Diffamierungskampagne der AfD gegen Kitabroschüre offenbart ein zutiefst gestörtes Verhältnis zur Demokratie

36. Sitzung, 24. Januar 2019

Katrin Seidel (LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann jetzt schon vorausschicken, dass ich mich absolut nicht auf die Beratung im Ausschuss freue, und möchte zunächst feststellen, dass es eine absolute Unverschämtheit ist, dass Sie mit diesem Antrag hier eine absurde Desinformations- und Diffamierungskampagne bedienen, die sich in erster Linie gegen die Amadeu-Antonio-Stiftung wegen ihres expliziten Engagements gegen Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Antisemitismus richtet, nur dass gerade diese Kampagne sehr verdeutlicht, wie wichtig dieses Engagement ist. Im Namen meiner Fraktion möchte ich herzlichst der Amadeu-Antonio-Stiftung für ihre engagierte und wertvolle Arbeit gegen die Ideologie der Ungleichheit danken.

Ich danke auch der Ministerin Giffey, die nach dem Aufflammen dieser Hetzkampagne von rechts im Herbst letzten Jahres klare Position bezogen hat, sich anders verhalten hat als der andere Neuköllner, der Herr Liecke.

Die Handreichung für pädagogisches Personal in Kitas „Ene, mene, muh – und raus bist du! – Ungleichwertigkeit und frühkindliche Pädagogik“, deren Einsatz Sie hier untersagen lassen wollen, wird u. a. vom Bundesprogramm „Demokratie leben“ gefördert, und genau darum geht es auch.

Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt:

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Buchholz?

Katrin Seidel (LINKE):

Nein, danke! – Sie gaukeln hier eine fachliche Auseinandersetzung vor, die es nicht gibt. Es gibt im Gegenteil einen Bedarf, wie Frau Kühnemann-Grunow schon erwähnt hat, an Unterstützung und Fortbildung aufseiten der Kitalandschaft, wenn es um die Themen Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit geht, die nicht nur die Amadeu-Antonio-Stiftung bei ihrer Beratungsarbeit festgestellt hat.  Unter anderem zeigt auch eine Studie des Deutschen Kinderhilfswerks: Die Mehrheit der dort interviewten Fachkräfte wird im Kontext ihrer Arbeit mit diesen Phänomenen konfrontiert. Es herrschen oftmals starke Irritationen und Ratlosigkeit. Genau hier setzt die Handreichung an, die nach der Bewertung von Fachverbänden, Wissenschaft, Praxis und Gewerkschaften mit praxisnahen Ratschlägen und Handlungsempfehlungen weiterhilft und zahlreiche Verweise auf weiterführende Literatur und Materialien enthält. Dabei wurden reale Fälle aus der Kitapraxis in anonymisierter Form dargestellt und analysiert. Immer steht dabei das Kind, der Kinderschutz im Mittelpunkt. Und immer geht es natürlich um eine gute Erziehungspartnerschaft mit den Eltern als Grundlage für gelingende frühkindliche Bildung.

Ihre Kampagne will diese Broschüre diffamieren, mit falschen Zitaten, gezielten Auslassungen und Missinterpretationen. Das ist Ihnen in den Parlamenten von Niedersachsen und Baden-Württemberg nicht gelungen, und es wird Ihnen auch hier nicht durchgehen.

Ich möchte nur kurz zwei weitere von ganz vielen Gründen für die Ablehnung des Antrags nennen – erstens: Grundlage der frühkindlichen Förderung in der Berliner Kita und Tagespflege ist das Kitagesetz und das darauf beruhende Bildungsprogramm. Danach ist das Erziehungsziel, das Kind auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft vorzubereiten, die für ihr Bestehen die aktive verantwortungsbewusste Teilhabe ihrer Mitglieder im Geiste der Toleranz, der Verständigung und des Friedens benötigt, in der alle Menschen ungeachtet ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität, ihrer Behinderung, ihrer ethnischen, nationalen, religiösen – das ist das Kitagesetz! – und sozialen Zugehörigkeit sowie ihrer individuellen Fähigkeiten und Beeinträchtigungen gleichberechtigt sind. Das steht in unserem Kitagesetz, und das gilt hier im Land Berlin.

Zweitens: Staatssekretärin Klebba hat in der Sitzung des Fachausschusses am 6. Dezember 2018 auf Ihre Frage hin erklärt, dass der Berliner Senat besagte Handreichung weder finanziert noch verschickt habe. Die Handreichung wird tatsächlich selbstständig von Kitaträgern im Bedarfsfall bei der Stiftung bestellt. Ich empfehle, sich einmal ein eigenes Bild zu verschaffen und sich diese Handreichung anzugucken.

Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut unseres demokratischen Gemeinwesens. Diese Freiheit gilt im Rahmen dessen, was unser Grundgesetzt definiert. Sie gilt, auch wenn es manchmal wehtut, zum Beispiel dann, wenn wir uns mit solchen Anträgen wie Ihrem befassen müssen.

Manches muss man wohl auch aushalten, wie zum Beispiel Ihre Hassportale, die Sie als AfD initiiert haben, wo Kinder zu Gesinnungsschnüffelei und Denunziantentum an den Schulen aufgefordert werden.

Was geben Sie diesen Kindern mit auf den Weg ins Leben? Ihr Antrag offenbart ein zutiefst gestörtes Verhältnis zur Demokratie und zu einer weltoffenen und friedlich-freiheitlichen Gesellschaft. Es ist weder unser Ziel, noch liegt es in der Macht des Senats oder dieses Hauses, pädagogischen Fachkräften in den Kitas zu verbieten, zu lesen, was sie wollen und sich weiterzubilden, zumal wenn es im Sinne der geeinten Bildungsziele ist.

Was Sie wollen, wenn Sie von Untersagen reden, müssen Sie mir mal erklären. Was kommt als Nächstes? Sanktionen? Das Zerfleddern unseres Bildungsprogramms?

Zum Schluss noch ein persönliches Wort. Ich bin Erzieherin und Sozialarbeiterin und auch heute noch oft in den Kitas und in der Praxis unterwegs. Es ist mir immer wieder eine Freude zu sehen, wie Kinder vorurteilsfrei miteinander spielen, wie sie schnell eine gemeinsame Sprache finden und ganz selbstverständlich zusammen die Welt entdecken. Es ist unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie alle wohlbehütet und mit gleichen Chancen für ein gutes Leben aufwachsen, miteinander und in einer friedlichen Welt. Das ist unser Job, und den werden wir hier machen und uns dabei nicht von Ihnen hineinfuschen lassen. – Danke!