Urteil zum Neutrailtätsgesetz auswerten und Konsequenzen ziehen

Justiz und RechtspolitikSebastian Schlüsselburg

62. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 3. September 2020

Zu "Staatliche Neutralität wahren – grüne Ideologie verhindern" (Antrag der Fraktion der CDU)

Sebastian Schlüsselburg (LINKE):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Erstes zu dem einen Diskussionsgegenstand, zum Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Da nehme ich den geschätzten Kollegen Kohlmeier beim Wort. Wir werden das in der Koalition auswerten, sobald wir die Urteilsbegründung haben, und dann werden wir noch in dieser Wahlperiode darüber sprechen, welche gegebenenfalls auch gesetzgeberischen Konsequenzen wir daraus ziehen.

Zum Regelungsgehalt des CDU-Antrags – denn das muss man auseinanderhalten, und das werde ich gleich mal tun –: Herr Kollege Rissmann! Sie haben gestern offensichtlich dem Justizsenator nicht genau zugehört. Das ist nicht so schlimm, das passiert manchmal.

Der Justizsenator hat nämlich gesagt, dass er bzw. der Kammergerichtspräsident die entsprechende Anordnung nicht aufgrund des Urteils des Bundesarbeitsgerichts getätigt hat, sondern aufgrund des Referendarkopftuchurteils des Bundesverfassungsgerichts, das hier schon angesprochen wurde. Und wenn wir in dieses Urteil hineingucken, also in die Leitsätze, Herr Kollege Rissmann, sehen wir, dass es acht Leitsätze sind, und dann darf man nicht Rosinenpickerei betreiben, sondern dann muss man sich den ganzen Tenor angucken. Ich lese kurz den Punkt 7 vor – Zitat –:

Das normative Spannungsverhältnis zwischen den Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots aufzulösen, obliegt zuvörderst dem demokratischen Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu finden hat. Für die Beurteilung der tatsächlichen Gegebenheiten und Entwicklungen, von der abhängt, ob Werte von Verfassungsrang eine Regelung rechtfertigen, die Justizangehörige aller Bekenntnisse zu äußerster Zurückhaltung in der Verwendung von Kennzeichen mit religiösem Bezug verpflichtet, verfügt er über eine Einschätzungsprärogative.

Jetzt gucken wir mal in § 4 Ihres heiß geliebten Neutralitätsgesetzes in der gültigen Fassung, und dann erkennen Sie, dass dieser Gesetzgeber genau das getan hat, er hat nämlich für Referendarinnen eine Kann-Regelung getroffen, in diesem Bereich von den §§ 1 und 2 des Gesetzes gegebenenfalls bereichsspezifisch abzuweichen. Im Lichte der Rechtsprechung, der von mir gerade zitierten Verfassungsgerichtsentscheidung, hat der Kammergerichtspräsident das gemacht, und ich finde, er hat eine sehr maßvolle Entscheidung getroffen, indem er gesagt hat, dass Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare in dem Moment, in dem sie Sitzungsvertretungen machen, ein religiöses Bekundungssymbol oder wie auch immer tragen dürfen, wenn und soweit neben ihnen die entsprechende Ausbildungsperson sitzt, sodass für jeden erkennbar ist, dass diese Person in einer Ausbildungssituation ist.

Präsident Ralf Wieland:

Herr Schlüsselburg, ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schlömer zulassen.

Sebastian Schlüsselburg (LINKE):

Nein, danke! Ich bin auch gleich mit meiner Rede zu Ende. – Herr Kollege Rissmann! Insofern ist das hier ein Missverständnis, dass Sie benutzt haben, um einen Ballon aufzupusten, in dem sehr viel Luft, aber eben nur heiße Luft ist. Ich kann einfach nur empfehlen, an der Stelle dann, wenn Sie das Gerichtsurteil und den Tenor lesen, das vollständig zu machen und dann auch zu gucken, was dieser Gesetzgeber beschlossen hat.

Das ist nicht zu beanstanden. Und über das Bundesarbeitsgerichtsurteil werden wir in der Koalition in aller Ruhe reden. – Vielen Dank!