Quelle: rbb-online.de

Sonderstaatsanwaltschaft gegen Union-Busting

Damiano Valgolio
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"Wir haben die Pflicht, diejenigen zu schützen, die sich als Betriebsräte für ihre Kolleginnen und Kollegen im Betrieb einsetzen. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Betriebsrat-Bashing endlich effektiv bekämpft wird. Das geht nur, wenn wir dafür sorgen, dass es Staatsanwälte gibt, die sich damit auskennen, die dagegen vorgehen können." sagt Damiano Valgolio.

18. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 20.10.2022

Spezialisierte Zuweisung bei der Staatsanwaltschaft Berlin für Straftaten gegen die betriebliche Mitbestimmung nach § 119 Betriebsverfassungsgesetz (Priorität der Fraktion Die Linke)

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke Drucksache 19/0580

Damiano Valgolio (LINKE):

Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die rot-grün-rote Koalition will eine spezialisierte Einheit bei der Berliner Staatsanwaltschaft schaffen, die gegen Unternehmen ermittelt, die sich strafbar machen, indem sie die Arbeit oder die Wahl von Betriebsräten behindern. Manche nennen das auch eine Sonderstaatsanwaltschaft gegen Union Busting. Wir wollen Betriebsräte, die jeden Tag ihren Kopf für die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb hinhalten, effektiv schützen, und dafür müssen wir dafür sorgen, dass solche Arbeitgeber, die sich strafbar machen, die rechtswidrig gegen solche Betriebsräte vorgehen, dafür vor Gericht landen.

Hegel hat gesagt, die Wahrheit ist immer konkret. Deswegen möchte ich dafür sorgen, dass wir alle wissen, worüber wir reden und Ihnen mal einen konkreten Fall schildern, mit dem ich zu tun habe. Da gibt es die Vorsitzende eines Betriebsrates in einem Berliner Industriezulieferer. Die bekommt in einem guten Jahr ungefähr zehn Abmahnungen. Dann wird ihr ein Teil des Gehalts abgezogen, weil sie angeblich zu viel Zeit im Betriebsrat verbracht habe. Das muss sie einklagen. Dann wird ihr kurzfristig der Sommerurlaub verweigert, weil es angeblich nicht mehr geht, und sie muss wieder zum Arbeitsgericht laufen und per einstweiliger Verfügung ihren Urlaub durchsetzen. Dann kriegt sie einen neuen Arbeitsplatz direkt im Blickwinkel eines Vorgesetzten und bekommt für jede Kleinigkeit wieder eine Abmahnung. Jetzt ist die Kollegin länger krankgeschrieben worden. Es wird über einen Aufhebungsvertrag verhandelt, und die zuständige Gewerkschaft hat schon angekündigt, dass Strafanzeige erstattet wird. Jetzt ist die große Frage: Was wird aus dieser Strafanzeige? – Dass eine strafbare Handlung nach § 119 Absatz 1 Nummer 3 BetrVG vorliegt, dürfte relativ klar sein, aber die Frage ist: Landet die Sache vor Gericht? – Bisher jedenfalls nicht. Bisher ist so etwas nicht vor Gericht gelandet. In den letzten sechs Jahren ist knapp 30 Mal in Berlin Anzeige nach § 119 BetrVG erstattet worden, und Anklage erhoben worden ist in keinem einzigen Fall. Ich sage es noch mal: In keinem einzigen dieser Fälle ist tatsächlich Anklage durch die Staatsanwaltschaft erhoben worden. Es ist fast alles eingestellt worden.

Die zweite große Frage ist natürlich: Woran liegt das? – Teilweise sicherlich an der Arbeitsüberlastung bei der Staatsanwaltschaft, teilweise auch an fehlenden arbeitsrechtlichen Fachkenntnissen. Staatsanwälte sind keine Arbeitsrechtler. Das ist wahrscheinlich gut so, aber in diesen Fällen können sie gar nicht genau entscheiden, wann eine Abmahnung oder Kündigung gerade noch vertretbar ist oder wann eine strafbare Schikanehandlung vorliegt. Das ist schwer abzugrenzen. Man muss, das zeigt der Fall, den ich gerade geschildert habe, so etwas über einen längeren Zeitraum betrachten. Handlungen, die für sich genommen vielleicht gerade noch legal sind, sind eine strafbare Schikanehandlung, wenn sie zusammenkommen.

Man muss ermitteln. Man muss sich damit ein bisschen auskennen, sich ein bisschen Zeit nehmen, und deswegen brauchen wir eine spezialisierte Einheit bei der Staatsanwaltschaft, die arbeitsrechtlich geschult ist, die weiß, was im Betrieb los ist und die in solchen Union-Busting-Fällen wirklich effektiv ermitteln kann.

Um zu erkennen, dass der Druck auf Betriebsräte ständig zunimmt, reicht schon ein Blick in die Zeitung. Früher waren es einzelne schwarze Schafe, die sich rechtswidrig verhalten haben. Inzwischen gibt es ganze Branchen, wo es schon fast normal ist, dass beispielsweise massiv gegen Betriebsratsgründungen vorgegangen wird. Nehmen wir Lieferdienste, nehmen wir die Digitalwirtschaft. Besonders bekannt ist der Fall des Lieferdienstes Gorillas. Da ist hier in Berlin vor einem Jahr über einstweilige Verfügung, über verschiedenste Maßnahmen versucht worden, die Betriebsratsgründung zu verhindern. Später wurden die Wahlen angefochten. Der gesamte Betrieb wurde aufgespalten, und es laufen Kündigungsverfahren gegen Mitglieder des Wahlvorstands.

Oder nehmen wir die hoch und runter gehypte Onlinebank N26. Auch dort wurde alles versucht, um die Betriebsratswahl hier in Berlin zu verhindern. Es hat zum Glück nicht geklappt.

Oder nehmen wir, jüngstes Beispiel, den Lieferdienst Lieferando. Dort wurde erfreulicherweise im September erfolgreich ein Betriebsrat gewählt. Natürlich, muss man fast sagen, ficht der Arbeitgeber die Wahl an, das ist schon fast normal, und gleichzeitig wurden Kündigungsverfahren gegen fast die Hälfte der 13 neu gewählten Betriebsratsmitglieder angestoßen, um sie loszuwerden.

Ich halte das für einen Skandal.

Ich denke, das ist ein Entwicklung, die wir nicht hinnehmen können. Wir haben die Pflicht, diejenigen zu schützen, die sich als Betriebsräte für ihre Kolleginnen und Kollegen im Betrieb einsetzen. Wenn Betriebsräte ungestraft drangsaliert und fertiggemacht werden können, dann ist die gesamte betriebliche Mitbestimmung in Gefahr, die eine der Säulen unserer Demokratie insgesamt ist.

Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass Betriebsrat-Bashing endlich effektiv bekämpft wird. Das geht nur, wenn wir dafür sorgen, dass es Staatsanwälte gibt, die sich damit auskennen, die dagegen vorgehen können. Berlin geht da mit gutem Beispiel voran und sorgt dafür, dass wir solche Staatsanwälte bekommen. Das ist gut so.– Glückauf!

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