29-Euro-Ticket - Perspektive kostenloser Nahverkehr

Kristian Ronneburg
VerkehrKristian Ronneburg

"Künftig sollte ein Tag ÖPNV einen Euro kosten, bundesweit", nennt Kristian Ronneburg unseren Vorschlag. Die Perspektive geht weiter. Sie lautet kostenloser Nahverkehr. Spanien hat beispielsweise mit einer Übergewinnsteuer den Nah- und Regionalverkehr kostenlos gemacht.

16. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 23.09.2022

Zur Aktuellen Stunde "Berlin entlastet schnell und konkret: das 29-Euro-Ticket kommt!"

Kristian Ronneburg (LINKE)

Kristian Ronneburg (LINKE):

So viel Zeit muss sein.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Moment, die Stellen zum Klatschen kommen noch! Das 9-Euro-Ticket hat unter Beweis gestellt, dass es einen riesigen Bedarf für günstigen Nahverkehr gibt. Ich darf gleich zu Beginn meiner Rede feststellen, dass damit auch all jene Lügen gestraft worden sind, die auch gern meiner Partei, der Linken, attestiert haben, dass ihre Pläne für einen stark vergünstigten und in Zukunft entgeltfreien Nahverkehr keine Effekte hätten, viel zu teuer wären und stattdessen lieber in den Ausbau des Nahverkehrs investiert werden sollte.

Denn beides ist richtig und muss möglich sein, und beides wird auch von den Bürgerinnen und Bürgern verlangt: ein stark vergünstigter Nahverkehr – ohne große Hürden, der dazu einlädt, Bus und Bahn zu nutzen – und gleichzeitig ein stark ausgebauter Nahverkehr – genügend Wagen, motiviertes, gut bezahltes Personal, moderne Infrastruktur, attraktive Bahnhöfe, Sauberkeit und Sicherheit.

Alles, was in den letzten Jahren im Bund passiert ist, war aber viel zu ambitionslos, währenddessen haben wir in Berlin gemeinsam mit Brandenburg die Verkehrswende eingeleitet. Ich möchte an der Stelle noch einmal ausdrücklich unser Investitionsprogramm i2030 würdigen. Beim Tag der Schiene in der vorherigen Woche kam ein großes Netzwerk aus der Metropolregion zusammen, auch die Bahn und der VBB waren dabei. Bei all den Diskussionen über die Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket hat man gemerkt, dass wir mittlerweile auf vielen Ebenen richtig weit gekommen sind, weil wir tatsächlich Entscheidungen treffen.

Wie lange haben wir denn beispielsweise über den Wiederaufbau der Stammbahn diskutiert und gestritten? Und endlich haben wir die Entscheidung: Sie soll als Regionalbahnvariante kommen. Die Koalition liefert, und das ist nur ein Beispiel von vielen.

Mein Befund ist aber auch der folgende: Während wir mit Brandenburg im VBB und der Bahn mittlerweile eine sehr gute Kooperation haben, sind wir beim Ausbau der Schieneninfrastruktur bei den gemeinsamen Tariffragen keinen Schritt weitergekommen, im Gegenteil. Meine Befürchtung ist, dass sich, wenn wir so weitermachen, Konflikte im Tarifverbund verschärfen könnten, dass erstens aufgrund der Preissprünge und den unterschiedlichen Vergünstigungen ein gemeinsamer Tarif Berlin-Brandenburg für Fahrgäste kaum mehr erkennbar sein wird und zweitens der VBB aufgrund dieser gegensätzlichen Entwicklungen auseinanderfällt. Das kann niemand wollen.

Ich möchte einmal einen kurzen Rückblick wagen. In der vergangenen Wahlperiode haben wir das Sozialticket auf 27,50 Euro gesenkt. Wir haben das Schüler- und Schülerinnenticket kostenlos gemacht.

Wir haben das Azubi- und Jobticket attraktiver gemacht, und wir haben auch für die Preisstabilität beim Semesterticket gesorgt. Alle Maßnahmen waren richtig. Sie waren sozialpolitisch die richtigen Entscheidungen, und wir hätten uns auch gewünscht, bei anderen Tarifprodukten stabil bleiben zu können. Aber bei all den Verbesserungen müssen wir festhalten, dass diese Berliner Schwerpunkte mitunter große Probleme bei den notwendigen VBB-Abstimmungen mit Brandenburg gemacht haben. Die Stimmung war zuletzt in der vergangenen Wahlperiode so angespannt, dass auf unsere Forderung, die Ticketpreise sollten stabil bleiben, entgegnet wurde: Ihr sprengt den VBB. – Denn das, was jetzt sozusagen in der Presse herumwabert, ist ja eigentlich keine neue Nachricht aus Brandenburg. Es ist uns in den letzten Jahren des Öfteren über den Weg gelaufen.

Berechtigt war es sicher auch, weil die Vergangenheit mehr als alles andere deutlich gemacht hat, dass wir Ta­rif­entscheidungen offen, gut vorbereitet und abgestimmt miteinander diskutieren sollten. Das war beim 9-Euro-Ticket, bei der Nachfolgeregelung für das 9-Euro-Ticket leider nicht der Fall. Andererseits waren die Reaktionen aus Brandenburg aber auch unberechtigt, weil sich Brandenburg der Debatte eigentlich auch komplett versperrt hat. Entsprechende Anträge der Linksfraktion im Brandenburger Landtag sind dementsprechend auch von der Regierungsmehrheit negativ beschieden und entsprechend behandelt worden. Ich hätte erwartet, dass es trotz der Begleitumstände eine größere Offenheit in Brandenburg gegeben hätte, denn auch das Nachbarland hat Mehreinahmen. Na, selbstverständlich!

Und das richtet sich auch direkt, Herr Wegner, an Ihren Verkehrsminister.

Ich sehe die Diskussion aber nicht als beendet an. Sie muss jetzt engagiert mit Brandenburg weiter fortgeführt werden. Rot-Grün-Rot lässt keinen Zweifel daran, dass es ab dem 1. Januar 2023 mit einem vergünstigten Angebot weitergehen muss, und dann muss es uns auch gelingen, mit Brandenburg ein vernünftiges, einheitliches Ticket zu entwickeln, und wir werden da sicherlich auch schauen, was der Bund am Ende anbietet.

Nun haben wir also ein 29-Euro-Ticket AB von Oktober bis Dezember. Damit werden viele Berlinerinnen und Berliner, die aktuell unter den stark steigenden Preisen für Energie, für die Grundversorgung leiden, entlastet. Aber ist uns da möglicherweise etwas nicht aufgefallen?– Meiner Fraktion ist es aufgefallen. Das 29-Euro-Ticket ist ein interessantes Angebot, aber was sagen eigentlich die Sozialticketinhaber und -inhaberinnen dazu? Das Ticket kostet 27,50 Euro – 1,50 Euro Differenz, völlig unangemessen. Leider war es offenbar seitens des Senats nicht möglich, diese Forderung nach einer Absenkung mit zu verhandeln, und ich vertrete die These: Das Sozialticket ist jetzt teurer als das 29-Euro-Ticket. Das 29-Euro-Ticket ist übertragbar, Personenmitnahme abends und am Wochenende, und beim 27,50-Euro-Sozialticket haben wir keine Übertragbarkeit, es ist personengebunden, und eine Personenmitnahme ist auch nicht möglich. Umso dringender muss nun der Auftrag aus dem Koalitionsausschuss an den Senat sein, das Sozialticket weiter abzusenken und nicht nachzulassen und möglichst auch noch vor dem 1. Januar 2023 für eine Lösung zu sorgen.

Und auch künftig bei allen Fragen der Tarifgestaltung dürfen wir die Seniorinnen und Senioren nicht vergessen, die ein VBB-Abo haben. Auch da müssen wir uns mit Brandenburg zusammensetzen und Lösungen finden. Das Gleiche gilt für Studierende und Azubis. Und es gibt momentan auch keine Erleichterung für die 100 000 Pendler. Es könnte so weit kommen, dass aufgrund des zusätzlichen Preissprungs mehr Autoverkehr in die Außenbezirke reingezogen wird. Es wäre doch Quatsch, wenn man aus Brandenburg kommt, in den ÖPNV umzusteigen, wenn es das 29-Euro-Ticket Berlin-AB gibt. Einige werden dann lieber schauen, wo sie im Stadtgebiet irgendwo einen freien Parkplatz finden.

Wir werden sehen, welche umwelt- und verkehrspolitischen Auswirkungen das 29-Euro-Ticket AB haben wird. Und übrigens, die CDU kann da ganz leise sein. Wer ständig jeden Tag fordert, dass die Außenbezirke mehr Pendlerparkplätze schaffen sollten, der sollte sich an die eigene Nase fassen. Wir haben mit Brandenburg eine eigene Vereinbarung getroffen. Wir zahlen als Land Berlin für Pendler- und Pendlerinnenparkplätze auf Brandenburger Seite, damit wir eben nicht den Verkehr hier nach Berlin reinziehen. Also da müssten Sie sich vielleicht verkehrspolitisch noch mal etwas fortbilden.

Aber ich will noch mal etwas zu der Frage sagen, warum wir eigentlich in dieser Situation gelandet sind. Weil uns diese Bundesregierung, diese Ampel, schlichtweg im Regen stehen gelassen hat! Wenn die Bundesregierung, allen voran die FDP mit ihrem Finanz- und ihrem Verkehrsminister, die Begeisterung der Bevölkerung für das 9-Euro-Ticket nur etwas geteilt hätte, dann hätte sie diese Debatte über den ganzen Sommer auch schnell beenden können, nämlich zu sagen: Keine Sommerpause, Verlängerung des 9-Euro Tickets bis Jahresende, parallel Diskussionen mit den Ministerien, mit den Verkehrsverbünden, mit den Nahverkehrsunternehmen mit dem klaren Ziel, ein vergleichbares Angebot ab dem 1. Januar abzusichern. Aber da war nichts zu machen. Mit völlig abstrusen Argumenten musste der Finanzminister in der Sommerpause dagegenhalten, bis er dann seinem Verkehrsminister Wissing, nachdem der politische Druck zu groß wurde, doch erlaubte, eine Nachfolgelösung zu finden. Wie gütig von unserem Bundesfinanzminister! Mit welchem Ergebnis? Wir sind jetzt wieder zurück im Tarifdschungel, wir sind wieder bei den alten Preisen, und dann wurden auch noch neue Hürden für eine schnelle Einigung errichtet. Als Bundesregierung sagt man, man gibt 1,5 Milliarden Euro, die Länder sollen mindestens denselben Beitrag geben, und ein solches Ticket müsste dann so ungefähr, round about 49 bis 69 Euro kosten. Und damit liegt wieder alles bei den 16 Bundesländern mit ihren unterschiedlichen Ausgangsbedingungen, finanziell wie verkehrspolitisch. Natürlich wird auch Berlin dazu bereit sein, einen Beitrag für eine gemeinsame Lösung zu leisten. Aber dann muss auch klar sein, dass der Bund die bereits seit Monaten angemahnten zusätzlichen 1,6 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel endlich bereitstellt.

Es ist ganz einfach: Politische Zusagen müssen eingehalten werden. Wenn der Bund die Mittel gibt, werden die Länder die Angebote bestellen. Wir müssen klotzen, nicht kleckern. Und dass die Verkehrsministerinnenkonferenz jetzt beschlossen hat, eine Arbeitsgruppe für ein Nachfolgeticket einzurichten, ist so was von überfällig. Da kann man eigentlich nur den Kopf schütteln. Mitte Oktober soll jetzt ein Ergebnis feststehen. Unser Vorschlag als Linke liegt auf dem Tisch. Künftig sollte ein Tag ÖPNV einen Euro kosten – bundesweit. Das ist unser Vorschlag in der Debatte. Ich glaube, die Berliner SPD hatte von dem Thema auch schon mal was gehört. Und wenn wir es in Berlin weiterhin diskutieren, müssen wir uns auch immer wieder vor Augen führen, was eigentlich gerade andere europäische Länder uns vormachen. Spanien hat mit einer Übergewinnsteuer den Nah- und Regionalverkehr kostenlos gemacht. Lernen wir also von Spanien!

Führen wir ein 365-Euro-Ticket ab dem 1. Januar ein und machen wir bei der Absicherung des massiven Ausbaus den Nahverkehr perspektivisch entgeltfrei, manche sagen dazu auch kostenloser Nahverkehr! Warum ist das wichtig? Weil Mobilität für die Gewährleistung von Teilhabe am gesellschaftlichen Leben notwendig ist! Niemand sollte davon ausgeschlossen werden. Das 9 Euro-Ticket hat viele Menschen in den öffentlichen Nahverkehr reingezogen, Menschen, die freiwillig das Auto stehen ließen, andere, die sich vorher Mobilität einfach nicht leisten konnten. Im Sinne der Entlastung in der aktuellen Krise, für den Klimaschutz und für sozial gerechte Mobilität muss dieser Weg weiter gegangen werden. Berlin ist dafür bereit. Rot-Grün-Rot steht genau dafür. – Vielen Dank!

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