sein kann, ihr Unverständnis geäußert, dass dann ja Mitarbeitende im Betrieb je nach Auftrag unterschiedlich hohe Stundenlöhne hätten. Das hat mich ein bisschen überrascht, denn die FDP hat ja bei der Einführung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes noch eine völlig andere Position vertreten, als Menschen aus Zeitarbeitsfirmen neben Festangestellten an den Fließbändern standen und für dieselbe Arbeit eindeutig nicht den gleichen Lohn bekamen. Ungleicher Lohn ist offenbar für die FDP nur dann ein Problem, wenn sein Zweck ist, Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte zu stärken, nicht aber, wenn es darum geht, sie zu schleifen.

Wir als Land Berlin haben uns entschlossen, an dieser Stelle Vorbild zu sein, und freuen uns selbstverständlich, wenn andere nachziehen. Deshalb werden wir es auch zu unserem Grundsatz machen, dass die Unterstützung und Förderung wirtschaftlicher Branchen an die Voraussetzung gebunden ist, dass diese auch gute Arbeit bieten und sich an die Tarifbindung halten. Das gilt auch für die Neustartprogramme in der Coronakrise. Wer öffentliche Hilfe in Anspruch nimmt, muss zumindest gesellschaftliche Mindeststandards einhalten. Um auch künftig gute Arbeit zu garantieren, brauchen die Berlinerinnen und Berliner gute Ausbildungschancen. Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, wollen wir deshalb nach Ende des zehnten Pflichtschuljahres für mindestens ein Jahr ein garantiertes Angebot der Berufsausbildungsvorbereitung machen. Das ist noch nicht die Ausbildungsplatzgarantie, die wir anstreben, aber es ist ein wichtiger Schritt dahin.

Wir werden dafür auch die Unternehmen stärker in die Pflicht nehmen und eine branchenspezifische Ausbildungsplatzabgabe einführen. Es kann nicht sein, dass viele Unternehmen große Anstrengungen aufbringen, um dem Fachkräftemangel zu begenen, während sich andere dieser Aufgabe entziehen. Hier braucht es einen gerechten Ausgleich.


Die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner hat dieser Koalition einen wichtigen Auftrag erteilt. Mehr als eine Million Wahlberechtigte haben dafür gestimmt, dass die Wohnungsbestände großer Immobilienunternehmen vergesellschaftet werden sollen. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird ernsthaft darüber geredet, wie Artikel 15 des Grundgesetzes konkret angewendet werden kann. Allein das ist schon historisch.

Unsere Erwartung ist, dass auf Grundlage der Ergebnisse der Kommission in etwa anderthalb Jahren über ein solches Gesetz beraten und am Ende auch beschieden wird. Wir wissen, wie viele Widerstände und Vorbehalte es dagegen gibt, nicht nur in diesem Hause. Umso wichtiger ist es, dass wir hier gründlich und sorgfältig vorgehen.

Ich finde, es ist in einer Demokratie schwer erträglich, wenn über den Umgang mit lebenswichtigen Gütern nicht demokratisch, sondern durch Marktmacht entschieden wird. Aber wir sind dem in einer Demokratie nicht ausgeliefert. Wir können unsere Zukunft und die unserer Stadt aktiv gestalten. Das haben die Berlinerinnen und Berliner mit ihrer Initiative getan. Wir müssen ihnen jetzt zusichern, dass das nicht folgenlos bleibt.

Unabhängig davon müssen wir alle unsere Anstrengungen zur Mietenregulierung fortsetzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen! Ich kann es ja verstehen, aber wenn Ihr es nicht vermocht habt, eine Öffnungsklausel für den Mietendeckel gegen die FDP auf Bundesebene durchzusetzen, erwarte ich zumindest von der neuen Bundesregierung, dass sie dem erklärten Wunsch aller Bundesländer außer Bayern, das sich an dieser Stelle dezidiert gegen den Willen der Landeshauptstadt positioniert, schnellstmöglich nachkommt und gesetzlich klarstellt, dass das Vorkaufsrecht wieder ange-
wendet werden kann.

Schon morgen gibt es dazu Gelegenheit, weil da nämlich auf Antrag der Linksfraktion im Bundestag darüber debattiert wird. Eine gemeinsame Bundesratsinitiative haben wir auch gestartet, und ich gehe davon aus, dass wir diesem Willen der Hauptstadt gemeinsam stark Ausdruck verleihen. Übrigens ist das Problem der immens steigenden Mieten in dieser Hauptstadt auch ein Problem für die lokale Wirtschaft. Das ist in den Reden der Opposition, finde ich, viel zu kurz gekommen, denn gerade handwerkliche Betriebe und Dienstleister haben diese immensen Probleme auch, und das ist ein Standortnachteil für Berlin.

Vielleicht eines der ambitioniertesten Ziele des Senats ist es, die unfreiwillige Obdachlosigkeit in dieser Stadt bis 2030 zu überwinden. Mit dem Modellprojekt „Housing first“ haben wir gezeigt, wie es gelingen kann, Menschen dauerhaft von der Straße zurück in Wohnungen und in die Gesellschaft zu holen. Damit wir unser Ziel erreichen, muss dieses Projekt aber im großen Stil stetig ausgeweitet werden, und dafür ist es wichtig, mehr Wohnungen im geschützten Marktsegment zur Verfügung zu stellen, und zwar nicht nur für Menschen, die auf der Straße leben. Auch diejenigen, die derzeit in Einrichtungen für Wohnungslose oder Geflüchtete leben, müssen dazu Zugang haben. Eine eigene Wohnung ist eine Frage der Menschenwürde.

Aber abgesehen davon ist es sogar die finanziell günstigere Version für den Landeshaushalt. Das ist noch ein zusätzliches Argument, das voranzutreiben, für diejenigen, denen die Menschenwürde nicht reicht. Deshalb muss auch das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum, das der Senat einrichtet, sich mit der Frage beschäftigen, wie schnell Wohnungen gebaut werden können, aber auch damit, wie diese den Menschen, die sie am dringendsten benötigen, zugänglich gemacht werden. Auch das muss ein ausgemachtes Ziel dieses Bündnisses und eine seiner vordringlichen Aufgaben sein. Wir werden uns in den kommenden Jahren noch stärker darum kümmern, dass Menschen gar nicht erst in Obdachlosigkeit abrutschen.
Dazu gehört neben einer weiteren Anpassung der Kosten der Unterkunft an die Realität auf dem Berliner Wohnungsmarkt auch das Verhindern von Zwangsräumungen. Dass die Justizsenatorin das in einem ihrer ersten Interviews zu ihrem Vorhaben erklärt, ist kein Zufall, sondern ein Merkmal linker, sozialer Rechtspolitik.

Nach zwei Jahren pandemiegebeutelter Stadtkultur dürfen wir uns auf einen Sommer freuen, der hoffentlich ein bisschen kompensiert, worauf wir in dieser schweren Zeit leidvoll verzichten mussten und wofür wir Berlin doch eigentlich so sehr lieben. Im Kultursommer werden überall in Berlin umsonst und draußen Kulturreinrichtungen und freie Künstlerinnen und Künstler zu Veranstaltungen einladen. Es wird in jedem Bezirk für jedes Alter etwas dabei sein. Unser Kultursektor wird hoffentlich von dieser Anschubhilfe nachhaltig profitieren und schnell aus der Krise kommen und wieder der Anziehungspunkt sein, der er schon immer war.

Aber es geht dabei natürlich auch um diskriminierungsfreien Zugang zu Kultur für alle. Es wird künftig ein festes Kontingent an 3-Euro-Tickets für Kulturreinrichtungen geben, statt wie bisher lediglich übrig gebliebene Karten. Das ist für Menschen, die sich ansonsten einen Besuch in der Oper niemals leisten könnten, ein wichtiger Zugewinn. Für drei Viertel der Menschen, die an einem eintrittsfreien Sonntag ein Museum besuchten, war der Wegfall des Eintritts die Motivation. Das zeigt doch, wie
hoch für viele Menschen in unserer Stadt die Hürden liegen, die Kultur zu erleben, die Berlin weltweit zu einem Anziehungspunkt macht.

Die Coronapandemie hat uns gezeigt, wie anfällig unsere auf ökonomische Effizienz getrimmten Strukturen sind.
Es ist nicht in erster Linie die Technik, an der es uns mangelt. Wir haben bewiesen, dass wir durchaus in der Lage sind, kurzfristig ein Notfallkrankenhaus aus dem Boden zu stampfen. Aber wir haben kaum Personal, um es zu betreiben. Zu viele haben sich über die Jahre gegen diesen Beruf entschieden – und nicht, weil sie ihre Arbeit nicht gern gemacht hätten. Ich habe bei den Streikposten mit Pflegern gesprochen, die ihren Beruf lieben und auch bereit sind, dafür temporär ein erhebliches Maß an psychischem Stress in Kauf zu nehmen. Aber wenn sie dauerhaft ihre Patientinnen und Patienten aus Überlastung nicht mehr nach besten Gewissen versorgen können, dann ist das unerträglich. Es ist ein starkes Signal, dass diese Koalition sich für den Abschluss des Entlastungstarifvertrags bei Charité und Vivantes eingesetzt hat. Diese Koalition kommt ihren Verpflichtungen gegenüber ihren Krankenhäusern nach und wird die Investitionen in diesem Bereich deutlich erhöhen. Wir haben erlebt, wie wichtig es ist, diese starken Strukturen in öffentlicher Hand zu haben.

Aber man muss an dieser Stelle auch einmal sagen, dass es grundsätzlich darum geht, die Finanzierung von Krankenhäusern wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und endlich dafür zu sorgen, dass die Krankenhäuser wieder dazu da sind, Menschen zu heilen, und nicht dazu, mit ihnen Profite zu machen.

Eine weitere Lehre aus der Coronapandemie ist, denke ich, für alle, dass sie die Frage aufgeworfen hat, wie krisenfest unsere Gesellschaft insgesamt ist. Wir alle wissen, dass uns die Klimakatastrophe vor große Herausforderungen stellt – sagen wir mal: fast alle. Wie in der Pandemie geht es jetzt darum, ob wir bereit sind, Maßnahmen zu ergreifen und die Folgen der Katastrophe für die Menschen abzumildern, um sie beherrschbar zu machen, oder ob wir lieber noch abwarten und hoffen, dass es doch nicht so schlimm wird, obwohl uns die Wissenschaft klare Daten liefert. Es ist gut, dass diese Koalition entschieden handelt. Wir werden einen klaren Schwerpunkt auf die energetische Sanierung von Gebäuden legen. Wir werden auch weiter daran arbeiten, das Bauen selbst klimaverträglicher zu machen. Wir werden auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel ein komplettes Quartier in Holzbauweise entwickeln und werden dann die Erfahrungen damit in einem Kompetenzzentrum sammeln. Das ist ein spannendes Projekt, auf das ich mich freue.
Wir werden die Berliner Kleingärten absichern, damit die Berlinerinnen und Berliner auch weiterhin selbst beim Klimaschutz mitmachen und zur Artenvielfalt und dem Erhalt des Berliner Stadtgrüns beitragen können.

Wir werden den Ausbau der Solarenergie vorantreiben und das Ende der Kohleverstromung in Berlin in weiteren Stadtwerken voranbringen. Dafür ist es gut, dass das Stromnetz jetzt wieder in der öffentlichen Hand ist. Mit den Stadtwerken verfügen wir über ein handlungsfähiges Unternehmen, um die Nutzung regenerativer Energien zu verstärken.

Für uns Linke steht bei der Mobilitätswende der Ausbau des ÖPNV im Zentrum. Er bildet das Kernstück, mit dem wir für alle in der Stadt ihr Recht auf Mobilität gewährleisten können. Und wie wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, hat der Ausbau der Straßenbahn für uns die absolute Priorität. Sie ist das mit Abstand beste E-Mobility-Konzept, und ihr Bau ist wesentlich klimafreundlicher und wesentlich schneller als der Bau von U-Bahnen.

[Beifall bei der LINKEN –
Heiko Melzer (CDU): Da sind Sie sich ja
total einig in der Koalition!]

– Ja, das steht so auch im Koalitionsvertrag. – Nur wenn der ÖPNV für die Menschen zu einer praktischen Alternative zur Nutzung des eigenen Autos wird, werden wir die Menschen vom Auto wegbewegen können. Wenn wir nur darauf setzen, den Menschen die Nutzung des Autos zu erschweren und unbequem zu machen, ohne ihnen alternative Angebote zu machen, erzeugen wir lediglich Frust und Widerstand.

Das ist nicht unser Weg. Wir bauen stattdessen Beteiligungsmöglichkeiten zur gerechten Verteilung des öffentlichen Raums so aus, dass die Berlinerinnen und Berliner in die Lage versetzt werden, ihre Kieze selbst mitgestalten zu können.

Gestatten Sie auch mir, kurz noch einige Worte zum heutigen Datum zu verlieren und einen Moment innezuhalten. Genau heute vor 77 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch die 322. Infanteriedivision der 1. Ukrainischen Front befreit. Nichts, was die jungen Soldaten in ihrem bisherigen Leben gesehen oder gehört hatten, konnte sie auf das Grauen vorbereiten, das sie in den Lagern der deutschen Vernichtungsmaschinerie erwartete. Weniger als 8 000 Menschen, die überlebt hatten, fanden sie dort vor. Ihrer und der Millionen Menschen, die ihr Leben durch die schlimmste Barbarei der Menschheitsgeschichte verloren, gedenken wir heute.

Von immer mehr Überlebenden und Zeitzeuginnen und Zeitzeugen müssen wir uns verabschieden – im letzten Jahr erst von Esther Bejarano, die bis zuletzt unermüdlich gegen rechts engagiert blieb. Und noch immer sind so viele Schicksale unaufgeklärt, so viele Geschichten nicht erzählt. Jede davon ist ein Grund für eine aktive Erinne rungskultur, die manchen auch in diesem Haus ein solcher Dorn im Auge ist. Wir werden uns entschlossen denen entgegenstellen, die von „Schuldkult“ schwadro nieren und versuchen, die Geschichte zu klittern.

Sie bagatellisieren die Mordindustrie auf den Coronademos oder so wie die Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag gestern, die wiederholt in der Debatte über eine Impfpflicht von Zivilisationsbruch sprach – wohlwissend, dass mit diesem Wort die Schoah gemeint ist, die uns daran erinnern soll, wie es zum Zivilisationsbruch kam. Wir müssen uns bewusst sein, dass solche Vorstöße stets der Versuch sind, die ideologische Grundlage für diese Verbrechen zu legitimieren.

Ich gehe davon aus, dass alle Demokratinnen und Demokraten das nicht zulassen werden und entschieden zurückweisen. Selbst an einem Tag wie heute hat die extreme Rechte auch hier in diesem Haus, ganz höflich vorgetragen, Hilfe- und Schutzbedürftige nach rassistischen Kriterien aufeinandergehetzt. Das bleibt nicht unwidersprochen. Gerade hier in Berlin, der Stadt, von der der Terror des Dritten Reichs ausging, müssen wir uns auch mit der Kontinuität rechten Terrors auseinanderset-
zen und sie auch als solche anerkennen – bis hin zu Hanau, das hier schon genannt wurde. Denn mit der bedingungslosen Kapitulation von 1945 endete der rechte Terror nicht. In Deutschland gehen seriöse Schätzungen davon aus, dass rechte Gewalt nach 1945 mehr als 300 Menschen das Leben kostete. Die wenigsten Fälle davon sind vollständig in ihrer politischen Motivation aufgeklärt, sie wurden bis 1990 nicht einmal als solche erfasst. Auch Berlin beklagt diverse Fälle, in denen Menschen Opfer von Nazis wurden. Nicht zuletzt seien an dieser Stelle Burak Bektaş und Luke Holland genannt, die bis heute nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt sind. Beide wurden ermordet in Neukölln, das seit über zehn Jahren Schauplatz einer Terrorserie ist, deren mutmaßliche Haupttäter zwar namentlich bekannt sind, aber vermutlich für die meisten Taten nie zur Rechenschaft gezogen werden. Mehrere Mitglieder dieses Hauses und der hier vertretenen Parteien, aber insbesondere Menschen aus der engagierten Zivilgesellschaft wurden von diesem Nazi-Ring bedroht und angegriffen. Wir, die Fraktionen von SPD, Grünen und Linken, werden auf parlamentarischer Ebene alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um dem Aufklärungsanspruch der Betroffenen gerecht zu werden, und schnellstmöglich einen Untersuchungssauschuss einrichten.

Und wir werden die Beratungs- und Monitoringstrukturen ausbauen und sie über ein Demokratiefördergesetz auch dauerhaft absichern. Denn auch, wenn sich diese Fraktion hier rechts im Saal halbiert hat, muss man leider sagen, dass diese Strukturen nicht weniger, sondern mehr zu tun haben und dass viele rechte Bewegungen gerade Krisenzeiten nutzen, um rechten Umsturzphantasien Vorschub zu leisten.


[Oh! von rechts]


– Ja, diese Reaktion ist klar. Das musste natürlich sein.
Ohne Verhöhnung geht es nicht.

[Antonin Brousek (AfD): Die kam nicht aus unseren Reihen, hätte aber auch aus
unseren Reihen kommen können!]


Wir stehen an der Seite der Betroffenen von Bedrohung, Ausgrenzung und Diskriminierung. Dessen können Sie sich sicher sein. Denn Berlin bleibt Sehnsuchts- und Zufluchtsort, wie die Regierende Bürgermeisterin heute abschließend schon so schön sagte, für alle, die hier frei und sicher leben wollen – in Kiez und Metropole zugleich. Ich bin stolz darauf, dass wir weiterhin daran mitwirken können, dass das auch so bleibt. – Herzlichen
Dank!