Neustart der Berliner Wirtschaft

WirtschaftHarald Gindra

80. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses, 3. Juni 2021

Zur Aktuellen Stunde

Harald Gindra (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gräff! Danke für die Überleitung! Wenn Sie den Wirtschaftssenator Wolf so hervorheben und sich auf das ICC beziehen, muss man auch sagen, dass er lange schon die Einschätzung hatte, dass man dort, wenn man nicht 750 Millionen Euro aufbringen kann, halt wenig ausrichten kann. Das ist eine der vielen alten Sünden, die in West-Berliner Zeiten gebaut wurden, mit einer Nutzfläche von, wenn ich das richtig im Kopf habe, 15 Prozent. Alles andere muss von diesen 15 Prozent, die man vermieten oder anderweitig nutzen kann, getragen werden. Dass solche Bauprojekte in Berlin möglich waren, haben wir heute halt auszubaden; das Problem wird uns wahrscheinlich noch eine Weile begleiten.

Dann noch ein Wort zu Herrn Hansel und das Lob auf Singapur. Das fand ich gut. Ausgelassen haben Sie, dass drei Viertel aller Wohnungen dort von dem staatseigenen Housing und Development Board erbaut werden und da eine ganz strenge regulierte Bodenpolitik stattfindet, um der Bevölkerung von Singapur leistbare Wohnungen zur Verfügung zu stellen. So etwas sprechen Sie natürlich nicht an.

Man muss als Wirtschaftspolitiker der AfD dankbar sein, dass sie den wirtschaftlichen Neustart nach der Pandemie, wenn sie denn hoffentlich bald überwunden und kontrollierbar ist, auf die Tagesordnung gesetzt hat. Damit hört das Lob aber auch schon auf. Die Fragestellung mit der neuen Gründerzeit ist fehlplatziert. Die Rechte konzentriert sich auf eine neue Gründerzeit als zentrales Instrument zur Ankurbelung von Wirtschaft und Beschäftigung, und wie man gesehen hat, haben Sie auch etwas zusammengeschrieben, was Sie in Vorbereitung des Wahlkampfs heute präsentieren wollten.

Richtig ist, dass Corona auch Start-ups heftig zugesetzt hat, dass insbesondere die Versorgung mit privatem Risikokapital erschwert wurde, so der Start-up-Monitor 2020. Das macht uns Sorgen, aber der Senat hat frühzeitig gegengesteuert. Berlin ist Gründer- und Start-up-Hauptstadt, und in diesem Bereich gibt es ganz unterschiedliche Auswirkungen der Pandemie. Manche Start-ups schlitterten sogar in eine Sonderkonjunktur, weil digitale Lösungen für Videokonferenzen, Homeoffice, Geschäftsprozesse, Onlinehandelsprozesse und vieles mehr plötzlich boomten. Viele andere sind in ihrer Geschäftstätigkeit stark eingeschränkt. Brisant für das Weltbild der AfD ist, dass gerade unter der migrantischen Bevölkerung die Gründungsbereitschaft überproportional hoch ist.

Fragen Sie IHK und Handwerkskammer! Auch viele Start-ups zeichnen sich dadurch aus, dass ihr Personal oft international zusammengesetzt ist und sie international ausgerichtet sind. Berlin zieht junge Leute aus Europa und darüber hinaus an. Sie kommen zum Studium her oder werden von den neuen Ideen in der Stadt und der vielfältigen Start-up-Szene angezogen. Rassistische Ausgrenzungen, Menschen als hier unerwünscht zu markieren, wie wir es im Wahlkampf leider erleben müssen, beschädigen dieses Bild zwar, bekommen in Berlin aber auch heftigen Gegenwind. Hier liegen also politische Gefahren für die Gründungskultur, mit denen der heutige Themengeber selbst verbunden ist.

Ansonsten kann man auf die Substanz der hiesigen Gründer- und Start-up-Kultur setzen, weil Bund und Land zahlreiche Programme aufgelegt haben bzw. auflegen, um in vielen Technologiebereichen voranzukommen und den wirtschaftlichen Neustart zu beschleunigen. Die Berliner Start-up-Szene ist wichtiger Motor und Unterstützer von Digitalisierungsdurchdringung in der Gesamtwirtschaft. Der B2B-Bereich, also digitale Lösungen für Unternehmen, ist dabei ein Zugpferd – sagt der Start-up-Bericht.

Schon während der Pandemie hat der Senat ein besonderes Augenmerk auf Hilfen in diesem Bereich gelegt – mit dem Ausbau von Start-up-Stipendienprogrammen und einem erleichterten Zugang zu Risikokapital. Im Mai hat der Senat dies noch einmal mit einem Maßnahmenpaket zur Ausweitung der Innovationsförderung im Volumen von 120 Millionen Euro aufgestockt – Berlin Invest, GründungsBONUS und das Berliner Start-up-Stipen­dium –, das in diesem Bereich direkt als Projektförderung für innovative Projekte eingesetzt wird und indirekt in Projekte in Wissenschaft und etablierten Unternehmen, von denen auch Start-ups wieder profitieren. Bereits im letzten Sommer hat der Senat mit einem Hilfsprogramm für Start-ups dem Rückgang von Risikokapital gegengesteuert.

Wo liegen nach meiner Meinung wirklich größere Probleme bei einem Neustart? – Herr Stroedter ist schon ausführlich auf das Gastgewerbe, den Handel und Tourismus eingegangen. Ich will mir einen anderen Bereich vornehmen. Berlin hat nach wie vor einen Nachholbedarf an industrieller Fertigung. Dies ist auch wichtig, um gesamtwirtschaftlich gut mit Innovationen aus Wissenschaft und Start-ups zu korrespondieren. Wir können uns doch nicht dauerhaft darauf einstellen, dass in Berlin vieles entwickelt wird, alle großen industriellen Konzerne und Firmen Innovationszentren haben und sich an der innovativen Atmosphäre dieser Stadt nähren. Wenn es aber um die Umsetzung und Integration in Produktionsprozesse geht, findet das oft genug nur in Süddeutschland statt. Das wirkt sich auch negativ auf den Zusammenhalt in der Stadt aus, wenn zwar starke Nachfrage nach wissenschaftlich ausgebildetem Personal besteht, das Angebot an Personal mit anderen Qualifikationen aber nicht im selben Maße wächst. Nach wie vor bildet sich das auch bei der Zusammensetzung von Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen ab. Gleichzeitig findet gerade bei vielen produzierenden Traditionsunternehmen ein Transformationsprozess statt, der mit der Klima- und Energiewende zusammenhängt. Das betrifft zum Beispiel Siemens Energy und Daimler, bei denen bisherige Technologien durch andere, nachhaltige ersetzt werden müssen.

Wir beobachten, was in Siemensstadt passiert, was Daimler in Marienfelde angekündigt hat. Die Linke unterstützt den Senat bei dem Ringen mit großen Konzernen, dass sie Fertigungsstandorte nicht aufgeben, dass sie hier innovative und neue Produktionsprozesse ausbauen und Beschäftigung hochhalten. Die Linke will jedenfalls nicht, dass bei Siemens und Daimler in Berlin nur die Verwertung von Grundstücken in den Vordergrund tritt.

Eine Konferenz des Regierenden Bürgermeisters und der Wirtschaftssenatorin in der letzten Woche mit Konzernen und Gewerkschaftsvertretern, über die Verschwiegenheit herrscht, hat hier hoffentlich auch andere Signale setzen können.

Der Senat ist dabei, Neustartprojekte aus Bundesmitteln für Berlin zu akquirieren; mit unserer starken Wissenschaft und starken Start-up-Basis haben wir gute Chancen, vieles voranzubringen. Wir haben das Glück, dass wir mittelfristig Raum für große Potenziale schaffen können, ob in der Urban-Tech-Republic in Tegel, mit den Veränderungen in Siemensstadt und dem weiteren Ausbau von Zukunftsorten und neuen Ansiedlungsflächen wie dem Clean-Tech-Park. Es strahlt auch die Gigafactory in Brandenburg aus, die in Tesla intern als Gigafactory Berlin geführt wird. Tesla zieht Zulieferbedarfe und Ansiedlung nach sich und stärkt die Industrie in der Region. Mit deutschen Umwelt- und sozialen Mitbestimmungsstandards muss sich der Konzern wohl noch arrangieren.

Trotzdem kann ich auch die Klagen von etablierten kleinen und mittelständischen Unternehmen und deren Netzwerke verstehen, dass sie sich zwischen Konzernen, Start-ups und Zukunftsorten zu wenig beachtet fühlen. Ich denke, bei einem Neustart müssen wir gerade diese produzierenden Netzwerke noch besser unterstützen – mit Zukunftsprojekten, bei der Vernetzung mit Wissenschaft und Start-ups, in ihren Transformationsprozessen und bei Kapitalengpässen. Entsprechende Angebote werden und müssen angepasst werden.

Bei dem Neustart geht es auch darum, dass nicht das, was schon vor der Pandemie nicht in Ordnung war, einfach restauriert wird. Für den Zusammenhalt in der Stadt und mittelfristig auch für die Binnennachfrage, also was Berlin selbst für eine Kaufkraft hat, ist es wichtig, dass auch die Reorganisation guter Arbeit gestärkt wird. Das gilt nicht nur für Pflegerinnen und Pfleger, das gilt für Verkäuferinnen und Verkäufer, für Putzkräfte und viele andere Bereiche, die höhere Wertschätzung in der Pandemie erfahren haben. Deshalb geht es nicht, dass unter dem Schlachtruf Entbürokratisierung und Entlastung von Unternehmen wieder Schutzrechte, Mindeststandards und Mindestlohnregelungen angegriffen werden – offenbar am brutalsten von der AfD, die gesagt hat, man brauche überhaupt kein Berliner Ausschreibe- und Vergabegesetz.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Nicht dieses!]

– Nein! Sie sagten, wir brauchen im Grunde gar keins. –

Für Die Linke kommt es z. B. nicht in Frage, das Berliner Ausschreibe- und Vergabegesetz zeitweise auszusetzen und z. B. vom Vergabemindestlohn abzurücken. Ich freue mich darüber, dass sich die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales gestern mit einer Tagung zur Beschäftigungssituation im Einzelhandel, im Hotel- und Gaststättengewerbe und in der Gebäudereinigung aktiv einbringt, mit dem Ziel der Senatorin Breitenbach, dass Dienstleistungsarbeit im Sinne guter Arbeit ausgestaltet werden muss.

Interessant fand ich die Berichterstattung in den Medien, dass es im Gastgewerbe nach begrenzter Öffnung kurzfristig Personalprobleme gab, weil sich entlassene Beschäftigte umorientierten und feststellten, dass es auch attraktivere Arbeitsplätze gibt. Es gilt, dort nachzuarbeiten.

Präsident Ralf Wieland:

Herr Gindra! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Buchholz der AfD-Fraktion zulassen?

Harald Gindra (LINKE):

Nein, ich muss zum Ende kommen. – Deswegen noch ein paar Sätze: Berlin hat Zukunft, wir können in vielen wirtschaftlichen Bereichen durchstarten, etwas für gute Arbeit zur Stärkung der Binnenkaufkraft tun und mit einem breiten Innovationsschub in den Neustart gehen.

Noch kurz zum Gewerbeflächenkataster: Es zeigt wieder die Nähe der AfD zu Immobilienglücksrittern.

Sie wollen die Transparenz über die Entwicklung von Immobilien auf Gewerbeflächen. Wer nach Berlin kommt und nach Gewerbeflächen fragt, wird von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft beraten und mit konkreten Angeboten versehen.

Sie wollen allerdings das, was die Verwaltung für sich für längerfristige Planungen aufbereitet – Abgrenzung zu Wohngebieten, Entwicklungen von Flächen –, Spekulanten zur Verfügung stellen, dass sie sich frühzeitig auf Entwicklungen einstellen. Da machen wir nicht mit. – Danke!

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