Gezerre um Hohenschönhausen-Untersuchungsausschuss ist Politposse der Opposition

37. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 21. Februar 2019

Steffen Zillich (LINKE):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zwei Dinge vorweg: Die Gedenkstätte Hohenschönhausen leistet eine wichtige, eine unverzichtbare Arbeit, und sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Erinnerung und zur Aufarbeitung der Repression in der SED-Diktatur, insbesondere an diesem historischen Ort des Stasi-Untersuchungsgefängnisses. Dies gilt ganz unabhängig von den Fachdebatten, die sich vielleicht kritisch mit dem einen oder anderen auseinandersetzen. Die Arbeit der Gedenkstätte soll und muss fortgesetzt werden.

Darum geht es zwar in dieser Auseinandersetzung überhaupt nicht, weder bei der Frage, wie auf Vorwürfe von sexueller Belästigung zu reagieren ist, noch bei der Frage der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, es muss aber trotzdem gesagt werden, denn die Arbeit der Gedenkstätte hat Schaden genommen und droht weiter Schaden zu nehmen in dieser Form der Eskalation, wie sie hier stattfindet.

Zweitens: Wir haben Respekt und achten das Instrument des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Wir wissen, dass es ein Recht parlamentarischer Minderheiten ist, deren Einsetzung zu verlangen. Untersuchungsausschüsse, das ist gesagt worden, sind das schärfste Schwert der parlamentarischen Kontrolle. Gleichwohl gerät dieses Instrument unter Druck, auch durch inflationären Gebrauch und auch durch den Missbrauch als bloßes Mittel der Eskalation und Inszenierung eines politisch-parlamentarischen Konflikts.

Worum geht es in der Sache? Wiederholt und über Jahre hinweg wurden Vorwürfe sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen und Volontärinnen der Gedenkstätte in Hohenschönhausen erhoben, zuletzt in einem Brief im Sommer 2018. Nach Überprüfung haben sich die Vorwürfe, die gegen den stellvertretenden Direktor der Gedenkstätte erhoben wurden, als plausibel erwiesen und zeigten insgesamt ein Bild einer Kultur, einer Atmosphäre in der Gedenkstätte, wo sich die Frauen nicht trauten, sich an den Direktor zu wenden. Klaus Lederer als Stiftungsratsvorsitzender hat daraufhin in enger Abstimmung mit den Zuständigen im Bund und den Stiftungsgremien die daraus notwendigen Schlussfolgerungen beraten; und die Gremien haben entschieden, dass angesichts solcher verifizierter und zum großen Teil inzwischen eingestandener Vorwürfe ein Kulturwandel in der Gedenkstätte nötig ist, der vom Direktor aufgrund von dessen jahrelanger Praxis im Umgang damit nicht zu erwarten sei. Darauf trennte sich die Stiftung von ihrem Direktor.

Nun stellt sich die Frage der Bewertung. Wenn jemand Verantwortung für eine öffentliche Institution trägt und plausibel den Befund hat, dass wiederholt und jahrelang sexuelle Belästigung, sexistische Anspielungen usw. in dieser Institution vorkommen und Betriebsklima und Führungskultur so etwas nicht verhindern, dem nicht entgegenstehen, dann muss der oder die Verantwortliche handeln ohne Wenn und Aber. Denn dabei geht es nicht um irgendeine Lappalie, sondern um etwas sehr Grundsätzliches. Wer das anders sieht, der soll das sagen. Darüber lohnt es sich zu streiten.

Natürlich war klar, dass die politische Konstellation in Bezug auf Knabe/Lederer dazu einlädt, hier über andere Motive zu spekulieren. Aber das konnte Klaus Lederer als Stiftungsratsvorsitzender ja nicht von seiner Verantwortung befreien, die ich oben beschrieben habe. Und er hat sich deshalb eng mit denjenigen abgestimmt, die für die Stiftung Verantwortung tragen. Das ist insbesondere die Verantwortliche der Bundesregierung für die Stiftung, die Landesvorsitzende der CDU, Prof. Monika Grütters, aber auch viele andere, die es sich nicht leicht gemacht haben in ihrer Entscheidung und es sicher nicht verdient haben, in eine Inszenierung des Misstrauens einbezogen zu werden.

Als Beispiel sei hier Dieter Dombrowski als Vertreter der Opferverbände im Stiftungsrat zitiert:

Ich bin nach Prüfung zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vorwürfe zutreffen. Für mich war klar, auch nach den Aussagen der betroffenen Frauen: Hier muss ein Stoppsignal gesetzt werden. Ich bin bei Fragen von Menschenwürde und Respekt zu keinem Millimeter Kompromiss bereit, egal, wen es betrifft.

Zitatende.

Was hier in Bezug auf einen möglichen Untersuchungsausschuss von der Opposition veranstaltet wird – wir haben es ja gerade wieder erlebt –, ist schon denkwürdig. Die AfD beantragt eine Aktuelle Stunde mit dem Vorwurf der Säuberung, eine unerträgliche Relativierung der tatsächlich stattgefundenen historischen Säuberung, und diesen Vorwurf müssen Sie sich anhören. Und Sie müssen die Frage beantworten, welche politische Funktion diese Relativierung haben soll.

Und Sie fordern ultimativ, endlich einen Untersuchungsausschuss einzurichten. Ja, von wem eigentlich? Vom intergalaktischen Kontrollrat? – Untersuchungsausschüsse werden auf Antrag eingerichtet. Einen solchen vorzulegen befand die AfD wohl nicht für nötig, um gleichwohl eine solche ultimative Forderung zu erheben. Selten hat das Thema einer Aktuellen Stunde das Parlamentsverständnis einer Partei besser zum Ausdruck gebracht: Das Parlament als Bühne für Prokationen und Ressentiments.

Die FDP legt einen Antrag vor, von dem bei Einreichung klar war, dass er nicht zu einem Untersuchungsausschuss führen kann, weil das erforderliche Quorum der Antragsteller nicht erreicht ist und mit einer Mehrheit nicht zu rechnen ist. So etwas macht man eigentlich nur, um zu demonstrieren, dass die Restopposition nicht mitmachen will. Und jetzt überlegt die FDP, ob sie ihn vertagen will. Sie sollte ihn zurückziehen. Dieses Hin und Her ist doch wirklich merkwürdig.

Und die CDU schießt den Vogel ab. Wir haben ja bemerkt, dass Missbilligungsanträge für Sie derzeit oppositionelle Mittel der Wahl sind. Aber nur weil Ihre Landesvorsitzende, Prof. Monika Grütters, nicht Mitglied der Landesregierung ist und Sie nicht auf diesem Wege ihr Verhalten missbilligen können, gleich einen Untersuchungsausschuss einsetzen zu wollen, das geht dann doch zu weit.

Es ist doch wirklich grotesk, als hätte jemand von der CDU im Drängen nach Effekthascherei auf den Selbstzerstörungsknopf gerückt. Es gibt wirklich keinen Grund, sich darüber zu freuen. Wir halten einen Untersuchungsausschuss nicht für geboten, weil wir – erstens – jenseits von unterstellten Motiven und ideologischen Reflexen keine belastbaren Vorwürfe gegen das Handeln von Klaus Lederer und Monika Grütters erkennen können. Das ist der wichtigste Punkt.

Zweitens: Selbst wenn dem nicht so wäre, müsste man sich fragen, ob ein Untersuchungsausschuss das richtige Instrument ist, da es weitgehend um Einzelpersonalangelegenheiten geht. Die sind nicht umsonst in der Regel tabu in der parlamentarischen Befassung. Ob das zu einer Unzulässigkeit im rechtlichen Sinn führen muss, ist sicherlich nicht ganz einfach zu beantworten. Aber ob das politisch sinnvoll und zu verantworten ist, wird von uns verneint. Das ist auch eine Frage, die Sie sich stellen sollten, und zwar unabhängig von diesem Vorgang.

Es gibt einen dritten schwerwiegenden Grund, weswegen wir hier gegen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses sind: Wir müssen die Perspektive und die Situation der Frauen berücksichtigen, die Opfer von Belästigungen und sexistischem Verhalten geworden sind. Wir haben für sie eine Verantwortung. Wir wundern uns, dass das bei den Entscheidungen der Opposition offenbar keine Rolle gespielt hat. Sind Sie etwa tatsächlich der Auffassung, die Frauen lügen alle und sind von Moskau gesteuert? Das kann ich jenseits der AfD kaum glauben. Aber wenn sie das nicht sind, dann müssen Sie Verantwortung dafür tragen, was es bedeutet, wenn Frauen, die sich wegen sexueller Belästigung anonym oder mit der Bitte um Verschwiegenheit an eine Frauenbeauftragte oder eine aufsichtsführende Institution wenden, nun über einen Untersuchungsausschuss in die Öffentlichkeit gezwungen werden. Das ist ein wirklicher Tabubruch mit weitreichenden Auswirkungen. Wenn Menschen, die um Hilfe nachsuchen, um einen Missstand anzuzeigen, einen Übergriff, den sie erleiden mussten, die sich das aber nur trauen, wenn ihre Identität nicht offengelegt wird, damit rechnen müssen, diesen Schutz über eine parlamentarische Untersuchung zu verlieren, dann kann das im konkreten Fall, aber auch weit darüber hinaus Signalwirkung haben, die hier niemand wollen kann. Ich fordere Sie wirklich auf, die Perspektive dieser Frauen nicht einfach wegzuwischen.

Das Gezerre um den Untersuchungsausschuss ist eine Politposse des Drängens der Opposition nach maximalem Aufmerksamkeitseffekt. Dieses Drängen ist in seiner Maßlosigkeit blind für die Schäden, die es anrichtet und anzurichten droht, und die Schäden werden am wenigsten dort auftreten, wo sie vielleicht als politischer Nutzen einkalkuliert sind.

Ich möchte deswegen auch von hier aus noch einmal den Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte richten, die den Betrieb dort in dieser sehr schwierigen Situation aufrechterhalten. Mein Dank richtet sich auch an diejenigen, die ihren Namen dafür gegeben haben, diese Gedenkstätte in der Krise weiterzuführen, insbesondere Marianne Birthler. – Danke schön!