Gute Arbeit in der Wissenschaft schaffen

WissenschaftTobias Schulze

Rede von Tobias Schulze: Der höchstqualifizierte Bereich des öffentlichen Sektors, nämlich unsere Wissenschaftslandschaft, ist zugleich der mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen. Das ist eine Schande. Mit der kommenden Novelle des Hochschulgesetzes wollen wir weitere Schritte gehen, um die Personalstruktur in der Wissenschaft zu modernisieren. Wir werden eine dauerhafte Stellenkategorie schaffen, die eine selbständige wissenschaftliche Arbeit neben der Professur und im Angestelltenverhältnis ermöglicht.

41. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin, 9. Mai 2019

Tobias Schulze (LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Hausmann! Das war jetzt eine Steilvorlage. Das muss man sagen. Es stimmt, Die Linke im Bundestag hat die Exzellenz in die insbesondere dritte Säule, also die sogenannten Exzellenzuniversitäten, abgelehnt und wollte sie zugunsten des Hochschulpakts umverteilen, damit dieses Geld nicht in wenige Exzellenzuniversitäten fließt, sondern in die ganze Hochschullandschaft in Deutschland. Das ist korrekt.

[Beifall bei der LINKEN –
Beifall von Catherina Pieroth-Manelli (GRÜNE)]

Wenn Sie sich einmal mit jemandem aus Cottbus oder mit jemandem aus Senftenberg oder Eberswalde unterhalten, es gibt noch viele andere Standorte,

[Heiko Melzer (CDU): Vielleicht unterhalten
Sie sich mal mit jemandem aus Berlin!]

oder jemandem aus Göttingen, die aus der Exzellenzinitiative ausgeschieden sind oder aus Karlsruhe,

[Heiko Melzer (CDU): Ich kann Berlin empfehlen!]

die haben einen anderen Blick auf die Exzellenzinitiative als wir Berliner, werden Sie feststellen, dass es nichts damit zu tun hat, das wir als Linke natürlich unsere Universitäten in der Exzellenzinitiative unterstützen. Es ist doch selbstverständlich. Wenn der Wettbewerb da ist, werden die Universitäten beim Wettbewerb auch unterstützt. Das ist klar.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD –
Beifall von June Tomiak (GRÜNE)]

Aber wir reden heute auch deswegen über Wissenschaft,

[Heiko Melzer (CDU): Weil Sie kein anderes
Thema haben!]

weil die Bundeskanzlerin 2008 die Bildungsrepublik ausgerufen hat. Es hat nur, man höre und staune, elf Jahre gedauert, bis die Bundeskanzlerin verstanden hat, dass sich der Bund auch dauerhaft und unbefristet in der Wissenschaft und Bildung mit dem Hochschulpakt und Digitalpakt engagieren muss. Es waren elf Jahre, in denen viel nachgedacht wurde. Trotzdem ist es jetzt ein ziemlicher Erfolg, dass wir diese unbefristeten Vereinbarungen von Bund und Ländern haben, weil die temporären Vereinbarungen, die wir bisher hatten, immer wieder zum Spielball der Konjunktur zu verkommen drohten. Diese sind jetzt Geschichte. Wir werden dauerhaft Geld für Berlin in die Wissenschaft bekommen. Das sind 10 Prozent der gesamten Hochschulhaushalte. Das ist ein ziemlicher Erfolg. Das muss man auch sagen.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD und
den GRÜNEN]

Wenn man einmal eine Rückschau wagt auf den Hochschulpakt, dann haben wir einen Bildungsboom in Deutschland. Im Jahr 2005 hatten wir etwa zwei Millionen Studierende, heute haben wir fast drei Millionen Studierende. Die Quote eines Jahrgangs, die ein Studium aufnimmt, lag damals bei 37 Prozent, heute liegt sie bei knapp 60 Prozent. Ein Ende dieses Hochs ist nicht in Sicht. Aus dem Studierendenberg, über den wir damals so viel gesprochen haben, ist ein Hochplateau geworden. Es ist eine grandiose Bildungsexpansion. Es sind viele Bildungschancen, die verteilt worden sind an viele Menschen, die neu an unseren Hochschulen sind.

Heute redet man kaum noch von der Wissensgesellschaft, aber sie ist zumindest bei der Beteiligung an Hochschulbildung Realität geworden. Auch wenn es da noch viel Diskriminierung abzubauen gibt, kommen heute so viele junge Menschen an unsere Hochschulen wie noch nie. Das ist ein Erfolg.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD und
den GRÜNEN]

Allerdings hat dieser Boom auch Kehrseiten. Die Ausweitung an Bildungschancen war nur deswegen möglich, weil unsere Hochschulen insbesondere in den Großstädten Höchstleistungen unter schwierigsten Bedingungen vollbrachten. Ich erinnere einmal daran: Der Pakt war und ist unterfinanziert. Die Hochschulen waren und sind immer noch unterfinanziert, auch in Berlin. Hier bei uns in Berlin quetschte die Politik in den 2000er Jahren etwa zehn Prozent aus den Haushalten heraus und sparte 75 Millionen Euro ein. Wir erinnern uns daran alle noch. Trotzdem wuchs die Zahl der Studierenden auch in Berlin ungebremst weiter. 130 000 Studierende hatten wir 2005 an unseren Hochschulen. Heute sind es fast 190 000 Studierende und, obwohl erst seit 2010 die Mittel wieder stiegen, hielten sie nicht annähernd mit diesem Wachstum mit. Das muss man klar sagen. Erst Rot-Rot-Grün setzte hier ab 2016 mit einem jährlichen Aufwuchs von 3,5 Prozent ein klares Signal, dass das Sparen bei den Hochschulen auf Dauer ein Ende hat. Das ist auch eine Antwort auf Ihre Vorwürfe, Herr Hausmann. Keine Landesregierung in Deutschland sichert seinen Hochschulen 3,5 Prozent jährlichen Aufwuchs zu. Das macht nur Berlin. Darum beneiden uns die anderen Bundesländer.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Aber, und das ist auch eine zweite Kehrseite des Booms, parallel zum Aufwuchs der Studierenden explodierten die Drittmittel an den Hochschulen. Hinter vorgehaltener Hand wird einem an unseren Universitäten berichtet, dass im Prinzip gar keine freie Wissenschaft und Forschung aus Grundmitteln mehr stattfindet. Grundmittel werden für die Lehre aufgewendet und Drittmittel für die Forschung. So ist die grobe Rechnung an den Universitäten. Das angestellte Personal, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sind in dieser Situation die Verschiebemasse in unseren Hochschulhaushalten. Das galt lange auch für Berlin. Man muss es sich einmal vorstellen: Mehr als 90 Prozent der angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unseren Hochschulen und Universitäten sitzen auf befristeten Stellen, mehr als 90 Prozent. Wer nicht eine der wenigen Professorenstellen ergattert hat, fristet in der Regel ein prekäres Dasein mit Kettenbefristungen, oft auf Teilzeitstellen. Wir haben dazu ein Heer von Lehrbeauftragten, die vielfach im Haupterwerb Lehre zu vergleichsweise Dumpinglöhnen machen.

Uns bleibt festzustellen, der höchstqualifizierte Bereich des öffentlichen Sektors, nämlich unsere Wissenschaftslandschaft, ist zugleich der mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen. Das ist eine Schande. Das muss man auch einmal klar sagen.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD und
den GRÜNEN]

Diese Zustände sind nicht nur ungerecht, sondern sie sind auch der Qualität von Forschung und Lehre abträglich. Das Land Berlin, namentlich der Regierende Bürgermeister Michael Müller und der Staatssekretär für Wissenschaft, Steffen Krach, haben sich in den Verhandlungen mit dem Bund und den Ländern dafür eingesetzt, dass aus den Hochschulpaktmitteln zur Hälfte unbefristete Stellen eingerichtet werden müssen. Auch die Bundesbildungsministerin, dafür muss man ihr übrigens wirklich danken, Herr Hausmann, hat sich ebenfalls dafür eingesetzt. Andere Landesregierungen hingegen lehnten diese Entfristungen der Stellen ab. Deswegen wurde dieser Durchbruch verpasst, Entfristungen auch im Hochschulpakt zu sichern. Ich hoffe, das ist auch ein Aufruf an die Landesregierungen der anderen Bundesländer, dass die Regierungschefs von Bund und Ländern am 6. Juni hier noch einmal die Entfristung mit in den Hochschulpakt aufnehmen. Die Chance haben Sie dazu.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei der SPD und
den GRÜNEN]

Aber wir in Berlin als Rot-Rot-Grün haben natürlich nicht darauf gewartet, bis andere Länder endlich soweit sind und endlich bei einer Personalstruktur angekommen sind, die der Zeit entspricht, sondern wir als Koalition haben das Thema gute Arbeit in der Wissenschaft zum Schlüsselthema dieser Legislaturperiode gemacht. Wir haben die Trendwende für gute Arbeit mit den Hochschulverträgen bereits eingeleitet. Auch wenn Herr Hausmann die Hochschulverträge vielleicht noch nicht gelesen hat, sind hier 35 Prozent der Stellen entfristet anzubieten sind. Das ist einmalig in Deutschland. Das gibt es nirgendwo.

Mit der kommenden Novelle des Hochschulgesetzes wollen wir weitere Schritte gehen, um die Personalstruktur in der Wissenschaft zu modernisieren. Es ist klar, nicht jeder gute Wissenschaftlerin und jeder gute Wissenschaftler kann Professorin oder Professor werden. Viele wollen das auch gar nicht. Wir werden eine dauerhafte Stellenkategorie schaffen, die eine selbständige wissenschaftliche Arbeit neben der Professur und im Angestelltenverhältnis ermöglicht. Diese Kategorie wird ein echter Durchbruch im bundesweiten Vergleich sein und ein klarer Standortvorteil für Berlin. Wir werden viele Menschen aus anderen Bundesländern herbekommen, die genau auf diese Stellen wollen.

Mit diesen Dauerstellen gehen wir auch einen weiteren Weg weg von der Orientierung auf einzelne Professuren mit Ausstattung hin zu dem Fakultätsmodell, wie es sich etwa in den USA bewährt hat. Wissenschaft ist ein kollektiver Prozess und kein hierarchischer Prozess.

[Beifall bei der LINKEN –
Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Die Zeit der Ordinarien, das muss man auch einmal sagen, ist lange vorbei.

Wir haben etwa mit den Hochschulverträgen aber auch die Vergütung der Lehrbeauftragten massiv erhöht. Das war nur der Anfang. Wir wollen zukünftig den Grundsatz Dauerstellen für Daueraufgaben zum gesetzlichen Leitprinzip machen. Lehraufträge sind zwar ein gutes Instrument, um externes Wissen in die Lehre zu integrieren – ich weiß nicht, wer von Ihnen noch einen Lehrauftrag nebenbei hat und seine Expertise an den Hochschulen einbringt –, dafür taugen Lehraufträge auf jeden Fall, aber als Instrument zum billigen Füllen von Lücken in der Personaldecke sollen sie zukünftig, wenn es nach Rot-Rot-Grün geht, nicht mehr eingesetzt werden.

Zum Schluss: Gute Arbeitsbedingungen sind natürlich nicht das Ziel von Wissenschaft, sondern sie dienen einem Ziel. Sie dienen dem Ziel, Wissen zu erarbeiten und weiterzugeben. Das hatte die Kollegin Czyborra auch schon angesprochen. Sie dienen dem Wissen, das der Stadt und der Gesellschaft nutzen soll. Die Milliarden Euro, die in die Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Berlin gehen, müssen sich natürlich immer vor allen legitimieren, deren Steuergelder investiert werden. Ich erinnere einmal daran, dass wir hier über relevante Milliardenbeträge in unserem Haushalt reden. Wissenschaft ist in Berlin kein Elfenbeinturm, der nur auf internationale Rankings fixiert ist. Wir haben mit den Hochschulverträgen besonders die Studiengänge ausgebaut, die unsere wachsende Stadt braucht, Sozialpädagoginnen, Verwaltungsfachleute, Polizisten, Fachkräfte in der Pflege und nicht zuletzt Lehrerinnen und Lehrer, die unsere Stadt so dringend braucht. Das sind die Studiengänge, die wir ausgebaut haben. Das sind die, die aufwachsen. Davon haben tatsächlich alle in der Stadt etwas, denn wir brauchen diese Menschen, diese hochqualifizierten Menschen dringend.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und
den GRÜNEN]

Aber wir setzen auch in der Forschung Akzente für die Stadt. Mit dem kommenden Doppelhaushalt bringen wir erstmals ein landeseigenes Forschungsförderprogramm auf den Weg, das die Forschung für die wachsende Stadt unterstützen soll. Ob Gesundheit, ob Mobilität, ob Klimaschutz, ob Wohnen, ob Hauptstadtentwicklung, wir wollen erkunden, welche Fragen die Wissenschaft in unserer Stadt genau auf diesen Feldern für die Stadt beantworten kann, denn wissensbasierte Stadtentwicklung ist immer die bessere Stadtentwicklung.

[Beifall bei der LINKEN]

Jeder Berliner und jede Berlinerin soll wissen, dass wir in einer Stadt des Wissens leben und dass alle davon etwas haben.

Und zum Schluss: In einer Zeit, in der in anderen Ländern die freie Wissenschaft verfolgt und vertrieben wird, gehen wir genau den gegenteiligen Weg. Wir öffnen das Wissen für alle, wir leben die Freiheit der Wissenschaft in Berlin, und ohne eine lebendige Wissenschaft ist Berlin eben auch nicht Berlin. – Vielen Dank!