Berliner Gewerbeüberwachung neu strukturieren – Selektive Kontrollpraxis beenden, Zuständigkeit aus der Polizei herauslösen

Beschluss der Fraktion vom 13. Dezember 2022

Die Fraktion Die LINKE im Abgeordnetenhaus von Berlin setzt sich in der Regierungskoalition dafür ein, die Gewerbeüberwachung im Land Berlin grundlegend umzugestalten. Die Gewerbeüberwachung muss wieder effektiv, breitenwirksam und diskriminierungsfrei organisiert werden. Dafür muss die Gewerbeüberwachung aus der Zuständigkeit der Polizei ausgegliedert und in die Zuständigkeit der Senatsverwaltung für Wirtschaft überführt werden.

Hintergrund und Begründung:

 

Die Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag von 2021 vorgenommen, einen Vorschlag zur Neuorganisation der Gewerbeüberwachung im Land Berlin zu entwickeln. Hintergrund ist die aktuelle komplizierte Zuständigkeitsstruktur und damit einhergehende Defizite in der Überwachungspraxis. Die Senatsverwaltung für Wirtschaft hatte im Jahr 2020 die Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) beauftragt, eine umfassende Untersuchung zu Organisation und Praxis der Gewerbeüberwachung im Land Berlin anzustellen. Auf dieser Grundlage sollte die Neuorganisation diskutiert werden.

 

Die Studie liegt nun vor und stellt gravierende rechtliche, organisatorische und Effizienz-Defizite bei der Gewerbeüberwachung fest. Diese haben ihre Ursache in erster Linie in der bundesweit einzigartigen Organisationsstruktur. Zuständig für die Gewerbeüberwachung ist der Gewerbeaußendienst beim LKA. Dieser steht unter der Fachaufsicht von SenWEB, die Dienstaufsicht liegt bei SenInnDS. Die polizeiliche Schwerpunktsetzung führt laut Studie dazu, dass einige Gewerbebereiche überhaupt nicht, andere wiederum nur sporadisch und nicht flächendeckend überwacht werden, bestimmte Gewerbe aber regelmäßig. Dieser selektive Charakter der Berliner Gewerbeüberwachung bedeutet einen überproportionalen und stigmatisierenden Kontrolldruck für bestimmte (post)migrantische Gewerbe.

 

Hinzu kommt, dass Polizei und Ordnungsämter teils rechtsstaatlich problematische Einsätze durchführen. Als Teil der Gewerbeüberwachung beleuchtet die Studie der Praxis der Verbundeinsätze, die in den vergangenen Jahren vor allem als Maßnahme zur Bekämpfung der sogenannten “Clankriminalität” galten, aber auch bei anderen polizeilichen Schwerpunkten eingesetzt wurden. DIE LINKE kritisiert die sogenannten “Verbundeinsätze gegen die Clankriminalität” bereits seit Längerem. Erstens ist deren Vermengung von gewerberechtlichen und strafprozessualen Maßnahmen rechtlich problematisch. Zweitens tragen die teilweise durch hohe Polizeiaufgebote und ein rabiates, öffentlichkeitswirksames Vorgehen charakterisierten Einsätze zur Stigmatisierung migrantischer Gewerbetreibender bei. Denn während sie seitens der Polizei als Vorgehen gegen organisierte kriminelle Strukturen dargestellt werden, konnte bisher kein Zusammenhang der für die Kontrollen ausgewählten Orte mit organisierter Kriminalität plausibel dargelegt werden. Da diese Kontrollen sich ausschließlich gegen (post)migrantische Gewerbe richten, die damit unter Generalverdacht gestellt werden, muss diese Praxis daher als Diskriminierung eingeschätzt werden. Diese Einschätzung haben nicht nur betroffene Gewerbetreibende und ihre Gäste geäußert, auch aus der Wissenschaft kommt entsprechende Kritik. 

 

Die HWR-Studie bestätigt diese Kritik. Sie hält fest, dass die Verfolgung von Straftaten von Ordnungsaufgaben in Gewerbeangelegenheiten zu trennen ist und das Gewerberecht folglich kein Türöffner für die Strafverfolgung sein darf. Genau in diesem Sinne aber – also als „Türöffner“ oder “trojanisches Pferd”, wie es in der Studie eine hochrangige Beamtin formuliert – versteht und nutzt die Polizei die Verbundeinsätze. An deren Effizienz herrschen zwar behördenintern Zweifel, trotzdem haben sie sich als hauptsächliche Praxis der Gewerbeüberwachung etabliert. Hintergrund sind knappe personelle Ressourcen bei den polizeilichen Stellen, die für Gewerbeüberwachung zuständig sind, sowie überlappende Zuständigkeiten mit anderen Behörden wie beispielsweise den Ordnungsämtern.

 

Insgesamt stellt die Studie fest, dass die Gewerbeüberwachung sich maßgeblich an Zielvorgaben und Schwerpunktsetzungen der Polizeiarbeit orientiert. Beispielsweise gibt es einen konstant hohen relativen Kontrollumfang bei Betreiber*innen von Spielhallen und Gaststätten mit Spielautomaten, während die Behörden bei finanzdienstleistungs- und immobilienbezogenen Gewerbearten wie z. B. bei Immobilienmakler:innen, Güterhändler:innen, Finanzanlagevermittler:innen, Pfandleiher:innen oder Versteigerern im Verhältnis zu den Verdachtslagen nur sehr selten Kontrollen durchführen. Weiterhin bemängelt die Studie, dass die Fach- und Dienstaufsicht für die Gewerbeüberwachung bei zwei verschiedenen Senatsverwaltungen liegen, nämlich der Gewerbe- und der Innenverwaltung. Das führt zu Kompetenzgerangel: so kommt es vor, dass eine Dienststelle Kontrollschwerpunkte festlegt, für die aber von der anderen Dienststelle nicht ausreichend Personal zur Verfügung gestellt wird.

 

Praxis und Organisation der Gewerbekontrollen im Land Berlin sind dringend reformbedürftig. Die gegenwärtige Praxis der Gewerbekontrollen ist ineffektiv und verstößt eklatant gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Gewerbetreibenden. Die Verortung der Gewerbeüberwachung beim LKA führt dazu, dass Gewerbetreibende in erster Linie als mögliche Tatverdächtige von Straftaten angesehen werden, denen mit repressiven Mitteln der Ausforschung, Informationsgewinnung und Strafverfolgung begegnet wird. Die Fraktion DIE LINKE möchte, dass gewerbeordnungsrechtlichen Prinzipien wie der Gewerbefreiheit und der rechtsstaatlichen Gleichbehandlung aller Gewerbetreibenden Geltung verschafft wird.

 

Die Gewerbeüberwachung muss dazu vollständig aus der Zuständigkeit des Landeskriminalamts der Polizei herausgelöst und in die Zuständigkeit der Wirtschaftsverwaltung überführt werden, um die rechtsstaatlich problematische Vermengung von Strafverfolgung und Gewerbeüberwachung zu beenden. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu einer notwendigen Entpolizeilichung staatlicher Aufgabenwahrnehmung und ermöglicht es auch, das ineffiziente Zuständigkeitswirrwarr zwischen Innen- und Wirtschaftsverwaltung zu beenden. Die Verfolgung bzw. Verhinderung von Straftaten im Rahmen des strafprozess- und polizeirechtlichtlichen Instrumentariums wird dabei ebensowenig eingeschränkt wie das Vorgehen des Zolls gegen Schwarzarbeit oder die Leistung von Amtshilfe durch die Polizei bei Einsätzen der Ordnungsämter, sollte dies im Einzelfall erforderlich sein.

 

Außerdem sollten die zuständigen Stellen, wie alle öffentlichen Stellen, durch entsprechenden Schulungen diskriminierungssensibel aufgestellt werden. Eine regelmäßige externe Evaluation der Kontrollpraxis würde dabei helfen und könnte die Effizienz der Gewerbeaufsicht steigern und bewirken, den Kontrollschwerpunkt auf die Bereiche zu legen, bei denen die meisten und schwersten Verstöße gegen das Gewerberecht stattfinden.  

 

 

 

 

 

Gemeinsam Antisemitismus entschieden bekämpfen

Anne Helm
Aus dem AbgeordnetenhausInnere SicherheitRechtsextremismusAnne Helm

Gemeinsame Presseerklärung der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der CDU-Fraktion, der Fraktion DIE LINKE und der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus.

Der Kampf gegen Antisemitismus ist für alle demokratischen Fraktionen im Abgeordnetenhaus eine gemeinsame Verpflichtung. Dass wir diesen breit aufstellen und weiter verstärken müssen, zeigt auch die Jahresauswertung der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS). Für das Jahr 2021 wurde erneut ein Anstieg antisemitischer Vorfälle dokumentiert, die Zahl antisemitischer Vorfälle in Berlin bleibt auf einem hohen Niveau. Auch unsere fraktionsübergreifende Anfrage hat ergeben, dass es hohen Handlungsbedarf gibt. (Drs. 19/11776)

Das antisemitische Potential in Berlin ist weiterhin hoch, Dynamiken wie die „Querdenken“-Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie machen es sichtbar. Immer wieder geraten jüdische Menschen in Berlin in die Situation, sich zwischen einer sichtbaren jüdischen Identität und dem Schutz vor Übergriffen entscheiden zu müssen. Das dürfen wir nicht hinnehmen.

Ein Austausch von Daten zwischen Polizei und zivilgesellschaftlichen Organisationen, die Statistiken über antisemitische, rassistische oder queerfeindliche Vorfälle führen, muss wieder möglich sein. Nur so kann ein umfassendes Bild entstehen. Wir werden uns deshalb für eine Lösung des Problems bei der Datenübermittlung einsetzen.

Zum fraktions- und parteiübergreifenden Kampf gegen Antisemitismus erklären die Abgeordneten:

Orkan Özdemir (SPD), Sprecher für Integration und Antidiskriminierung, Sprecher für Strategien gegen Rechts, Sprecher für Religion:
„Um Antisemitismus wirksamer in Berlin zu bekämpfen, brauchen wir eine dezidierte Datenlage. In welchen Sozialräumen und Kohorten ist Antisemitismus besonders virulent? Welche Ausprägungen des Antisemitismus herrscht in den unterschiedlichen Sozialräumen und Stadtteilen/Kiezen Berlins vor? Deshalb macht es Sinn im Kontext des etablierten Berlin Monitors eine entsprechende Studie auf den Weg zu bringen, die auf der konkreten lebensraumorientierten Ebene Einstellungen, Ausprägung und weitere wichtige Faktoren abfragt. Antisemitismus ist in der breite der Gesellschaft verankert. „Breite“ bedeutet eine Vielzahl von Zielgruppen. Daher müssen Konzepte gegen Antisemitismus zielgruppenspezifisch wirken. Ziel ist es Antisemitismus effektiv, frühzeitig und nachhaltig zu bekämpfen.“

Cornelia Seibeld (CDU), Vizepräsidentin des Abgeordnetenhaus von Berlin, Sprecherin für Kirchenpolitik, Sprecherin für Antisemitismusbekämpfung, Sprecherin für Frauenpolitik:
„Die wertvolle Arbeit von RIAS als Recherchestelle wird mit jedem Jahresbericht deutlich. Die sehr umfassende Recherchearbeit darf nicht aus Datenschutzgründen ausgebremst werden. Es ist unumgänglich, dass der Senat jetzt handelt, und eine datenschutzrechtlich passende Grundlage schafft. Politik ist auf Daten und Fakten als Grundlage ihres Handelns angewiesen.“

Gollaleh Ahmadi (Bündnis 90/Die Grünen), Vorsitzende im Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, Sprecherin für Sicherheitspolitik, Sprecherin für Medienpolitik:
„Antisemitismus ist kein neues Phänomen, sondern in Teilen der Gesellschaft schon immer verankert. Über die Corona-Pandemie wurde deutlich, wie verbreitet antisemitische Verschwörungstheorien und Propaganda weiterhin sind. Auf Demonstrationen werden offen antisemitische Hetze und Hass verbreitet und Verbrechen verharmlost. Diese Entwicklungen sollten uns mehr als eine drastische Warnung sein! Wir müssen mit aller Entschiedenheit gegen Antisemitismus und Rassismus kämpfen, bevor die Konsequenzen noch schlimmer werden. Hass und Hetze dürfen keinen Platz in Berlin haben, weder auf den Straßen noch in den Medien.“

Anne Helm (LINKE), Fraktionsvorsitzende:
„Krisenzeiten bergen ein großes Potenzial dafür, dass Antisemitismus sich innerhalb der Gesellschaft Bahn bricht, weiter wächst und Wurzeln schlägt. Die Suche nach Sündenböcken für eine Krise kann Menschen zu antisemitischen Verschwörungsideologien bringen. Es ist unsere Aufgabe dagegen vorzugehen - präventiv über Bildungsarbeit und konsequent gegen jede Form des Antisemitismus. Der Kampf gegen Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftlicher, den wir gemeinsam austragen müssen.“

Stefan Förster (FDP), Sprecher für Bauen, Wohnen und Denkmalschutz, Sprecher für Wissenschaft und Forschung, Sprecher für Sport, Sprecher für Europa und Medien:
„Das konstant hohe Niveau von antisemitischen Vorfällen und Straftaten in Berlin ist besorgniserregend und nicht hinnehmbar. Umso wichtiger ist es für wirksame Gegenmaßnahmen, dass gerade die Abgeordneten einen Überblick über die Vorfälle haben. Dass der Datenschutzbeauftragte der Generalstaatsanwaltschaft dies nun unterbinden will, ist nicht nur eine Brüskierung des Verfassungsorgans Parlament, sondern wird auch der Bedeutung der Thematik nicht gerecht. Hier sollte schnell Abhilfe geschaffen werden.“