Autofreier und fahrscheinloser Tag

Kristian Ronneburg
VerkehrKristian Ronneburg

55. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 5. März 2020

Zu "Beteiligung des Landes Berlin am europaweiten autofreien Tag – Einführung eines fahrscheinlosen Tages im öffentlichen Personennahverkehr"  (Priorität der Fraktion Die Linke) Antrag der Fraktion der SPD, Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Drucksache 18/2515

Kristian Ronneburg (LINKE):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Verkehrswende werden wir nicht voranbringen, wenn wir nicht grundsätzlich infrage stellen, wie der öffentliche Raum heutzutage aufgeteilt ist. Über Jahrzehnte wurde gemäß des Konzepts der autogerechten Stadt eine auf individuelle Automobilität ausgerichtete Stadt- und Verkehrsplanung vorangetrieben. Das Ergebnis ist Stau, Luft- und Lärmbelastung, Unfälle, Stress und schlechte Laune. Wir als rot-rot-grüne Koalition wollen die Stadt wieder lebenswert machen, sozial gerecht und ökologisch nachhaltig im Sinne der Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner. Rot-Rot-Grün hat das Ziel, die Verkehrswende voranzutreiben und konsequent den Umweltverbund aus ÖPNV, Fuß- und Radverkehr zu fördern. Dazu gehört auch die Schaffung von Flächengerechtigkeit im Straßenraum.

Denn es ist nicht gerecht, wenn in Berlin 1,2 Millionen Pkw 23 Stunden am Tag eine Fläche größer als das Tempelhofer Feld belegen. Es ist nicht gerecht, wenn Straßen nur dem Autoverkehr dienen, den ÖPNV ausbremsen, Fußgängern und Radfahrern den notwendigen Platz für das sichere Fortbewegen nicht zugestehen. Und es ist auch nicht gerecht, wenn die Diesel-Autos die Luft verpesten, die wir alle zum Atmen brauchen.

Wir müssen umdenken, handeln und auf dem Weg zu einer sozial gerechten und ökologischen Mobilität alle mitnehmen. Dazu gehören vor allem Angebote, ein attraktiver ÖPNV, sichere und gut ausgebaute Fuß- und Radwege sowie begleitende Regulierungen des Individualverkehrs. Ein zentraler Baustein ist es, öffentlichen Raum für den Umweltverbund zurückzugewinnen. Für den Kfz-Verkehr ausgebaute und überdimensionierte Straßen, die nur mehr Verkehr anziehen, müssen neu gedacht, am Umweltverbund ausgerichtet und neu aufgeteilt werden. Der zur Verfügung stehende Raum kann nicht einfach vermehrt werden. Deswegen muss der Autoverkehr zum Wohle der Allgemeinheit etwas abgeben.

Es wird weiterhin Straßen geben müssen; das ist klar. Es wird weiterhin Pkw-Verkehr geben müssen, aber wir können es uns – spätestens in Zeiten der Klimakrise –einfach nicht mehr leisten, das Autofahren möglichst attraktiv zu machen. Die Opposition in diesem Hause hat da eine andere Auffassung, auch wenn ich zugestehe, dass das in unterschiedlichen Ausprägungen der Fall ist. Es ist daher wichtig, dass wir Alternativen aufzeigen. Ein guter, symbolischer Anlass dafür ist der europaweite autofreie Tag, der jährlich am 22. September begangen wird. Mit unserem Antrag fordern wir den Senat dazu auf, sich künftig jedes Jahr in Zusammenarbeit mit den Verkehrsunternehmen, den Mobilitätsverbänden und den Bezirken im Rahmen der europäischen Mobilitätswoche am europaweiten autofreien Tag zu beteiligen. Der autofreie Tag und die europäischen Mobilitätswoche gehen auf eine Initiative der Europäischen Kommission von 2002 zurück. Viele Kommunen beteiligen sich daran mit den unterschiedlichsten Aktionsformen. Bürgermeisterinnen und Bürgermeister verzichten an diesem Tag auf ihren Dienstwagen und steigen auf umweltverträgliche Verkehrsmittel um. Parkplätze und Straßen werden umgenutzt. Auch an Schulen finden Aktionen für mehr Klimaschutz im Verkehr statt. Alle Bürgerinnen und Bürger sind dazu aufgerufen, sich an diesem Tag aktiv einzubringen, zu beteiligen und auf das eigene Auto zu verzichten. Wir als rot-rot-grüne Koalition schlagen außerdem vor, an diesem Tag gemeinsam mit den Bezirksämtern autofreie Zonen in der Stadt zu schaffen.

Die im Antrag aufgeführte Friedrichstraße wird voraussichtlich an diesem Tag autofrei sein. Die Pläne für einen Verkehrsversuch waren bekannt. Nun soll ab Sommer in einem begrenzten Zeitraum bis November die Friedrichstraße temporär zur autofreien Zone werden. Genauso können wir uns das am Kurfürstendamm vorstellen. Dazu gibt es bereits viele Diskussionen.

Habe ich da gerade Lachen gehört? Hoffentlich kommt es nicht vonseiten der FDP-Fraktion. Ich glaube, Ihre Kolleginnen und Kollegen sind deutlich aufgeschlossener. – Wir sind jedenfalls gespannt auch auf viele andere Initiativen aus der Bevölkerung.

Komplementärer Bestandteil des Antrags ist noch etwas anderes, und zwar wollen wir den autofreien Tag mit einem bisher außergewöhnlichen Angebot für die Berlinerinnen und Berliner verbinden, denn wir wollen am 22. September 2020 und auch künftig an diesem Tag, am europaweiten autofreien Tag, alle in Berlin kostenlos mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren lassen.

Wir machen damit deutlich, Entlastung der Stadt vom Autoverkehr und attraktive Alternativangebote sollen Hand in Hand gehen. Dass wir dieses Anliegen gemeinsam auf den Weg bringen, ist ein ganz wichtiger Schritt hin zur Erprobung eines entgeltfreien ÖPNV, den die Linke, wenn ich das anmerken darf, langfristig anstrebt. Vor einigen Jahren ist man für diese Forderung schräg angeschaut worden, aber wir sehen immer mehr Städte und Länder, die dieses Modell verfolgen und auch tatsächlich umsetzen. Luxemburg hat am 1. März 2020 als erstes Land der Welt die kostenlose Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel eingeführt.

Die Kosten betragen 41 Millionen pro Jahr. Wenn man einen Vergleich ziehen will, so viel würde ungefähr der BerlKönig kosten, wenn wir ihn jedes Jahr im AB-Bereich fahren ließen. Ja, ein generell kostenloser ÖPNV würde Berlin, wie andere Metropolen auch, würde er von heute auf morgen eingeführt, finanziell natürlich überfordern, aber auch von den Kapazitäten her. Bis wir eines Tages ein solches Modell realisieren können, muss mehr Geld ins System. Die Einführung einer dritten Finanzierungssäule für Investitionen in den ÖPNV diskutieren wir. Auch die Infrastruktur muss modernisiert werden. Wir brauchen mehr Busse und Bahnen, mehr Personal, sodass ein solcher entgeltfreier ÖPNV nicht zu einem Verkehrskollaps führt.

Vizepräsidentin Cornelia Seibeld:

Herr Kollege! Sie müssen bitte zum Schluss kommen.

Kristian Ronneburg (LINKE):

Ich komme zum Schluss. Wir werden auch an diesem Tag selbstverständlich alles dafür tun, dass die Verkehrsmittel gut ausgestattet sind, dass wir dort verdichten können, wo wir es eben auch tatsächlich machen können. Besser wäre es noch, wenn wir uns dazu zukünftig –

Vizepräsidentin Cornelia Seibeld:

Herr Kollege! Sie müssten jetzt bitte wirklich zum Schluss kommen.

Kristian Ronneburg (LINKE):

– mit Brandenburg verständigen könnten. Darauf bin ich auch sehr gespannt, auch auf die Ausschussdebatte. – In diesem Sinne, vielen Dank!

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